Freudenau: Urbanes Geheimnis
Ich gehe in den Windschatten aller Aufmerksamkeiten, die der Prater an seinem südöstlichen Ende zu bieten hat. Es geht weder um das Lusthaus noch um die Wallfahrtskirche Maria-Eis, auch die Golfer auf dem poshen Golfplatz Freudenau sind vor meiner Aufmerksamkeit sicher. Da ich keine Rösser habe, die sonn- und feiertags poliert werden müssen, treibe ich mich auch nicht in den Stallungen der Galopprennbahn herum, wobei: Als ich nach einem Spaziergang entlang der
Hauptallee von einer unangemessenen Portion Neugier übermannt werde, drehe ich beim Lusthaus nicht einfach um, sondern biege nach rechts in die Rennbahnstraße ab, die schnurgerade zum großen Oval der Pferderennbahn führt.
Wo der Autobus seine Schleife macht und das Wirtshaus steht, das mir Kollege Holzer von weiter vorne irgendwann einmal ans Herz gelegt hat, biege ich nach rechts ab. Das Wirtshaus hat zu. Ich folge der kleinen Straße, an deren Verästelungen zahlreiche SUV mit Anhängern für den Pferdetransport parken (okay: wo, wenn nicht hier?), aber dann macht sich rechts schon eine Lagerwiese breit, und nur weil ein Pfeil nach links zeigt und mir den Weg zum „Katzenheim Freudenau“ weisen will, biege ich ein nächstes Mal ab, diesmal nach links. Plötzlich ist besagter Windschatten aller Aufmerksamkeiten mit Händen zu greifen. In großzügigem Abstand zueinander stehen aus rohen Ziegeln gemauerte Häuser, in denen zu einer anderen Zeit wohl einmal Stallungen untergebracht waren, aber auch die Menschen, die diese Stallungen bewirtschafteten, und zumindest die sind geblieben: Ich sehe zum Trocknen aufgehängte Wäsche und Satellitenschüsseln für den Fernsehempfang, vor den wuchtigen Fassaden angelegte und aufmerksam gepflegte Gemüsegärten. Ein übereifriger Hund bellt mich an, als ich einen Pfau beobachte, der auf einem Vordach steht und sich ein bisschen wichtig macht, und ich schrecke zusammen, als das Bellen des Hundes einen ganzen Schwarm Tauben in Bewegung setzt, der vom Dach des Hauses abhebt und sich knatternd entfernt. Hier bin ich noch nie gewesen, und ich fühle mich ein bisschen beklommen, vielleicht, weil ich keinen einzigen Menschen sehen kann. Die schönen Häuser erzählen ihre Geschichte von einer besseren Zeit, und nur ein paar grasende Pferde erinnern ans Jetzt, an den Sport, für den sie wohl leben, auch wenn dem Pferdesport in Österreich so ziemlich jeder Glamour fehlt, der ihn anderswo begleitet.
Ich gehe weiter und komme zur Haupttribüne der Rennbahn, die 1839 eröffnet worden ist. Natürlich hätte ich mir die historische Stätte samt Kaiserloge gern angesehen, wenn mich verschlungene Wege schon hierher geführt haben, aber ein entschlossener Stacheldrahtzaun hindert mich daran. Eine gebieterische Tafel weist mich darauf hin, dass ich mit einer Besitzstörungsklage zu rechnen habe, wenn ich ihrer Anordnung nicht Folge leiste. Schade.
Ich irre weiter, bis ich irgendwann im Zwickel zwischen Ostautobahn und Donaukanal ankomme und das sichere Gefühl habe, dass es mehr urbane Geheimnisse gibt, als ich je lösen kann.
christian.seiler@kurier.at
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