Heiteres Spazieren bei minderwertigem Wetter
Ich gehe über den
Mexikoplatz und muss grinsen. Als ich hier das erste Mal entlangging, hielt ich den Ort noch für gefährlich. Irgendwer hatte mir gesagt, dass ich hier alles kaufen kann, was mein Herz begehrt, eine Kalaschnikow oder ein Kilo Kokain, und abgesehen davon, dass mein Herz niemals ein Kilo Kokain oder eine Kalaschnikow begehrte, fühlte ich mich so, als täte ich es und kehrte von meinem Spaziergang ohne neue Aufschlüsse, dafür aber mit schlechtem Gewissen zurück.
Diesmal heiteres Spazieren bei minderwertigem Wetter. Ich komme von der Wehlistraße, deren Name so klingt, als hätte sich die Leopoldstadt eine Straße aus Zürich ausgeborgt, dabei heißt sie bloß nach dem adeligen Vizepräsidenten der Donauregulierungskommission.
Jetzt liegt der große Mexikoplatz vor mir, ein urbaner Unort, durchschnitten von der Auffahrt zur Reichsbrücke und den beiden Zubringern zum Handelskai. Die landläufige Annahme des Städters – damit meine ich gut verklausuliert mich selbst – besteht ja darin, dass Auffahrten und Zubringer im Nachhinein gebaut worden sind, um prachtvoll situierte Parkanlagen zu verschandeln, aber so einfach ist das hier nicht.
Denn bis zu den Zeiten der Donauregulierung – remember, Freiherr von Wehli? – war dieser Ort eine Gstättn am Donauufer namens Schwimmschulenmais und erlangte erst eine gewisse Bedeutung, als 1876 die Kronprinz-Rudolf-Brücke über die inzwischen regulierte Donau gebaut wurde, samt Zubringern und großzügig bemessenem Grünraum. So wurde die Gstättn zum Platz: zuerst zum Erzherzog-Karl-Platz, im Roten Wien zum Volkswehrplatz, anschließend noch einmal zum Erzherzog-Karl-Platz, bis ein Gemeinderatsbeschluss im Jahr 1956 die Umbenennung auf den heutigen Namen „Mexikoplatz“ verfügte, weil Mexiko im Jahr 1938 das einzige Land war, das vor dem Völkerbund gegen den Anschluss Österreichs an Hitlers Deutsches Reich protestiert hatte.
Ich gehe an Gemeindebauten mit freien Blick über Park und Brückenauffahrt vorbei, biege in die Sackgasse ein, die auch „Mexikoplatz“ heißt und der entlang ich bis zur Lassallestraße gehen muss, um dort auf die südöstliche Seite des Platzes zu wechseln, wo die monumentale Franz-von-Assisi-Kirche sitzt, die ein bisschen so aussieht, als wäre sie von einer Gruppe hyperaktiver Kinder im Werkunterricht entworfen worden.
Noch ein Türmchen, noch ein Dächlein, mittelalterliche Bögen, gotische Fensterlein, und von allem zu viel. Hier am Platz befinden sich noch immer ein paar Import-Export-Geschäfte, wo ich mir vorstelle, dass – siehe oben – alles zu bekommen ist und alles verkauft werden kann, wenn man nur weiß, was wen interessiert.
Angeblich trafen und treffen einander Matrosen, deren Schiffe an den nahen Anlegeplätzen ankern, mit ihren seßhaften Kollegen im selbst erklärten Zollfreigebiet. Ich weiß es nicht, denn ich ließ mich von einem gut sortierten türkischen Supermarkt verführen, mir ein artiges Fladenbrot und einen kühlen Becher Ayran mitzunehmen. Dafür bekam ich ohne zu fragen sogar eine Rechnung.
christian.seiler@kurier.at
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