Reiz des Verbotenen

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U-Bahn Hütteldorf – Bräuhausbrücke – Wienflussweg – Kennedybrücke: 6500 Schritte.

Ich gehe durch das Wienflussbecken in Richtung Innenstadt. Das klingt jetzt, ja, ein bisschen nach Abenteuer, und tatsächlich denke ich, als ich draußen in Hütteldorf endlich den Zustieg zum Wientalweg gefunden habe, ernsthaft darüber nach, ob ich hier eventuell trockenen Fußes die Gelegenheit vorfinden werde, auf den Spuren des Dritten Manns in den Untergrund von Wien einzusteigen.

Aber erst einmal ist der Wientalweg, den – wenn ich die Informationstafeln beim Einstieg richtig interpretiere – die Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima persönlich angelegt hat, ein echtes Vergnügen für Radfahrer, Jogger, Kapuzenshirtinhaber, die ihre Köter äußerln führen, – und mich. Der Weg bereichert die überdimensionale, mit Pflastersteinen ausgekleidete Betonrinne, in der das Rinnsal des Wienflusses in Richtung Donaukanal fließt, um völlig neue Perspektiven. Von unten betrachtet wirkt zum Beispiel die Auffahrt zur A1, der Westautobahn, urban und lebendig. Ich meine dieselbe ungezähmte Lebendigkeit, die auch zum Beispiel Industriebrachen auszeichnet, wo genügsame Pflanzen sich im offensichtlich ungastlichen Habitat einnisten, um nach gewisser Zeit das Kommando über den Ort zu übernehmen. Ich gehe also unter der auf ihren Stelzen stehenden Autobahnauffahrt und höre das Wummern der Autos, die sich gerade auf den Weg nach Innermanzing, Salzburg, München oder Basel verabschieden. Ich nicke dem Jogger zu, der mit raumgreifenden Schritten auf mich zuläuft, mich wie einen Flaggenmast umrundet und wieder zurück in die Richtung aus der er gekommen ist, verschwindet, und für ein paar Sekunden höre ich auch das Wummern der Musik aus den Ohrstöpseln, die er trägt. Er mag es laut, das ist sicher.

Ich bleibe stehen und betrachte den Bahnhof Hütteldorf, wie ihn der Stadtarchitekt Otto Wagner seinerzeit geplant hat, als die U-Bahn noch Stadtbahn hieß und die Garnituren im Linksverkehr unterwegs waren. Ich sehe einen Silberpfeil, der aus dem Bahnhof rollt und über die Brücke gleitet, auf deren Rückseite alle stadtauswärts fahrenden Automobile eingeladen werden, beim Pflanzengroßmarkt Praskac vorbeizuschauen. Ich sehe, dass das Architekturbüro Gaupenraub, das den schönsten Namen hat, den sich Architekten jemals gaben, sein Büro unter den U-Bahngleisen vergrößert. Ich sehe, dass ganz schön viele Rapidfans Spraydosen auf ihren Spaziergang über den Wientalweg mitgenommen haben.

Steil führen Stufen hinauf zur Fahrbahn der Wientalstraße, groteskerweise flankiert vom Schild "Betreten verboten". Wegen diesem Verbot, das es schon gab, als ich als Jugendlicher hier herunterstieg, um unbeobachtet meine erste Zigarette zu rauchen – eine Nil aus der Zehnerpackung. Gibt es die Marke noch? – kann ich auch jetzt noch den Reiz des Verbotenen spüren, der früher jeden Spaziergang im Wienflussbecken begleitete. Als ich nach Hietzing komme, merke ich, dass ohne hohe Gummistiefel kein Weg ins Reich des Dritten Manns führt. Aber ich werde diesen Weg einschlagen, wie und wann auch immer. Ihr werdet davon hören.

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