Von Ober St. Veit nach Schönbrunn

Von Ober St. Veit nach Schönbrunn
Ober St. Veit – Roter Berg – Küniglberg – Maxingstraße – Schönbrunn – Palmenhaus: 7800 Schritte

Nicht immer, wenn ich gehe, habe ich ein Ziel. Manchmal lasse ich mich treiben, manchmal nehme ich  eine Spur auf, der ich folge – so spazierte ich  von Ober St. Veit über den Roten Weg zur Werkbundsiedlung und dann über den Küniglberg Richtung Hietzing, wobei mich ein paar Gärten im Zwickel zwischen Wattmanngasse, Gloriettegasse, Tiroler Gasse und Katharina-Schratt-Park sehr interessiert hätten, wenn ich einen Blick über die Mauern hätte erhaschen können.
 Ich verschaffte mir zu Hause auf Google Maps einen Eindruck von der Dimension dieser Garten-Grundstücke, die bei jedem Immobilienmakler Schnappatmung erzeugen müssen – in Wohnungsanzeigen wird ja jeder Klopfbalkon als „herrschaftliche Außengestaltung“ ausgeschildert. Mich würde ja interessieren, mit welchen Worten eine „Außengestaltung“ beschrieben wird, die tatsächlich „herrschaftlich“ ist.
Ich ging die Maxingstraße hinunter und blieb vor der Fassade des Hauses Nummer 34 stehen, wo eine schimmernde Gedenktafel angebracht ist: „In diesem Hause wohnte seit seiner Rückkehr aus der Emigration 1947 der große Maler, Dichter und Anti-Faschist Carry Hauser“. Mir hatte André Heller vor Jahren von diesem Carry Hauser erzählt, weil er ihn als Kind in seinem Atelier besuchen durfte und dort zum ersten Mal Bilder von Oskar Kokoschka und Alfred Kubin sah. Manchmal hatte Hauser den kleinen Franzi zum Künstlerstammtisch ins Café Gröpl mitgenommen, dort hatten sie Herbert Boeckl getroffen und einmal sogar den mythenumwobenen Josef Hoffmann. Carry Hauser, so erzählte es Heller, hatte ihm gezeigt, wie durch ein paar Striche auf einer Leinwand eine Welt entsteht. So drückte Hauser dem kleinen Heller eine Eintrittskarte in die Welt der geordneten Fantasie in die Hand. Tief in Gedanken ging ich weiter und dachte darüber nach, welches die ersten Welten waren, die vor meinen Kinderaugen entstanden. Ich fürchte, dass es sich dabei um den Wilden Westen handelt, wie ihn Karl May beschrieben hat, auch wenn ich sicher sagen kann, dass ich die Naturbeschreibungen immer überblättert habe, bis die Handlung weiterging.
Wie ich so vor mich hindachte, war ich durch das Eingangstor des Schönbrunner Schlossparks gegangen und schritt zwischen den Alleebäumen aus, deren Blätter mit zartem Grün einen Schleier über den Barockgarten legten. Die paar hundert Meter zwischen Carry Hausers Haus und hier hatte ich gar nicht wahrgenommen. Wie ein Schlafwandler schreckte ich auf.
Am Rand meines Wahrnehmungskreises tauchte das Palmenhaus auf, also bog ich ab, setzte mich auf eine Bank beim Schmetterlingshaus und betrachtete den zärtlichen Schwung der Glasflächen, die vom gusseisernen Gerippe des Hauses in Façon gebracht werden. Seit 1882 schmückt das Palmenhaus den Schlosspark. Es beherbergt 4.500 Pflanzenarten, wurde zur Eröffnung mit lyrischen Poemen bedacht („Wie lieb ich Euch Dächer, o gläserne Hülle/Ihr berget des Erdenrunds Vielfalt und Fülle …“), aber auch hämisch kritisiert („… erinnert mit seinen drei Kuppeln an eine etwas zu schön geratene Bahnhofshalle“). André Heller wollte, als er ein Kind war, hier wohnen und verzieh seiner Grußmutter nicht, dass das „nicht ging“. Ich musste lächeln, als ich an die Anekdote dachte. Damit war ich  am Ziel: Das Ziel hatte mich zu sich bestellt, ich hatte es mir nicht einmal aussuchen müssen.

christian.seiler@kurier.at

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