Eine traurige Geschichte
Ich gehe über die Baumgartner Höhe, und der Spaziergang über das Krankenhausgelände schleudert mich aus der Zeit. Das ist einerseits der klaren Ordnung der Architektur zuzuschreiben, die auf den Entwurf von Otto Wagner zurückgeht. 1907 wurde auf dem Südhang des Galitzinbergs 26 das "Psychiatrische Krankenhaus" in Betrieb genommen.Die 26 Pavillons haben nichts von ihrer Eleganz eingebüßt, außer dass der eine oder andere ein bisschen Maureraufmerksamkeit vertragen könnte. Die in Rohziegelbauweise errichteten Gebäude bilden ein Ensemble von perfekter Symmetrie. Entlang der Mittelachse, die vom Anstaltseingang an der Adresse "Baumgartner Höhe 1" bis hinauf zur berühmten Jugendstilkirche Otto Wagners mit der weithin sichtbaren, goldenen Kuppel führt, sind auf eigenen Terrassen Verwaltungsgebäude, Theater und Küchengebäude angelegt, links und rechts davon die Gebäude für die Kranken.
Ich gehe ohne Plan und Ziel über das Areal. Ich betrachte die Veranden und Wintergärten der Pavillons, die – genauso wie die Gemeinschaftsgebäude – dafür gemacht waren, den Kranken das Leben erträglich zu gestalten, und ich bilde mir ein, die Empathie zu spüren, die beim Entwurf der Anlage in die Planung eingeflossen ist. Natürlich denke ich auch an meine eigenen Besuche auf der Baumgartner Höhe. Längst waren auch die Pulmologie und das Neurologische Zentrum eingezogen. Meine Großmutter musste hier einmal Weihnachten verbringen, und ein Freund kurierte eine rätselhafte Lungenentzündung vorzugsweise unter einem Baum vor seinem Pavillon aus, wo ihm der Arzt erlaubte, pro Tag zwei Zigaretten zu rauchen. Ich erinnere mich an Spaziergänge mit einem Schweizer Freund, der über den Triestiner Psychiatrierevolutionär Franco Basaglia dissertiert hatte und die Musteranlage am Steinhof sehen wollte, und ich werde nie den Abend vergessen, als ich oben in der Kirche das Pirandello-Stück "Die Riesen vom Berge" sah. Und doch führt kein Spaziergang über dieses wunderbare und doch so schreckliche Areal nicht an den Ort, der nach seiner alten Flurbezeichnung "Am Spiegelgrund" heißt und wo sich zwischen 1940 und 1945 die berüchtigte "Nervenheilanstalt für Kinder" befand. Damit sie eingerichtet werden konnte, verschleppten die Nazis zuerst tausende Psychiatriepatienten aus den Pavillons in Vernichtungslager. Dann unterzogen sie behinderte, kranke oder schwer erziehbare Kinder grausamsten Menschenversuchen. In der "Kinderfachabteilung", wie sie zynisch genannt wurde, kamen mindestens 789 geistig behinderte, kranke und "nicht erziehbare Kinder" um.
Vor dem wunderschönen Jugendstiltheater wurden 789 Lichtstelen in den Garten gepflanzt, damit dieses markante Kapitel von Euthanasie und Rassenwahn nicht vergessen wird. Im V-Gebäude des Otto Wagner-Spitals, einem früheren Materialgebäude, ist die Dauerausstellung "Der Krieg gegen die Minderwertigen" untergebracht. Ich möchte sie jedem, jeder von euch empfehlen. Du gehst nicht als der Mensch aus der Ausstellung heraus, als der du hineingegangen bist.
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