Gery Keszler: Sein neues Leben mit Mittagsschlaf und Gockel Leopold
77 ist eine Zahl, die nichts bedeuten kann, aber auch alles. Zum Beispiel, wenn man eine Geschichte dazu hat. Vielleicht weiß es Gery Keszler noch nicht, aber heute sind es auf den Tag genau 77 Tage, seit er sich von seinem langjährigen Begleiter verabschiedet hat. Den Life Ball hat er am 8. Juni 1993 aus der Taufe gehoben, unglaubliche 26 Jahre später ist dieser Geschichte. Und es sieht ganz so aus, als wäre das nicht gewollte Ende unwiderruflich. Wir treffen Gery Keszler in ungewohnter Umgebung und in ungewohntem Look. Rund um ihn nur sattes Grün, Wald, Berge - Bodenhaftung statt High Society quasi.
Zeit statt Stress
Für den Ausflug in die Natur trägt er kurze Hosen, Sneakers und ein Lächeln im Gesicht. Er wirkt entspannter als man den 56-Jährigen eigentlich kennt. Zuletzt hat man ihm den Life-Ball-Stress von Jahr zu Jahr mehr angesehen. Kam Keszler irgendwo ins Bild, war der erste Gedanke: „Ui, der Mann sieht müde aus.“ Aber jetzt hat er Zeit, viel Zeit, für sich und seine neue Leidenschaft. Keszler liebt das Land und hat sich sein privates Naturparadies geschaffen: mit Hennen, Hasen und Hof. „Aber es ist kein Bauernhof“, erklärt er gleich. „Im Burgenland nennt man das Kellerstöckl.“ Wie lebt Keszler dort? Was bewegt ihn derzeit? Und wie will er seine Zukunft gestalten? Die freizeit hat bei Gery Keszler nachgefragt.
Herr Keszler, Sie ein Landmensch? Nur schwer vorstellbar!
Ich liebe mein Kellerstöckl, obwohl es eine Never Ending Story ist. Ich habe es über viele Jahre selbst hergerichtet. An den Berufstagen bin ich in Wien, und übers Wochenende geht’s dann runter ins Burgenland.
Von 100 auf null, von der Stadt aufs Land: Fällt Ihnen das nicht schwer?
Naja, ich hab‘ mich ja um ein Stück Land zu kümmern. Das Kellerstöckl liegt wunderschön auf einem Hügel, von dem aus man unfassbar weit schauen kann. Es gibt ganz viele Tiere, Kühe und Zackelschafe zum Beispiel. Da erspar‘ ich mir, den Hang abzumähen. Es gibt eine ziemlich steile Stelle, wo die Schafe das Gras wegfuttern. Weniger Stress für mich.
Apropos: Ist der Life Ball derzeit noch Thema für Sie?
Es gibt noch Dinge zu erledigen, die ganze Nachbearbeitung. Aber ich habe momentan keinen Nine-to-five-Job. Dass es den Life Ball nicht mehr gibt, war keine Lust-und-Laune-Aktion von uns, sondern wir waren durch verschiedene Umstände dazu gezwungen. Dazu habe ich ausführlich Stellung genommen. Der Wiener Bürgermeister (Anm.: Michael Ludwig) will ihn ja weiterführen. Und jetzt bin ich natürlich schon extrem neugierig, was das genau heißen soll.
Zusammentun werden Sie beide sich nicht. Was haben Sie in Zukunft geplant?
Es gibt spannende Angebote aus dem Ausland, ich muss aber ehrlich sagen, dass der Life Ball gerade einmal zwei Monate Geschichte ist. Ich höre mir alles an, habe aber noch keine Tendenzen entwickelt. Ich habe erst jetzt in der Ruhe gemerkt, wie stressreich der Lifeball in diesem letzten Jahr war. Er war immer Stress, aber auch immer ein Danke für die Mühen, die man auf sich genommen hat. Aber im Nachhinein wurde allzu leicht vergessen, welche Ängste und Sorgen diese Organisation auch mit sich bringt. Alleine die Sicherheitsmaßnahmen waren eine Riesengeschichte. Das war für uns als kleines Team schon eine Herausforderung bis an die Grenze.
