Christian Seilers Gehen: Wenn die Menschen fehlen
Manchmal – ich weiß nicht, ob Sie dieses Gefühl kennen – gehe ich durch ein Stück Stadt, durch das ich schon oft gegangen bin, und weiß plötzlich nicht, ob es mir hier gerade gefällt. Eigentlich bin ich ja auf einem sicheren Weg, nämlich durch den Prater zum Vorgartenmarkt, weil mir der etwas regnerische Augusttag die Eingebung verpasst hat, dass ich im Mochi Ramen eine dampfende, japanische Nudelsuppe zu mir nehmen könnte. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die Suppe ist erstklassig, auch die Snacks vorweg – etwas gegrillter Tintenfisch, Edamame und ein Teller voller Gyoza – machen so richtig Spaß. Und ja, Sie haben recht: Da war ziemlich viel Hunger im Spiel.
Ich habe die Jesuitenwiese hinter mir gelassen, bin ein Stück über die Hauptallee gewandert, die nach Ausflügen in die Berge, wie ich finde, immer etwas besonders Beruhigendes ausstrahlt. Dann biege ich Richtung Rotundenplatz ab und drücke mich zwischen zwei Gebäuden der Wirtschaftsuni auf deren gerade ziemlich leeren Campus.
Die Gebäude, die mich jetzt links und rechts einrahmen, sind so beeindruckend, dass ich meinen Schritt verlangsame, bis ich still stehe. Rechts von mir, imposant in rostiger Metallverschalung, das Teaching Center des Büros BUSarchitektur aus Wien. Dahinter das Library & Learning Center aus der Werkstatt von Zaha Hadid. Links von mir die verschachtelte Fassade der Departments und Student Center des japanischen Ateliers von Hitoshi Abe. Im Hintergrund die scheckig bunten Departments und Administrationsräume des englischen Architekturbüros CRABstudio.
Es gab Tage, da ging ich hier mit offenem Mund auf und ab, war froh und vielleicht sogar ein bisschen stolz, dass in Wien so eine beherzte Architekturlandschaft entstehen kann. Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel Bob Dylan gehört, der auf seinem unglaublich innigen neuen Album davon singt, dass er ein Mann der Widersprüchlichkeiten, der vielen Launen sei – „I Contain Multitudes“ –, aber gerade bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich mit dieser Einschätzung recht gehabt habe. Kommt dazu, dass eine Freundin aus dem benachbarten Stuwerviertel mich ein bisschen indoktriniert hat und mir als Apologeten des Neuen die nächtliche Kahlheit des Campus zum Vorwurf machte und dessen selbstbewusste Gigantomanie.
Ich habe abgewehrt und die klugen Trümmer verteidigt. Aber gerade frage ich mich, ob zu Recht. Der Campus ist leer. Seine Benützer sind in den Ferien, und wer weiß, ob sie im Herbst dieses Coronajahrs in großer Zahl zurückkehren werden. Was aber erzählen diese Gebäude für Geschichten, wenn die Menschen, die sie benützen sollen, fehlen? Durch welche Sprünge meiner Vorstellung kriechen diese Schwaden der Melancholie, die mich gerade einhüllen?
Nein, ich ändere meine Meinung nicht. Noch nicht. Ich werde hierher zurückkehren und mich davon überzeugen, wie lebendig der Campus ist, wie viel Seele seine Architektur entwickelt, wenn das Plakative, das Imposante in den Hintergrund rückt. Zuerst gehe ich essen.
Kommentare