Weihnachtsspaziergang
Ich gehe los, kurz bevor die Dämmerung anbricht. Noch ist es hell, aber überall brennen schon Lichter, die den Weihnachtsabend willkommen heißen. Früher bin ich diese Runde immer mit meinem Hund Barolo gegangen, aber auch nach seinem Abschied in die ewigen Jagdgründe habe ich mir die Gewohnheit bewahrt, am frühen Weihnachtsabend eine halbe, dreiviertel Stunde spazieren zu gehen, bevor das Weihnachtsfest beginnt.
Von meinem Haus im kleinen Weinviertler Dorf gehe ich durch die Kellergasse hinauf zu einem Kastanienbaum, der so pittoresk in der Gegend steht, dass ich ununterbrochen in Versuchung gerate, ihn zu fotografieren – allerdings habe ich ihn schon etwa hundert Mal fotografiert, wann soll ich mir jemals die Bilder anschauen? Ich ertappe mich dabei, wie ich die Schönheit des Moments festhalten möchte, indem ich ein Bild mache, das jedoch als Bild nichts taugt: Ohne die Stimmung, den Wind, den Geruch nach Schnee wird es höchst banal sein, ein mittelprächtiges Foto eines alleinstehenden Kastanienbaums, nicht mehr, kein bisschen feierlich, kein gut getarnter Weihnachtsbaum, nur ein misslungener Versuch, einem flüchtigen Augenblick eine feste Form zu verleihen, was zwangsläufig scheitern muss.
Ich gehe weiter zu einem Barbarakreuz am Waldrand, wo ich nach links abbiege, um an der dunklen Front des Eichenwalds entlang weiter zu spazieren. Dort ist nicht viel Verkehr, und deshalb treffe oft meinen Freund, den Hasen, und meine Bekannte, das Reh. Die Freude, einander zu sehen, ist einseitig. Ich grüße lächelnd, Hase und Reh suchen das Weite. Angeblich können die Tiere des Waldes in der Christnacht ja sprechen. Aber ich bin ganz froh, dass das nur eine Legende ist. Denn was würden sie mir wohl sagen? Wir laden dich auf eine Karotte ein, Langer? Wohl: Könntest du dich bitte über die Häuser hauen, du Quäler, wenigstens heute Abend?
Die Runde führt mich über schlafende Weinberge zurück ins Dorf. Auch wenn mich ein warmes, helles Haus erwartet und ein bisschen Arbeit in der Küche, eine eingekühlte Flasche Champagner und eine längst geöffnete Flasche piemontesischen Weins für alle Fälle, bleibe ich vor dem Weinkeller vom Gauser Sepp stehen, dessen Türen heute nicht offen sind und wo unten im Pressraum nicht der Sepp und der Herrmann stehen und sich im Stehen darauf vorbereiten, den Weihnachtsabend nicht zu nüchtern anzugehen. Weil mein Hund gern in den Keller zum Gauser gegangen ist, bin ich folgsam mitgegangen, und dann wurde ich selbstverständlich in nämliche Vorbereitungen einbezogen, manchmal so lange, dass das Christkind zu Hause ein bisschen ungeduldig wurde.
Der Gauser Sepp aber hat sich inzwischen auch für immer verabschiedet, und ich vermisse ihn. Am meisten vermisse ich das Licht, das am Weihnachtsabend sparsam aus seinem Keller auf die Straße fiel, um mir zu sagen, komm herein, lass uns das Feiern noch ein bisschen aufschieben, lass uns im Rauch unseres Atems da stehen und darauf warten, dass es später so schön wird wie immer.
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