Das klingt, als müssten Sie sich davon jetzt erst einmal erholen.
Ich will jetzt einfach auf mich hören und ein bissel aufpassen. Mit 56 macht man so etwas nicht mehr wie mit 28. Das ganze Ding ist so riesig geworden, da merkt man schon den Konditionsverfall. Deshalb ist die Natur mittlerweile so wichtig für mich. Ich hab auch gemerkt, dass ich zugenommen habe, das muss jetzt alles wieder weg. Ich bin froh, dass ich am Wochenende im Burgenland die Herausforderungen habe. Die Tiere, mein Gemüse, die Obstbäume, den Rasen. Du bist ständig beschäftigt. Vor Kurzem habe ich mir auch noch den Leopold zugelegt, einen Gockel, der in einem Kleingarten in Favoriten gelebt und zu viel gekräht hat.
Bei Ihnen hat er das Krähen eingestellt?
Da kann er ruhig krähen. Ich hab’ weit und breit keine Nachbarn. Er weckt mich kurz vor fünf, dann drehe ich mich noch eine halbe Stunde um, mach mir dann einen Kaffee, und es geht los. Das ist die schönste Zeit, um manuell mit viel Anstrengung zu arbeiten. Genauso wie am Abend, bevor die Gelsen kommen. Leopold hat jetzt einen feudalen Holzschuppen bekommen mit einer Voliere. 16 Quadratmeter müssen ihm reichen, wenn ich nicht da bin. Sonst darf er ja immer raus. Und dann gibt es da plötzlich auch ein Mittagsschlaferl.
Da haben Sie sich mit 56 ohnehin lange Zeit gelassen dafür.
Es ist der blanke Luxus, weil man sich so gut fühlt und merkt, wie sich alles wieder einpendelt. Keinen Raubbau mehr an seinem Körper zu betreiben, muss wirklich in allen Überlegungen für die Zukunft eine Rolle spielen. Ich will schauen, dass ich mehr Zeit für mein kreatives Talent hab‘, und mir dafür andere Dinge vom Hals schaffen. Aus Prozessen wie dem Marketing oder der Produktion würde ich mich in Zukunft gern mehr rausnehmen. Der Verein Life+ wird ja aktiv bleiben, was immer das heißen soll. Aber die Natur muss mit eingebunden sein.
Natur pur für den Life-Ball-Mann
In Keszlers Oase im Burgenland grünt und blüht es überall
Keszlers selbstrenoviertes Kellerstöckl aus der Vogelperspektive
Zackig, zackig: Gerys Zackelschafe
Mit Neo-Mitbewohner Gockel Leopold
Keszler mit Conchita am Life Ball
Das Aus des Balls bedeutet aber nicht das Ende für Keszlers Charity Life+
Auch in Zukunft möchte er sich Hilfsprojekten widmen
Fehlt Ihnen die High Society nicht?
Ich bin so wahnsinnig leutscheu geworden und kann gar nicht mehr so wie früher. Nicht, weil ich die Menschen nicht mag, im Gegenteil. Ich will mich mehr auf Menschen einlassen können und nicht einfach diesen ständigen Almabtrieb auf irgendwelchen Veranstaltungen haben, wo man über ein „Hallo, wie geht’s?“ nicht hinauskommt. Das ist für mich mittlerweile gestohlene Zeit.
Keszler unterbricht das Gespräch und macht auf den Ausblick aufmerksam.
„Schau, ist das alles nicht wahnsinnig schön? Man hat nur ein Leben, und ich bin gerade dabei, auszuloten, wie man das wertvoller gestalten kann.
