Untersberg: Ein echter Berg
Ich gehe auf den
Untersberg, und wenn dieser schlanke Satz etwas belegt klingt, dann liegt das daran, dass es noch sehr früh ist. Da mich aber mein Freund, der in Salzburg ein Hotel mit dem Namen eines bunten Tiers betreibt, eingeladen hat, die „kleine Tour“ über den Dopplersteig, wie er verniedlichend sagte, mit ihm zu unternehmen, muss ich mich nach seinen Vorgaben richten und die lauten: „Abreise 5 Uhr 30, Wanderbeginn 6 Uhr 00, dann können wir spätestens um Viertel nach acht auf der Hochalm ein Bier trinken.“
Nun ist der Untersberg nicht die Karikatur eines Berges, sondern ein echter Berg. Wir gehen diese Tour, so mein Freund, um zu sehen, wie nahe dem barocken Stadtzentrum von Salzburg die echte Wildnis wohnt, wie sie Caspar David Friedrich nicht besser hätte einfallen können, und die Kennzahlen des Wanderführers, den ich am Abend vor dem Aufbruch kurz studiere, geben beredt Auskunft darüber, was uns erwartet: „Steiler und mühsamer Aufstieg auf den Hausberg der Salzburger mit einer versicherten rund 200 Meter langen Steilstufe vor dem Zeppezauerhaus“. Und weiter unten finde ich dann die Passage, die mich etwas, sagen wir, einschüchtert: „Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich. Für Kinder aufgrund des gewaltigen Höhenunterschieds nicht geeignet. Bei Nässe extrem gefährlich!“
Echt jetzt?
Zur Sicherheit erzähle ich meinem Wanderguide also die Geschichte, als ich in Grindelwald zur Glecksteinhütte aufsteigen wollte und von dem Wanderweg daran gehindert wurde, der maximal einen halben Meter breit war und von dort senkrecht nach unten abfiel. Während eine ganze Kolonie gut genährter Wandersleute sich in diese hochalpine Geisterbahn begaben, musste ich mir eingestehen, dass die Abwesenheit von Höhenangst nicht zu meinen hervorragenden Eigenschaften zählt. Ich drehte um.
„Geht schon“, lächelt mein Animateur und schlägt mir auf die Schulter.
Er hat Recht. Wir gehen von
Glanegg, wo wir den ziemlich eindrucksvollen Stammsitz der Familie Mayr-Melnhof passiert haben, zuerst über steile Stufen und dann über die sogenannten Himmelsleitern in die Obere Rositten, macht etwa 750 Höhenmeter in der ersten Stunde, was einen ersten Überblick über Salzburg, seine Hausberge, die Autobahnadern und den Flughafen erlaubt.
Etwas später, wir haben gerade zwei Gämsen gesehen, biegen wir auf das Steilstück ein, vor dem ich mich seit dem Abend vorher ein bisschen fürchte. Tatsächlich schmiegt sich der Aufstieg an eine steil abfallende Wand, aber während mich bereits Erinnerungen an Grindelwald plagen, macht der Wanderführer, der zugleich mein psychologischer Berater ist, seinen Job und quasselt so unwiderstehlich auf mich ein, dass ich vor lauter Quasseln vergesse, Angst zu haben, und zwanzig Minuten später haben wir die Passage hinter uns und noch einmal eine halbe Stunde später sitzen wir auf der Hochalm beim Bier, 1.500 Höhenmeter in den Beinen, einen Blick, der dir das Herz aufgehen lässt und eine Erinnerung, die mir noch lange als Gegengift zu einer früheren dienen wird.
christian.seiler@kurier.at
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