Christian Seilers Gehen: Stationen der Lebensfreude
Wohin führt der Weg zur Lebensfreude? Das ist eine Frage, die ich mir regelmäßig stelle. Zum Beispiel wohnt die Lebensfreude in Tulln, Bahnhofstraße 48, im Gasthaus Sodoma. Dieses Wirtshaus ist der rare Fall einer Kultstätte, wo menschliche, atmosphärische und kulinarische Vorzüge einander so ideal ergänzen, dass ich nach zwei Grammelknöderln, die als Zwischengang eingeschoben wurden, einen Schluck vom Roten Veltliner nehme, den mir der Chef eingeschenkt hat und in aller Deutlichkeit weiß: Gerade möchte ich nirgendwo anders sein, auf der ganzen, großen, schönen Welt nicht.
Wohin führt der Weg zur Lebensfreude noch? Ich denke ans „Steinerne Meer“ auf der Wanderung vom Formarinsee zum Spullersee, einer alpinen Karsthochfläche im Lechquellengebirge am Formaletsch bei Lech. Die Felsenlandschaft, die man auf einem stetig ansteigenden Pfad durchquert, sieht aus wie eine Wasserfläche, die mitten im Wellengang plötzlich eingefroren ist. Als ich durch das „Steinerne Meer“ wanderte, spürte ich, wie sich eine Eigenschaft in mir formulierte, die sonst viel zu oft schweigt: Bescheidenheit. Ohne sie kann die Lebensfreude nicht blühen.
Weitere Stationen der Lebensfreude: der Gang ins Café, diesmal ohne Handy, um beim Stöbern in den Zeitungen und Magazinen nicht dauernd abgelenkt zu werden. Der Besuch beim Lieblingsbuchhändler in der Domgasse, wo um diese Jahreszeit zwei Stühle vor dem Geschäft stehen. Einen besetzt Chef Dieter himself, der andere ist, wenn ich Glück habe, für mich reserviert. Ich darf mich setzen, bekomme einen Espresso, und ohne viel Anlauf finden wir uns in einem Gespräch wieder, an dem wir beide Gefallen finden.
Es ist übrigens äußerst selten, dass ich den Ort ohne eine wertvolle Anregung wieder verlasse. Kann sein, dass es ein Buch ist, klar, kann aber auch sein, dass mir der mehr oder weniger allwissende Buchhändler eine Funktionsweise eines Porschemotors erklärt (er hat einst bei Porsche eine Lehre als Mechaniker absolviert), und während ich zum größeren Teil nicht verstehe, was mir der Buchhändler gerade nahezubringen versucht, schweift mein Blick durch die pure Schönheit der Domgasse und mein Herz schlägt höher, vor lauter Freude, dass ich in dieser Gesellschaft zu dieser Zeit an diesem Ort sein darf.
Ich könnte noch manche dieser Augenblicke und Orte nennen. Der Schanigarten von Konstantin Filippous „O boufés“, wenn der Chef sein ansteckendes Lachen anstimmt.
Der Moment, wenn meine Pizza Margherita in der „Pizzeria Mari“ aus dem Ofen geholt wird. Die Gelegenheit, ganz allein im Kunsthistorischen Museum Vermeers „Die Malkunst“ betrachten zu können. Vor der Musikuni auf den Stiegen zu sitzen und zuzuhören, wie eine Pianistin, die sicher bald berühmt sein wird, eine Mozartsonate übt. Im Belvederegarten die wuchernden Beete mit den Spätsommerblumen betrachten. Vom Leopoldsberg aus über die Stadt schauen und zu wissen, was dort unten auf mich wartet, zu lächeln und hinunterzusteigen, wobei, so viel Zeit muss sein, beim „Sirbu“ wartet noch ein Spritzwein auf mich.
Kommentare