Ich habe gesündigt und tue Buße
Ich gehe, weil ich gesündigt habe, von der Straßenbahnstation
Dommayergasse über die Hietzinger Hauptstraße, biege in die Lainzer Straße ein und bewege mich auf dieser breiten, von den Straßenbahnschienen der Linie 60 geteilten Hauptstraße des Stadtteils Lainz stadtauswärts.
Ich gehe hier, um mit jedem Schritt Buße zu tun. Ich habe die Lainzer Straße, die von Hietzing bis nach Speising führt, in einer Kolumne fälschlicherweise für die Speisinger Straße gehalten. Zahlreiche Leserinnen und Leser haben mich charmant, aber bestimmt darauf aufmerksam gemacht, dass die echte Speisinger Straße erst dort beginnt, wo sich die Lainzer Straße mit einem Linksknick ziemlich unglamourös in die Preyergasse verabschiedet. Dort entspringt dann auch die Speisinger Straße, flankiert von einem Fahrverbotsschild (ausgenommen Fahrräder) und einem Bahnschranken.
Ich betreibe mit jedem Schritt tätige Reue, links, Lainzer Straße, rechts, ist nicht, links, die Speisinger Straße, rechts, du Depp. Macht trotzdem Spaß, die Lainzer Straße entlangzugehen. In einer Fruchtbarkeitsklinik auf der rechten Seite ordiniert ein Arzt, der genauso heißt wie sein Beruf, während auf der anderen Straßenseite ein Teppichdoktor zugange ist.
Man sieht der Lainzer Straße ihre Vorstadtvergangenheit an. Viele Häuser sind einstöckige Bürger- oder Handwerkerhäuser, dazwischen haben sich ein paar klassizistische Villen und, weniger berauschend, Fertigteilhäuser mit Eigentumswohnungen gestapelt. Auf Nummer 49 komme ich am früheren Polizeikommissariat vorbei, das mich nicht nur immer mit seiner Ziegelfassade und den ausladenden Wintergärten beeindruckt hat, sondern mit der Tatsache, dass direkt über dem Wachzimmer Menschen wohnen durften, zum Beispiel berühmte Schauspieler, bei denen sicher nie eingebrochen wurde. Aber das Kommissariat ist im Jahr 2017 abgesiedelt worden. Es befindet sich jetzt genau 100 Hausnummern weiter stadtauswärts.
Ich komme vorbei an der Galerie Otto, wo immer Bilder verkauft wurden, die nicht wehtun, gehe auf der schmäler werdenden Lainzer Straße vorbei an vielen schönen, wenn auch etwas abweisenden Vorstadtvillen, bis die Straße wieder weiter wird und sich ein Gemeindebau aus den Fünfzigerjahren ins Bild schiebt.
Hier könnte man auf den Küniglberg abbiegen, hätte man nicht etwas gutzumachen, also gehe ich weiter auf der Lainzer Straße zum Wambacher Heurigen, den ich links liegen lasse, und zum Kardinal-König-Platz, wo sich die Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit bescheiden ins Ensemble fügt.
Bevor ich nun tatsächlich zum Ursprung der Speisinger Straße komme und mich wehmütig an das fabelhafte Wirtshaus Schlusche erinnere, das direkt am Bahnschranken stand und heute Waldtzeile heißt, betrachte ich noch das Palais De Pauli von Enzenbühl aus dem 18. Jahrhundert, das heute zwar ein bisschen geschleckt aussieht, aber noch immer Grandezza versprüht, von der die Lainzer Straße gar nicht genug bekommen kann. Finde ich. Und gehe büßend weiter auf der Speisinger Straße bis nach Mauer.
christian.seiler@kurier.at
freizeit für daheim
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