Wunderbares Ziel: Das ORF-Funkhaus
Ich gehe die
Argentinierstraße bergab, und dabei bin ich sehr vorsichtig, sehr bedächtig. Ein Freund von mir hat mir erzählt, dass ihn kürzlich ebenhier eine Polizeipatrouille vom Fahrrad geholt hat, weil er die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h bei Weitem überschritten hatte. Das kostete nicht weniger als 30 Euro.
Ich meine: 10 km/h? Die hat man schnell einmal drauf, wenn man sich in Bewegung setzt. Dafür brauche ich nicht einmal ein Bike, dafür reicht schon ein etwas motivierterer Dauerlauf, und so wie mein Freund keine Ahnung davon hatte, dass er den Leerlauf seines Fahrrads drosseln muss, habe ich keine Ahnung, ob man vielleicht auch als Fußgänger in die Radarfalle laufen kann. Kann man, liebe Polizei?
Ich drehe, bevor ich in die Argentinierstraße einbiege, noch eine Runde um den St. Elisabeth-Platz, wo im Schatten der Kirche wie bestellt und nicht abgeholt ein paar Marktstandeln stehen und der Imbiss „Am Platzl“, dessen Stammgäste gerade die Praxisprüfung im Fach Müßiggang für Fortgeschrittene ablegen.
Als ich vorsichtig und sehr bedächtig bergab schreite, sehe ich auf der linken Seite die gewaltigen Fenster des Palais, das nach Adolf Ritter von Schenk heißt. Der Ritter ließ sich dieses späthistoristische Wohnpalais gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Anlehnung an römische Architekturformen des 17. Jahrhunderts bauen. Heute hängen breitformatige Flaggen von der Beletage des beeindruckenden Hauses, und ich freue mich schon, dass es mich so wenig gekostet hat, Auskunft darüber zu bekommen, warum die Argentinierstraße eigentlich Argentinierstraße heißt. Kombiniere, weil sich hier die argentinische Botschaft befindet. Stimmt nur leider nicht. Es ist die spanische. Für die Lösung der Quizfrage muss ich fast bis zum Karlsplatz gehen, wo die an eine Fassade montierte Gedenktafel die humanitäre Hilfe hervorstreicht, die Argentinien nach dem Ersten Weltkrieg an Österreich geleistet hat. Sie ist der Grund, warum der Gemeinderat im Jahr 1921 die frühere Sophien- oder Alleegasse in Argentinierstraße umbenannte.
Ich passiere das Theater Akzent, eine kulturelle Hinterlassenschaft der Wiener Arbeiterkammer mit Kabarettschwerpunkt. An der hohen Mauer zum Sportplatz des Theresianums schleiche ich schließlich der Hausnummer entgegen, die jahrelang synonym mit dem Österreichischen Rundfunk war: Argentinierstraße 30a, Sitz von Ö1, Radio Wien und FM4, des Radiokulturhauses und Radiocafés, früher einmal auch von Ö3, Radio Niederösterreich und Burgenland. Das unter Mitarbeit von Clemens Holzmeister gestaltete Haus entstand Mitte der dreißiger Jahre, es steht unter Denkmalschutz. Nicht unter Denkmalschutz, obwohl das viel nötiger wäre, stehen jedoch die Redaktionen, die hier untergebracht sind und die in absehbarer Zeit auf den Küniglberg übersiedeln sollen, an die Hietzinger Peripherie – was für ein Unsinn, welche Verschwendung von Ressourcen und Kulturen.
Ich erinnere mich an das viele Wunderbare, das aus diesem Haus an mein Ohr gelangt ist. Zeit, Danke zu sagen.
christian.seiler@kurier.at
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