Glauben Sie nicht, dass das eine Phase ist und Sie quasi wieder „reinkippen“, wenn Sie im Arbeitsprozess sind?
Nein, ich bin ohnehin permanent damit beschäftigt, Dinge aufzunehmen und mir zu überlegen, wie ich dies und jenes inszenieren könnte. Das könnte auch eine Oper sein.
Das heißt, Sie schauen über das Universum Aidshilfe hinaus?
Bestimmt, so sehr mir das Thema wichtig ist. Ich denke schon auch über Umwelt und Klimaschutz nach oder Armut und soziale Unausgewogenheit generell. Vielleicht entsteht aus dem Gedanken, sich selbst zu feiern, was die Aufgabe des Life Balls ist, etwas Universelleres. Über das muss man nachdenken. Der Ball ist eine enorme internationale Botschaft. Er gibt Wien einen modernen, liberalen Stempel.
Hat Ihnen die Kritik am Life Ball da nicht doppelt weh getan?
Ich will niemanden anpatzen, das ist mir wichtig. aber ich hab’ mir schon ein bisserl mehr Respekt erwartet. Das Traurige ist, dass das, was berichtet wurde, nicht der Wahrheit entsprochen hat. Wir haben von einer Ausfallhaftung in Höhe von ein paar Hunderttausend für einen kurzen Zeitraum gesprochen, nicht über eine Millionenforderung, wie es geheißen hat. Da gibt es sehr viel verbrannte Erde.
Keszler bleibt bei unserem Spaziergang wieder stehen.
Schau, wie schön der Kalk ausschaut, der sich an den Felsen abgelagert hat.
Er kehrt zum Thema zurück.
Eine Tür geht zu, eine andere geht auf. Wir hätten eine kurze Überbrückungsspritze gebraucht. Ende letzten Jahres mussten wir viele Vorleistungen zusagen: internationale Kooperationen, in die investiert wurde, Hilfsprojekte oder Beauftragungen, für die Sicherheit oder die Bühnentechnik. Der Life Ball hatte eine Subvention von 800.000 Euro. Das klingt zwar viel, aber man muss das anders sehen. Wir hatten die vergangenen zehn Jahre eine Wertschöpfung von 110 Millionen Euro und haben 28 Millionen Euro Steuer abgeführt. Daran muss man denken, wenn man von einer Überbrückung von 300.000 bis 400.000 Euro spricht. Keiner hat geglaubt, dass wir ernst machen und einen Schlussstrich ziehen müssen. Jetzt hat man’s! Punkt. Und ich genieß die Natur.
Schwingt nicht doch irgendwo ein bisschen Wehmut mit oder wollen Sie da einfach nicht drüber reden?
Es gibt eine Wehmut und es gibt eine Erleichterung – und eine Verunsicherung auch. Wenn wir den Fortbestand unseres Vereins Life+ sichern wollen, müssen wir uns schleunigst sinnvollen Aufgaben stellen. Der Erhalt eines Büros und die Anstellung einiger Leute kostet natürlich Geld. Wir werden jetzt erstmals abfragen, wie ernst zu nehmend die ganzen Interessen sind, aber gleichzeitig gibt es auch einen Welt-Aids-Tag am ersten Dezember. Vielleicht geht das ja weiter – oder unsere sehr erfolgreiche Operngala. Das muss man erst mal schaffen, alle großen Opernstars von Netrebko bis Kaufmann aufzustellen. Das ist nichts, was man über Nacht so aus dem Ärmel schüttelt.
Worum würde es gehen? Aids?
Es könnte ein geöffneteres, soziales Anliegen sein.
Aber der soziale Aspekt soll bleiben?
Absolut, dann macht die Arbeit einfach so viel mehr Freude und ein Beruf wird zur Berufung. Das kann uns niemand mehr wegnehmen, die vielen 100.000 Menschen, denen wir teilweise wirklich das Leben gerettet oder um ein Vielfaches verbessert haben. Das ist etwas, das für immer bleibt.
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