Dem Tiger auf den Schwanz gestiegen

Dem Tiger auf den Schwanz gestiegen
Die Talente genützt, die Träume gelebt. Intelligenz gegen Gewalt, Hintersinn gegen Spießerkram ausgespielt. Nicht die Familie noch den wilden Hund in sich selber hungern lassen. Arzt, Musiker, Autor, Bühnentier Georg Ringsgwandl wird 65. Warum die Welt „Mehr Glanz!“ braucht, lässt er im November live hören.
Von Ro Raftl

Reiseproviant für die Seele. Mit Schnitzlers Traumnovelle und James Joyces Dubliner: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Mit dem Sozialroman der eigenen Kindheit im Koffer für schmutzige Wäsche: In (fast) 65 Jahren ist sie oft und oft gewaschen worden, an der Sonne gebleicht, gefühlvoll neu sortiert. Intelligenz, abstrakte und praktische, musikalische Begabung, Fantasie und Energie sind im genetischen Beautycase verpackt. Der innere Weltsondierungsapparat scharf gestellt, auf medizinisch ungeschönte Diagnosen programmiert.

Reise zu Ringsgwandl, Markenzeichen: Schräger Vogel, ultra-bizarr und grotesk. Einer, der aufregt und anregt. Sein Vorname Georg wird meist verschluckt. Ringsgwandl, weiß man, ist dieser hintergründige Bayer, der sich auch groß über Kini Ludwig II. hergemacht hat. Georgy in Wonderland. Der grellbunt geschminkte Typ in Second-Hand-Klamotten aus der Damenabteilung, der den Salzburger Stier und den Deutschen Kleinkunstpreis, bekommen hat, dem Kultursender arte die Doku Kasperl oder Genie wert war. Der Zyniker, der Bürgers Überzeugungen, egal, ob zeitgeistig frisch oder tümelnd angestaubt, in der Luft zerreißt. Punk-Qualtinger hat ihn mal wer genannt. Die Zeit sah ihn als verhauten Rock’n Roller und intellektuellen Robin Hood.Den Arzt, der mit 45 aus dem rentensicheren Krankenhausbetrieb ausgestiegen ist. Der kleine Fräuleins an Milchbartischen nicht kalt lässt, weil er sich auch zum Herrensakko die Augenbrauen schwarz und die Unterlippe pink schminkt: „Geile Unterlippe übrigens. Und Zitherspielen tut er auch. Echt süß bei einem Mann Hast ihn neulich bei der Stöckl g’sehn? Hat eine neue CD und ein neues Programm. Mehr Glanz! Findet – hihi – alles könnte strahlender sein. Stimmt total.“ Wann er auf seiner Tournee nach Österreich kommt? Handygoogle schauen: „Am 7., 8., 9. und 20. November. Glaub, den sollten wir uns geben.“ Traumnovellen. „Irgendwo“, erzählt der Beträumte, „is mir so eine junge Prinzessin zubig’wachsen. Ich war älter als ihr Vater, kein Problem für sie. Sie wich mir nicht mehr von der Pelle, war nicht abzuwimmeln, schrieb viele beseelte E-Mails, reiste zu Konzerten an. Na ja. In Hamburg kam ein alter Studienfreund dazu, ins Konzert, in die Garderobe, zum Feiern. Jurist und Fernsehmacher. Sieht die Prinzessin und macht sie voll an“ (wir übersetzen: briet bei ihr ein). „Gut. Nach einem halben Jahr kam Post von ihm: So glücklich. Neues Leben. Bald zu dritt.“ Tja. Glück g’habt? Oder hab ich was versäumt?“, fragt Ringsgwandl, schaut wie die Sphinx, wägt ein Weilchen das „lachende Auge“ gegens „weinende“ ab, beschließt gelassen: „Alles hat seinen Preis.“ Er hat drei Töchter, die Frau ist Psychiaterin und Psychotherapeutin, „63, blond, klug, sportlich, viel sportlicher als ich, sehr belastbar, mit hohen Steherqualitäten und sie schleppt Tonnen von Büchern ins Haus“. Er hat sie bei der Arbeit an der Münchner Uni-Klinik Großhadern kennengelernt, da war sie sehr umschwärmt. Jetzt sind sie (fast) dreißig Jahre verheiratet: „Seit 20. Dezember 1983“. Das kommt prompt und verdient Applaus. Ein Ehemann, der den Hochzeitstag nicht vergisst. „Doch, vergess i, aber die Trauzeugin sorgt immer dafür, dass i mi erinner.“

