Grüaß di

Grüaß di
Sievering – Häuserl am Roan – Grüass di a Gott Wirt – Hermannskogel: 9400 Schritte.

Ich gehe bergauf, mein Ziel ist der höchste Punkt von Wien. Weil nein, das ist nämlich nicht der Stephansdom und auch nicht der Donauturm und nicht einmal der schlanke, schöne DC-Tower neben der UNO-City, auch wenn für den nicht weniger als 250 Meter Höhe im Protokoll stehen. Mein Ziel bleibt dennoch die Habsburgerwarte auf dem Hermannskogel, 542 Meter hoch, die ich heute ohne Sauerstoff besteigen werde.Schon die Anreise – wir Bergsteiger nennen das "den Zustieg" – ist ein Erlebnis. Mit dem 39A bis Sievering, von dort durch die Agnesgasse hinauf zu den Salmannsdorfer Weingärten, an deren Rand ich mein liebstes Tempo anschlage: lange, elastische Schritte, nicht so schnell, dass mir vom Fahrtwind die Tränen in die Augen steigen, und immer gewärtig, stehenzubleiben und etwas Erstaunliches aus der Nähe zu betrachten: zwei Nüsse, die Zwillinge sein müssen; den Hirschkäfer, der hier aufgebahrt wurde; oder aber auch dieser Blick über Wien, der von hier schon ziemlich reizvoll ist, wie über eine riesenhafte Spielzeugeisenbahnplatte von Märklin, nur ohne Eisenbahn. Als ich zum "Häuserl am Roan" komme, begegnet mir ein alter Freund, dem das Wasser in den Augen steht. "Was ist los, Phil?", frage ich einfühlsam, aber er antwortet nur: "Gänse." Aha, er hat also gar keine Tränen in den Augen, sondern Ganslfett. "Nein", sagt er. "Ich bin nur so gerührt, wie gut es geschmeckt hat." Wenn das keine Werbung für Gänse im Sommer ist.Ich lasse mich von der Idee, an einem schattigen Tisch eine Gans abzunagen, natürlich nicht verführen und gehe weiter meinen Weg, unterquere die Höhenstraße, folge dem "Stadtwanderweg 2", der mich nun zum "Grüass Di a Gott Wirt" bringt. Dort muss ich stehenbleiben und nachdenken: Was will mir der Dichter damit sagen? Dass mich hier ein Gott begrüßt, einer von vielen? Oder dass dieser Gott mich auch – wienerisch: a – begrüßt? Oder dass der Wirt persönlich dieser Gott … nein, diesen frevlerischen Gedanken spreche ich nicht einmal aus …Noch eine dreiviertel Stunde geradeaus, und ich habe den Hermannskogel erklommen. Es ist keine Erstbesteigung, auf dem Gipfel warten schon die Habsburgerwarte und ein Dickicht von Antennen und Satellitenschüsseln; hier, auf dem von mir bezwungenen Sandsteinfelsen, befindet sich nämlich der so genannte Fundamentalpunkt der Landvermessung von Österreich-Ungarn. Man darf sich, vor allem wenn man den Zeiten der Monarchie wehmütig nachhängt, also im Zentrum von allem, am Ursprung aller Koordinaten fühlen.

Ich probiere das aus. Es ist Samstag, die Warte hat (wie an allen Wochenenden und Feiertagen zwischen Mai und Oktober) geöffnet. Für ein paar Cent darf ich die Stiegen hinauf zur Aussichtsplattform steigen und mich für einen Moment als größter, oder sagen wir: höchster Mann von Wien fühlen. Kann nur sagen: erhebend!Der Blick: lohnend. Dramatisches Hügelland hier, kleine Karpaten und Hainburger Pforte dort. Dazu dieses historische Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen.

Ich breite die Arme aus und spreche zum Volk: Grüaß di a Gott.

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