MuseumsQuartier: Was hätte sein können

MuseumsQuartier: Was hätte sein können
MuseumsQuartier Eingang Breite Gasse – Ausgang Museumsstraße: 3800 Schritte

Ich gehe über die Maschekseite ins MuseumsQuartier, über die Brücke, die von der Breite Gasse in das vor mir liegende Areal führt, auch wenn ich das MuseumsQuartier normalerweise durch Hof 7 betrete, wo sich das Az W, Wiens superbes Architekturmuseum befindet, aber auch das Restaurant Corbaci, die Kantine des Architekturzentrums und ohne jeden Zweifel das beste Restaurant im gesamten MQ. Nur damit das einmal gesagt ist.
Noch etwas möchte ich sagen, nämlich angesichts der Tatsache, dass das MuseumsQuartier so belebt und vital und überhaupt in zahllosen Details ganz außerordentlich wunderbar ist: Das ist erstens nicht selbstverständlich, und zweitens hätte es noch viel besser kommen können.
Es kann sich ja kaum jemand mehr daran erinnern, dass es einen regelrechten Kulturkampf um die ehemaligen Hofstallungen gab, in denen jahrzehntelang die Wiener Messe untergebracht war. Die Architekten Ortner&Ortner hatten als Sieger des entsprechenden Wettbewerbs vor, darin ein Kulturgelände zu errichten, das die barocken Grenzen sprengt, sozusagen architektonisch aus der Haut fährt. Zwei weithin sichtbare Türme sollten freies, ungebremstes Denken symbolisieren.
An einem dieser Wahrzeichen, dem sogenannten „Leseturm“, machte sich eine wütende Diskussion fest, was Architektur innerhalb barocker Umgebungen dürfen soll (kommt euch das irgendwie bekannt vor, Heumarktianer?). Als Wiens Bürgermeister Helmut Zilk – so lange ist das her – 1994 den Bau des Leseturms absagte, war das MuseumsQuartier so gut wie tot. 2001 wurde es schließlich in stark redimensionierter Form eröffnet, und es hat sich gut gemacht, keine Frage.
Ich gehe am dunklen Basaltwürfel des Mumok vorbei, hinunter in den Hof, wo die zahllosen Enzis herumkugeln und darauf noch mehr Jugendliche, die das Angebot, an einem schönen Ort chillen zu dürfen, ohne dafür bezahlen zu müssen, gerne annehmen. Das aus weißem Muschelkalk gebaute Leopoldmuseum zwinkert mir freundlich zu, und ich drehe eine Runde, auf der mir die vielen interessanten, manchmal witzigen, manchmal versponnenen Angebote ins Auge springen, die „Mikromuseen“ in den Durchgängen zwischen den Höfen, das Blubbern der TONSPUR, die Automatenkunst hinter dem Dschungel, dies und das in der Electric Avenue, eine zweite Runde, zu den Künstlerateliers an der Grenze zur Wohngegend des siebten Bezirks, eine dritte, auf der ich auf den oktogonalen Ziegelbau stoße, den ehemaligen Sattlerhof, wo sich Kaiserin Sisi eine private Reithalle einrichten ließ, sie hatte es ja nicht so mit Gesellschaft.
Hier ist längst die Bibliothek des Az W eingezogen, es lohnt sich, hier auf einen Abstecher vorbeizuschauen. Als ich durch das Tonnengewölbe des Haupteingangs das MQ verlasse, weiß ich nicht, was ich denken soll. Ist dieser Ort trotz angezogener Handbremse zu einem brillanten Schaufenster der Kulturstadt Wien geworden? Oder gerade deshalb, weil er nicht zu viel wollte? Ich hänge eher der ersten Theorie an, und manchmal, in aller Freude über das, was ist, vermisse ich, was hätte sein können.
 christian.seiler@kurier.at

 

 

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