Hohe Salve: Dampfend auf den Gipfel
Ich gehe den Gipfelweg zur Hohen Salve hinauf und dampfe wie ein Pferd. Ja, Freunde mit Ortskenntnis, ich weiß, dass es sowohl von
Hopfgarten wie auch von Söll eine Seilbahn auf diesen außerordentlichen Aussichtsgipfel gibt, Kitzbüheler Alpen, 1.829 Meter hoch, Blick auf den Wilden Kaiser auf der einen Seite, aufs Kitzbüheler Horn, den Großvenediger und was weiß ich noch alles auf der anderen – dafür habe ich ja mein Handy in der Tasche, das nicht nur meine schweren Schritte zählt, sondern mir auch bei Bedarf erklärt, welche Gipfel ich gerade betrachte (das eine besorgt das iPhone selbst, das andere die erstaunliche „App PeakFinder“).
Ich dampfe, weil ich nicht mit der Bahn fahren möchte. Ich bin über einen eher gesichtslosen Güterweg von Hopfgarten zur Mittelstation aufgestiegen und wurde permanent von Mountainbikern überholt, von denen manche auf dörrzwetschgenmäßige Art drahtig waren wie alle sportelnden Tiroler, manche aber eher danach aussahen, als hätten sie die Vorschriften ihrer Weight-Watchers-Gruppe so oft übertreten, dass sie zur Strafe in ein hautenges Radlergwandl gesteckt wurden, um sich im Naherholungsgebiet betrachten und verspotten zu lassen. Das waren, sehr zu meiner Überraschung, die schnelleren Radfahrer, und ich brauchte ein bisschen, bis ich herausfand, warum: Der Buchstabe E. Sie alle ritten ein E-Bike.
Von der Mittelstation stieg ich über ernsthaft steile Pfade zur Rigi-Hütte auf, wo ich einige der E-Biker wiedertraf, die den Speck und das Selchfleisch testeten, trank eine erfrischende Buttermilch mit Erdbeermark und machte mich auf die letzte Etappe zum Gipfel, wie gesagt: dampfend wie ein Pferd.
Je höher ich steige, desto fabelhafter wird die Aussicht. Über mir schwirren bunte Paragleiter, und ich genieße es, langsam und beständig im Zickzack aufzusteigen, spüre, wie der Wind frischer wird und wäre fast in eine spezielle Form der Bergeuphorie verfallen, hätte nicht der Verkehr abrupt zugenommen.
Nicht etwa, dass mich Dörrzwetschgentiroler beim Aufstieg überholt und stehen gelassen hätten. Sowas halte ich aus. Es waren die Absteiger, ganze Rudel von Familien, die mit der Bahn bis ganz hinauf zum Gipfel gefahren waren, und jetzt mit heulenden Kindern zum Hexenwasser abstiegen, zur Kinderunterhaltung mit Wanderzugabe (oder umgekehrt), nein, wir sind noch nicht da, Johannes, geh bitte weiter, Johanna, sonst, sonst, sonst stürzt sich die Mama vom Berg ... Sowas habe ich wirklich gehört.
Ich gehe weiter, es ist steil und steinig, ich dampfe und bin froh, dass ich meine festen Bergschuhe angezogen habe, während mir junge Frauen in offenen Sandalen entgegenkommen, ich kann schon die Schnitte und die Blasen an ihren Zehen sehen, eine schiebt allen Ernstes einen Kinderwagen, bergab!, ich traue meinen Augen nicht und ahne schon die Schlagzeilen, „Kinderwagen mit 80km/h in Hexenwasser gestürzt“.
Das ist zum Glück nicht passiert. Gültig aber ist die alte Attwenger-Sentenz: „Blödheit bleibt Blödheit“.
Auf dem Gipfel der wunderbarste Rundblick. Abfahrt mit der Seilbahn.
christian.seiler@kurier.at
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