Vom Gatterhölzl und einem lachenden Pinguin

Vom Gatterhölzl und einem lachenden Pinguin
Kennedybrücke – Schlosspark Schönbrunn – Gloriette – Hohenbergstraße – Bahnhof Meidling: 4.500 Schritte

Zuerst heißt es, an dem Shop mit den Lindorkugeln vorbeizukommen, der im ehemaligen Wärterhaus des Schönbrunner Schlossgartens untergebracht wurde, und sobald das erledigt ist, passiere ich mit geschlossenen Augen das Standl, wo sie mir die Schaumrollen verkaufen wollen. Nach bestandener Prüfung in angewandtem Verzicht spaziere ich angemessen stolz Richtung Palmenhaus. Ich setze mich sogar für ein paar Minuten auf ein Bankerl, das von der Frühlingssonne gewärmt wird und freue mich am zarten Orangenaroma meines Lindor-Riegels. Auch die Fastenzeit braucht ihre Höhepunkte. Ich steige zur Gloriette hinauf und frage mich angesichts des dort untergebrachten Cafés, warum es eigentlich an so hervorragenden Orten – unverstellter Blick auf das Schloss; den Westen von Wien; die pulsierende Stadtlandschaft bis zur Skyline drüber der Donau – keine angemessen hervorragende Tränke und Ausspeisung gibt: Landtmann, übernehmen Sie!
Aber der Schlosspark bietet noch viel mehr Fragen. Warum, zum Beispiel, ist die sogenannte „Kleine Gloriette“, ein von hohen Bäumen umgebener Aussichtsturm nahe dem Meidlinger Tor, eigentlich immer zu und vernagelt? Der Turm würde sich doch wie jener des Philosophen und Essayisten Michel de Montaigne (1533 – 1592) in der Dordogne bestens dafür eignen, dass darin gelesen, gedacht und geschrieben würde, vielleicht für den Augenblick, vielleicht – wie im Fall Montaignes – für das Publikum vieler kommender Jahrhunderte. Können wir uns leisten, dass die vielen interessanten Gedanken, die diese Kleine Gloriette befeuern würde, nicht gedacht, nicht notiert, nicht verbreitet werden? Ich verlasse Schönbrunn und überquere auf der Fußgängerbrücke die vier Fahrbahnen, die den Grünen Berg durchschneiden. Auf der Hohenbergstraße stehe ich plötzlich in einer Gartensiedlung aus den späten Zwanzigerjahren.
In dieser Zeit entstanden ja die beeindruckendsten Gemeindebauten, die meisten in Gestalt regelrechter Wohnburgen, während hier das Gegenkonzept zum Tragen kam, vielleicht, wie ein Historiker mutmaßt, weil „Schönbrunn in der Nähe“ war. Ich besichtige die beneidenswert weitläufige Anlage „Am Tivoli“, denke mir Gründe aus, warum jemand eine Apotheke „Zum lachenden Pinguin“ nennen könnte, wende mich aber dann fasziniert der gewaltigen Kuppel zu, die ich wohl, bevor ich das Kreuz auf ihrem Scheitel erkenne, für eine Moschee gehalten hätte. Aber es ist die Kirche zum Gatterhölzl, dem Heiligen Klemens Maria Hofbauer geweiht, einem der wenigen Heiligen, der einen Nachnamen hat.
Das Tor zur Kirche steht offen. Ich betrete den aus Beton und Ziegeln gebauten Rundbau, der die Fünfzigerjahre weder in der Konzeption noch in den Details verleugnet. Durch zahlreiche, farbige Glasfenster dringt gedämpftes Licht in den Raum, und hinter dem Altar aus Bozener Marmor faltet sich ein formidables, leuchtendes Farbspektrum auf, illuminiert von der späten Nachmittagssonne. Das Gebäude ist pittoresk, seine vollkommene Ruhe berückend. Es lohnt sich, die Zeitreise nach Schönbrunn hierher auszudehnen.

christian.seiler@kurier.at

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