Traumwandeln in Dauerschleife
Ich gehe um den Goldegger See, das klingt nach einer beeindruckenden Runde. Das stimmt, und es stimmt nicht. Der Goldegger See, wenige Kilometer von Schwarzach auf einer malerischen Hochebene gelegen, ist nicht groß. Der Weg führt um den Moorsee und um den Schilfgürtel, der ihn umgibt. Er nimmt großzügig einen Fußballplatz mit, der neben dem See angelegt ist, und eine Eisstockbahn, über die auch im Frühjahr die Eisstöcke gleiten, die man pfiffig mit Rollen ausgestattet hat. Der Weg tangiert, dramaturgischer Höhepunkt, die alte, pittoreske Badeanstalt, von der aus ein Steg hinaus ins moorige Wasser führt, und verliert niemals das etwas übergewichtige Schloss Goldegg aus dem Blick, das dem Ort seinen Namen und dem Spaziergang seine Feierlichkeit verleiht.
Der Weg um den Goldegger See ist genau 1,4 Kilometer lang. Das ist nicht besonders viel, deshalb gehe ich oft mehr als einmal um den See. Manchmal, im Winter, begegne ich dabei Langläufern, die es schätzen, dass der Weg keine Steigungen aufweist, die steiler sind als eine Wasserwaage in perfekter Balance, aber trotzdem keine Hemmungen haben, sich in den Schnee fallen zu lassen, weil ihnen die Abfahrt zu schnell wird.
Im Frühjahr sind Jogger unterwegs, die so schnell laufen wie junge Hunde, die ihren Schwanz jagen, und andere, die so gemächlich am Weg sind, dass ich jederzeit mit ihnen Schritt halten kann, was zu merkwürdigen Begegnungen führen kann: Denn nichts ist verstörender als die Begegnung von langsamen Läufern, die glauben, ein ansprechendes Tempo angeschlagen zu haben, und schnellen Gehern, denen die Angewohnheit, ihrem Schritt zu gehorchen, eine gewisse Grundgeschwindkeit angedeihen lässt. Sie gehen (oder laufen) einander lieber aus dem Weg.
Ich gehe die zweite Runde fast lieber als die erste und die dritte fast lieber als die zweite. So kann ich, was ich sehe, lächelnd genießen, weil ich weiß: Ich komme gleich wieder, und falls ich etwas Interessantes verpasst habe – die Wildkräuter am Wegrand, die zurückhaltenden Blüten eines Strauches, dessen Namen ich nicht weiß, einen Hundsdreck, in den ich noch nicht gestiegen bin –, dann eben beim nächsten Mal.
Ich liebe die Wiederholung, deshalb bin ich auch oft hier, Gast im „Seehof“, einem der ansprechendsten, kleinen Hotels, das ich kenne, weltweit. Ich komme an, trinke an der Bar einen Bergapfelsaft aus Südtirol, herze die Möpse, die hier wohnen und beziehe, wenn eines frei ist, ein Zimmer mit Blick auf den See.
Dort stehe ich dann auf dem Balkon, betrachte, wie der späte Nachmittag seine Farben über dem Wasser ausbreitet, und sehe schon mich selbst, wie ich um den See gehe, flott, aber nicht hastig, aufmerksam, aber den eigenen Gedanken aufgeschlossen, allein, aber jeder Begegnung zugewandt, in der verführerischen Gewissheit, dass ich vielleicht noch eine vierte Runde gehen sollte, weil der Chef vorhin etwas von einem Zwischengang mit Innereien und Spargel gesagt hat, und ich weiß, dass ich da nicht widerstehen können werde.
Und ja: Es ist ein Traum, in solchen Gewohnheiten zu Hause zu sein.
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