Bis zum Jahresende müsste viel gefeiert werden: Am 15. November wird das schrägintellektuelle Genie 65. „Skorpion, Aszendent Skorpion“, gibt Ringsgwandl Hobby-Astrologinnen unzynisch Zucker. Nett. Ja, hält sich selber für einen öden Normalo: „Keinerlei Perversionen. Keine Tabletten. Hab keine Rückenschmerzen und muss nicht zum Psychiater gehen. Ist doch bestürzend banal.“ Räumt ein, dass er die Chance hat, Frust, Erstaunen, Befremden, Unwillen in eine Performance zu verwandeln. Rückgratgestärkt von den Kumpeln seiner Band. Philosophiert also sanft ins Sodazitron, später in ein kleines Bier. Über Leben, Begierden, Schnitzlers Traumnovelle. Dass ihm frühe Flammen schmerzlich die Eifersucht ausgetrieben hätten. Dass keiner den anderen besitzen kann. Dass in modernen Zeiten selbst die Grübelei: „Ist das Kind wirklich von mir? Es ist bei mir aufgewachsen!“ sinnlos sei. Zur Frage Midlife Crisis hat er nur gelacht: „Eine konstante Krise, seit ich auf der Welt bin. Die Bedrohungen wechseln, und die Weise, wie man mit den Krisen umgeht. Ich denk, die wahre Winterreise ist im Kopf. Schnitzler und Joyce haben’s so exemplarisch behandelt, dass ich nicht wüsste, was noch hinzuzufügen wär.“„In ekstatischen Augenblicken sag ich DANKE. Wenn i was g’schrieben hab und mir auch ein Prosastück geglückt is. Wenn i auf der Bühne steh und ein Konzert mach. Bedingt durch meine spezielle sexuelle Orientierung kann’s a bei aner Frau sein. Aber a beim Sport, auf so an richtig schönem Hang zum Skifahren. Und wenn meinen Kindern was gelingt, das sie weiterbringt und ihnen Spaß macht.“Kapier da einer irgendwas, der das „alte Bühnenschwein“ (Selbstbeschreibung) nur von der Bühne kennt. Funktioniert beim Lesen von Ringsgwandls Satirenbuch aus der bayerischen Provinz Das Leben und Schlimmeres, Kurzgeschichten zu existenziellen Fragen: Wie’s einem so geht, den die Frau anonym bei dem Volkshochschulkurs für gewaltbereite Männer angemeldet hat. Ob man den verstrahlten Kropf, den sich die Frau grad „machen“ lassen hat, dem Hund zum Fraß vorwerfen oder einfach wegwerfen kann? Wie der physikgelehrte Nachbar zur Wärmegewinnung für Das Null-Energie-Haus mit ein paar einfachen Tricks durchkommt: Einer gscheiten Grippe von Sohn Torben (zehn Tage festes Fieber!) oder Sex mit der Ehefrau (nur danach bitte nicht lüften!) Kein Schas auch, wie viel Energie ordentliches Pfurzen bringt. Wie die Ehekrise, durch Wärmegewinnungsberechnungen im Sekundentakt verursacht, harmonisch gelöst wird: Dank eines Fliesenlegers, der auf Therapeut umgelernt hat und dem Physikprofessor die einzig wahre Medizin verordnet: Zitherzupfen meditativ. Dann wird auch die frustrierteste Frau wieder scharf wie Lumpi. . .Karl Valentin lässt grüßen. Wirklichkeit, ins Absurde gedreht, und so aberwitzig geschwärzt, dass man beim Lesen (in der Provinz) laut lachen muss. Die wichtelnden Nachbarn des Herrn Doktor Georg Ringsgwandl vorbeiziehen sieht und als die eigenen erkennt. Bisweilen auch sich selber. „Witz, trocken wie die Atacama-Wüste“, urteilt eine Leserstimme auf der amazon-Einkaufsseite, „derb“ eine andere. Ringsgwandl freut sich, dass sein Buch glücklich machen kann.

