Ein Frühlingsspaziergang zu meinem spirituellen Zentrum
Es gibt keinen Ort, wo der Frühling so geplant und doch so überfallsartig über die Stadt hereinbricht, wie im Botanischen Garten, meinem spirituellen Zentrum nahe dem Belvederegarten.
Ich beginne meinen Frühlingsspaziergang natürlich im Stadtpark, wo ich mir einen Eindruck verschaffe, wie lang die drei japanischen Kirschen wohl noch brauchen, bis sie sich von unscheinbaren Bäumchen in die prachtvollsten Blütenträger zwischen Schönbrunn und Hofburg verwandeln.
Die Knospen sind schon zu sehen. Ein bisschen Zeit, ein bisschen Sonne und Wärme werden sie noch brauchen.
Allerdings treibt der Frühling längst andere Blüten. Wo immer die Sonne gerade eine Bank, eine Wiese, eine Sitzgelegenheit wärmt, sitzen junge und alte Menschen bunt durcheinander gewürfelt, Sonnenbrille auf der Nase und – Riesenüberraschung, dass sogar halbwüchsige Hipster zu so viel Vorbereitungsarbeit fähig sind – die Thermoskanne mit Tee, Punsch oder irgendwelchen Mischungen mit „Geschmack“ gefüllt, wie mein Freund Sepp Schellhorn den achtzigprozentigen Stroh-Rum nennt.
Auch die Bluetooth-Lautsprecher sind aus den Winterquartieren befreit worden, sodass allerhand bunte Musiken durch- und übereinander erschallen, coole Independent-Gitarren treffen Seiler&Speer (und nein, ich bin weder mit dem einen noch mit dem anderen verwandt oder verschwägert).
So gehe ich durch eine frühlingshafte Outdoor-Partyzone, sehe den Enten im Teich zu, wie sie sich fettfüttern lassen, verlasse den Park, gehe durch die Salesianergasse hinüber zum Rennweg und zum Belvedere und beschließe, zuerst durch den Belvederegarten zu gehen und erst dann, vom Oberen Belvedere aus, hinüber in den Botanischen Garten zu spazieren.
Die Anlage des Belvederegartens ist bereit für frische Farben. Die Bänke in der Sonne sind besetzt. Die Stimmung ist gehoben, wenn auch partyfrei, die jungen Menschen sind im Stadtpark oder am Donaukanal. Jogger mit kurzen Hosen ziehen ihre Runden. Junge Eltern lüften ihre Babys aus.
Begegnung mit einem Bekannten
Ich bin jedes Mal von neuem geblendet von der Pracht dieses barocken Gartens, tätschle vertraute Säulen, genieße das Spiel der Schatten auf den kunstvoll gestalteten Stiegenaufgängen. Als ich die kleine Pforte durchschreite, die in den Botanischen Garten führt, kommt mir ein Bekannter entgegen, der mir vor Jahren empfohlen hat, eine Jahreskarte für den „Alpengarten“ zu lösen.
Er grüßt und setzt mich ins Bild, dass es nicht mehr lang dauert, bis dieses kleine, stille Juwel wieder aufsperrt. Ich bedanke mich für die Information, auch wenn ich längst Bescheid weiß. Wir werden uns dann bestimmt zwischen den Hortensien treffen, die im Alpengarten so prächtig blühen wir nirgendwo sonst.
Aber jetzt statte ich der Hamamelis, der „Zaubernuss“, einen Besuch ab, jenem winterblühenden Gehölz, das für den nahtlosen Übergang von der kalten in die warme Jahreszeit geschaffen ist und dafür, dass man Hoffnung schöpft in der Zeit ohne Farben und ohne Düfte, wie auch der Winterjasmin oder die Winterlinge, die sich schon wie Primeln gebärden.
christian.seiler@kurier.at
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