Mit Koolhaas in Mailand

Mit Koolhaas in Mailand
Via Giorgio Vasari – Via S. Rocco – Via Giulio Romano – Via Giuseppe Ripamonti – Fondazione Prada: 3500 Schritte

Ich gehe über die Via Giuseppe Ripamonti, das ist eine, sagen wir es ehrlich, hässliche Straße. Sie verbindet das Zentrum Mailands mit der Brache im Süden der Stadt, wo hinter den aufgelassenen Geleisen des Bahnhofs „Milano Porta Romana“ die Märchenwelt der Fondazione Prada entstanden ist.
Während ich über das Brückengeländer die verkrauteten, sich im Nichts verlaufenden Gleise betrachte, fällt mir schon der schneeweiße Turm auf, der gleich neben dem Bahnhofsgelände aus dem Boden gewachsen ist. Seine Form ist unregelmäßig, von einer fordernden Ästhetik, und die sauberen Schnittflächen und Verglasungen setzen ihn vom Rest der Umgebung ab, von Industriegebäuden, besprayten Mauern, aufgelassenen Werkstätten.
Ich bin guter Dinge, denn ich habe gerade bei „Pastamadre“ zu Mittag gegessen, das war, wie in Mailand üblich, ein Erlebnis. Mit dem Schwung der beiden Gläser Weißwein, die ich zum ausgebackenen Tintenfisch verzehrt hatte, durchquerte ich zuerst das Quartier oberhalb der Viale Isonzo, bevor ich nach Süden einschwenkte und entlang der Straßenbahnschienen marschierte, bis besagter Turm ins Sichtfeld kam. Er stammt, Leser der Kulturseiten wissen das, aus dem Planungsbüro des holländischen Stararchitekten Rem Koolhaas, der den Masterplan für den Umbau einer ehemaligen Destillerie in Mailands interessantesten Kunstcampus lieferte.
Ich gehe, magisch angezogen vom weißen Turm, durch eine abgefuckte Gasse, die ich sonst nur nehmen würde, wenn an ihrem Ende ein Regenbogen entspringt, bis ich schließlich ein paar andere Menschen sehe, die so wie ich den Eingang zu dem Gelände suchen, das seit 1910 von der Società Italiana Spiriti bewirtschaftet wurde, bevor es die Kunststiftung des Modelabels übernahm und in das Wunderland verwandelte, das ich jetzt betrete.
Es ist ein unaufgeregtes Gelände, fast jedenfalls. Zu sieben existierenden Gebäuden hat Koolhaas drei hinzugefügt, eines – darin sind Werke von Louise Bourgeois und Robert Gober ausgestellt – ist mit 24-karätigem Blattgold belegt. Das bisschen Blingbling soll aber nicht ablenken von der Coolness des Ortes, vom unaufgeregten Schnitt der einzelnen Hallen, die noch dazu mit höchst unterschiedlichen, herausfordernden Ausstellungen bestückt sind und keineswegs bloß kulinarische Großkunst präsentieren.
Ich verbrachte einen halben Tag auf dem Gelände, inspiriert, angezogen, abgestoßen, unter freiem Himmel sitzend und in den Himmel über Mailand starrend, den Koolhaas-Turm im und neben dem Blickfeld, und als ich schließlich ins Café ging, um mich zu stärken, machten mir die witzig arrangierten Pastellfarben, aus denen der Regisseur Wes Anderson das Inventar seiner „Bar Luce“ zusammengeschraubt hatte, sprunghaft gute Laune, als wäre ich in seinem legendären „Grand Hotel Budapest“ einquartiert und gleich würde Ralph Fiennes um die Ecke biegen, um mich auf eine Flasche Champagner einzuladen.
Er kam dann doch nicht, und ich marschierte den Weg, den ich gekommen war, zurück, dem Abendessen in der „Trattoria Trippa“ entgegen.

christian.seiler@kurier.at

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