Wenn er sich was wünscht, zum 65er, und überhaupt: Noch einen Text zu schreiben, ein Buch, das Hirn und Bauch und Seele öffnet und richtig gut zum Lesen ist. Das „derb“ von der amazon-Stimme findet er „harmlos“. Er wohnt in Murnau, „in aner guaten Mischung aus bodenständiger Bevölkerung und Künstlern, seit die Maler des Blauen Reiter vorm I. Weltkrieg dort lebten und ihre Freunde empfingen“, und er mag Murnau. „Aber die Leute hassen meine ironische Art, weil ich ihre Glaubensgrundsätze und Öko-Schwachsinnigkeiten nicht übernehmen will.“ Das hat er mal der Süddeutschen Zeitung gesagt. Bei „harmlos“ schaut der schlaksig bewegliche Grauhaarige aber auch zurück: Weil die Beschwerde-Briefe an die Kreiskrankenhausleitung nur so in den Postkasten rauschten, als er im Spital arbeitete und abends seine ersten musikalischen Kabarettprogramme schrillen ließ. Kann ein Zyniker ein guter Doktor sein? Bisschen fantasielos, solche Zweifel. Täglich Krankheit, Sterben, Tod braucht irgendwann Reinigung, Katharsis. Der 28-jährige Doktor Ringsgwandl fand sein Bad in Kleinkunstbühnen. Zufällig beherrschte er ein paar Instrumente, hatte früh das Talent zum G’schichtlerzählen und zur Rampensau in sich entdeckt. Den kritischen Blick auf die Mistkübel dieser Welt geschärft, aufmunitioniert durch eine ärmliche gewaltbeherrschte Kindheit. Denn der Schorschi, dieser gscheite Bub, kam aus dem Glasscherbenviertel von Bad Reichenhall. Die Mutter Hausfrau, der Vater Postbote, schwerst kriegsversehrt, „ein armer, gequälter Hund“ mit Granatsplittern im Hirn, die schreckliche Krampfanfälle und gewalttätige Ausbrüche bedingten. Prügel, ständig, für den Sohn.Archaische Zustände. Doch versöhnte. Besonders, wenn DER Ringsgwandl die Bilder an den Wänden bei sich zuhaus und bei seiner Schwester anschaut, an denen der Vater bis zum Tod gemalt hat. „So schön, so klass, so gelungen! Als junger Kerl hat er Dürer kopiert, über die Jahrzehnte ist er zu stark abstrahierten expressionistischen Aquarellen gelangt, hat endlich auch Kunstbücher studiert, stur bis zuletzt „um Ausdruck gerungen. Die Mutter? „Sah’s nur praktisch: Man muss keine Bilder kaufen. Waren ganz ungebildete Menschen, aber schwer dahinter, dass ich das Gymnasium schaffe. Als einziger in der gesamten Verwandtschaft.“

