Wo Bäuche zwinkern und Schenkel lächeln
Ich gehe im 22. Bezirk einer langen, langen Straße entlang, die vorschriftsmäßig beschildert ist: „22.,
Vorwerkstraße“. Alles andere an dieser Straße ist freilich ungewöhnlich. Sie ist nicht gerade, sondern krumm. Sie besitzt keine Gehsteige und keine Kreuzungen. Die Adressen links und rechts der Straße tragen keine Hausnummern, denn es sind Bäume, Sträucher, Wiesen und andere Ausformungen einer großzügigen Landschaft.
Zugegeben, ich habe die Vorwerkstraße nicht gesucht, sondern sie hat mich gefunden. Ich will nur eine der bevorzugten Wiener Sommeradressen aufsuchen, die Lobau, und als ich vom Nationalparkhaus am Biberhaufenweg ins Innere der Lobau vordringe, finde ich mich plötzlich umringt von lauter Nackerten an der Dechantlacke wieder: So beginnt nämlich die Geschichte dieses missverständlichen Ausflugs.
Klar, es ist ein heißer Sommertag, und während ich züchtig adjustiert bin, lange Hose, schweißnasses Polohemd, grüßen mich Radler und Passanten, die unvermittelt aus dem Unterholz herausbrechen, unter Einsatz des ganzen Körpers: Bäuche zwinkern mir zu, Schenkel lächeln, bunt lackierte Zehennägel machen Komplimente.
Natürlich interessiert mich, wo die Typen herkommen, also sehe ich nach. Folge einem kleinen Trampelpfad ins Unterholz, das sich prompt lichtet und den Blick frei macht auf einen wunderschönen See, umgeben von mächtigen, alten Bäumen und frischem, hellen Grün – und von einer Armada dunkelbraun gebrannter Lederhäute, die hier der Freikörperkultur nachgehen und den einzigen Typen, der hier nicht sichtbar alles wippen und baumeln lässt, ziemlich streng anschauen: mich.
Zieh dich aus, sagen die Blicke. Oder hau ab. Spechtler unerwünscht.
Eingeschüchtert flüchte ich ins Unterholz und finde zum ursprünglichen Weg zurück, dem ich Richtung „Esslinger Furt“ und „Biberrundweg“ folge. Irgendwann bemerke ich, dass ich auf der Vorwerkstraße gelandet bin – und folge ihr quer durch die wunderbare, vielgesichtige Lobau, die auf mich heute wirkt wie ein extraterrestrisches Stück Süden, das zufällig in Wien gelandet ist.
Nach langem Marsch komme ich durstig im „Uferhaus Groß Enzersdorf“ an, das direkt an der Stadtgrenze liegt. Im schattigen Gastgarten habe ich das unbestimmte Gefühl, in exakt die selben Gesichter zu schauen, denen ich vorhin schon an der Dechantlacke begegnet bin. Sagen wir so: die Farbwahl „Terracotta-Braun“ dominiert Antlitz und Schulterpartien. Die knallbunten Fahrradtrikots stehen in hübschem Kontrast dazu. Irgendwie fühle ich mich mit meinem hellblauen Polohemd schuldig. Schon wieder.
Gestärkt marschiere ich dann zurück Richtung Ölhafen Lobau. Ich will an der Lobgrundstraße den 92B nehmen. Als ich nach einer Stunde dort ankomme, sehe ich oben am Damm, der die Raffineriestraße vom Entlastungsgerinne trennt, einen dunkelbrauen Nackerten auf und ab gehen.
Jetzt reicht es mir aber. Ich erklimme den Damm, schäle mich aus den Kleidern und springe ins Wasser. Falls mich wer sehen will: Der Papierene unter all den Lederhäuten, der bin ich.
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