Nocturne für die Hauptallee
Ich gehe die
Hauptallee entlang, wieder einmal, nachdem ich im Lusthaus keine Lusthaustorte gegessen habe, sondern eine Apfeltorte. Ich sage immer, ich gehe ins Lusthaus eine Lusthaustorte essen, weil das so gut klingt, aber wenn ich dann da bin, fällt mir ein, dass die Lusthaustorte mit etwas zu viel Creme gemacht wird, was ich gar nicht so gern habe. Vielleicht muss ich in Zukunft sagen, ich gehe ins Apfelhaus auf eine Apfeltorte, aber dann weiß niemand, was ich meine.
Tatsache ist, dass von dort – ihr wisst schon – die Prater Hauptallee schnurgerade zum Praterstern führt. Ich habe der Hauptallee schon einige Balladen gesungen, aber diesmal ist es eine Nocturne.
Speziell die Sonntage verflüchtigen sich seit der Sommerzeitumstellung unangemessen schnell. Gerade hast du Mittag gegessen und begibst dich satt auf einen kleinen Spaziergang, siehst du schon die depperten Raben zu ihren Nachtquartieren aufbrechen, und über die Hauptallee senkt sich das matte Halblicht der Dämmerung, ergänzt um den Schleier des Hochnebels, der schon über dem ganzen Tag gelegen war.
An dieser Stelle würde der Hinweis auf die schönste Neuerscheinung dieses Herbstes passen, nämlich das Schubert-Album von Anja Lechner und Pablo Márquez, auf dem die beiden Virtuosen mit Cello und Gitarre „Die Nacht“ zelebrieren, Nocturnes, Sonaten, Lieder, von fast schon unwirklicher Schönheit. Eigentlich wollte ich mir diesen Hinweis für eine Schubertwanderung aufheben, die von Schuberts Geburtshaus in der Nussdorfer Straße über das Denkmal im Stadtpark zur Sterbewohnung in der Kettenbrückengasse führen könnte, dort hätte ich auch darauf aufmerksam gemacht, dass die gültigen Aufnahmen der „Schönen Müllerin“ und der „Winterreise“ vom Bassbariton Florian Boesch stammen und dass man nicht darauf vergessen darf, hin und wieder Franuis „Schubertlieder“ hervorzunehmen, deren Tanzbodencharme so frisch ist wie vor zwanzig Jahren.
Jetzt geht es auf der Hauptallee aber gar nicht so besinnlich zu, dass wir Zeit für Schubert hätten. Denn nicht nur mein Zeitgefühl wird von der frühen Dunkelheit auf der Hauptallee überrascht. Auch die lustige Bande auf dem Tretboot mit Rädern hätte gern noch ein bisschen Licht, um ihren Türkenhiphop angemessen durch das duftende Laub zu karren. Die Jogger mit den großen Plänen werden heute auch keinen Marathon mehr erledigen. Selbst die Liliputbahn hat darauf vergessen, dass man nur ihre eigene Lok sieht, wenn sie durch die Wälder nebst der Hauptallee kreuzt, und dass die Lustreise auf einem der offenen Panoramawaggons nur mehr wenig Panorama zu bieten hat. Ein paar mit Leuchthalsbändern verzierte Hunde brechen aus dem Dickicht, dabei ist Halloween schon längst vorbei. Die Tiere heißen aber zum Glück eh Burli und Hansi und nicht Brutus und Voldemort.
Wohlig, wie eine Werbung aus der Zeit, als Whiskeyfirmen noch Anzeigen schalten durften, springt mir das Buffet bei der Endstelle des 1ers in die Augen. Zeit für ein Nachtblech. Die Sonne ist ja zum Glück schon untergegangen.
christian.seiler@kurier.at
freizeit für daheim
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