Das rechnet er ihnen bis heute hoch an. Betrauert bloß, dass er als Kind kaum gelesen hat: Zwei, drei alte Wehrmachtsbücher vom Vater im Haus, sonst nix. Immerhin eine Zither, von einer Tante, die zu den Zeugen Jehovas ging, bei denen nicht gezithert werden durfte. Die halbe Traumerfüllung für den Achtjährigen. Wie gerne hätt er Klavier gelernt, doch unleistbar. Also die „Keule aus den Alpen“ (©Ringsgwandl) fleißig geübt, bis zu Auftritten bei Kaffeekränzchen. Gage: Eine Limo, Würstel und ein paar Mark. Mit zwölf nahm er Posaunenunterricht, um bei der Dixieland-Band eines jazzbegeisterten Lehrers „mitzuhupen“. Mit 14 erkannte er, dass ihm die Eltern nichts mehr sagen konnten. „Ein schmerzliches Jahr, ich war tief erschrocken. Nein, verachtet habe ich sie nie. Sie haben für mein Studium ja viele Opfer auf sich genommen. Der Respekt blieb gewahrt. Noch mit achtzehn. Da war ich wegen einer schweren Lungen-TBC fast ein Jahr lang in ein Sanatorium verbannt, hab mir selbst das Gitarrenspiel beigebracht und meine ersten Songs geschrieben. Doch dass ich gern Musiker geworden wäre, hätte ich mich daheim nicht zu sagen getraut. Glaub, mein Vater hätte mich erschlagen. Wortlos.“ Also studierte er Medizin. Was ihm die Bemerkung eintrug: „Pass auf, dass du nicht größenwahnsinnig wirst.“ Für den Vater wäre Postinspektor das höchste der Gefühle gewesen.Er sei unglaublich gerne Arzt gewesen, möglicherweise nervtötend perfektionistisch, aber es habe ihm Spaß gemacht, so lange er’s war. Zuletzt Kardiologe, Oberarzt am Klinikum Garmisch-Partenkirchen, mit baldiger Aussicht auf höhere Weihen. Und natürlich nix gegen ein großes Haus und eine sichere Anstellung, wenn man drei kleine Töchter hat. Die Bühne ging sich eine Weile gut daneben aus. Bis depressive Anwandlungen die Hetzerei zwischen Krankenhaus und Abendprogramm orchestrierten, heute hieße das: Burnout. Bis eine alte Patientin zur dritten Tochter gratulierte: „Wissen S’, die Zeit, in der die Kinder klein sind, geht so schnell vorbei. Mein Mann und ich haben gar nichts mitbekommen, immer nur gearbeitet.“ Bis ein reicher Mittfünfziger so viele Pläne schmiedete und ratzfatz an Lungenkrebs starb. Der Gedanke an satte Selbstzufriedenheit mit Villa, Sportwagen, Golfschlägern bloß zum Gähnen reizte. Mit 45 hintertrieb Ringsgwandl seine Vollendung zu einem Gott in Weiß, zog den Mantel aus. Der Vater, dem’s immer nur um Handschlagqualität und Charakter gegangen war, nie um Geld und Protzerei, blieb dabei erstaunlich ruhig.

Aber die Frau? Was hat die gsagt? „Wir ham scho viel g’redt“, nuschelt er in die Jeansjacke. Lässig, aber dezent – wie seit einiger Zeit auch auf der Bühne. In Schrille zu erstarren, fände er peinlich. Grinst dann: „Aber gehn S’, sagen Leute, die meine Frau kennen gelernt haben: Die ist ja nett. Die ist ja gar nicht so wie in dem Buch.“ Eh klar, natürlich eine Kunstfigur...

Außerdem hatte er plötzlich Zeit für die Töchter. Was er unter „Glück“ abhakt. Lacht, überlegt, zweifelt, lacht, sagt: „Bei den Töchtern hab ich’s richtig gemacht. 1. Die richtige Muatter ausg’sucht. 2. Sie nie geschlagen. 3. Ab dem 14. Lebensjahr komplett alleine arbeiten lassen.“ Nur seine Lebensüberzeugung referiert, die biblische, von dem Herrn, der seinen drei Dienern fünf Talente anvertraut, um zu schauen, wie sie damit verfahren. „Mein Motto: Mach was draus. Entwickle deine Begabungen. Warum bist du schlecht in Mathe!, hab ich nimmer gesagt. Bis sie 14 waren – allerdings oft. Was war ich da für ein strenger Vater, was haben sie mich verflucht beim Aufgaben- und Ferienschule-Machen.“ Ein Buch natürlich, Peter Hoegs Der Plan von der Abschaffung des Dunkels hat die Kinder vor Vaters Ehrgeiz gerettet. „Grad noch rechtzeitig“, stöhnt er. Hat danach kapiert, ,,dass man sie in Ruhe lassen muss. Nicht über sie hinwegentscheiden darf. Nur Liebe und Balance aufrecht halten. Tierärztin, Juristin, Zahnärztin wollten sie werden, und haben es auch durchgezogen.“Weil wir so ins Liebevolle schwappen, erzählt „der moderne Großvater“ Ringsgwandl von seiner Enkelin Kaysa in Berlin. „Die mittlere Tochter, die Juristin, hat ihrer Frau ein Kind machen lassen. Das Madel heißt jetzt Ringsgwandl, und ist schlau, pfiffig, intelligent und nett. Wir fahren oft hin, wollen dort eine Wohnung kaufen: „A richtig nette Familie, die drei Weiber“, sagt er. „Danke.“

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