Christian Seilers Gehen: Schöne Alte Donau. Nichts ist wie immer

Christian Seilers Gehen: Schöne Alte Donau. Nichts ist wie immer
U-Bahn Alte Donau – Wagramer Straße – An der Unteren Alten Donau – U-Bahn-Donaustadtbrücke: 5000 Schritte

Ich gehe an der Alten Donau entlang, von der Wagramer Straße Richtung Donaustadtbrücke, das Gänsehäufel fest im Blick und auch die lustigen Bierinseln, die auf dem Wasser treiben wie unsteuerbar gewordene Radiostationen, kawumm, kawumm, kawumm, der Segen des leistungsfähigen Bluetooth-Lautsprechers, und ich denke mir, hier ist alles wie immer, aber schon während ich den Gedanken so selbstgewiss formuliere, fällt mir auf: Ganz so stimmt das nicht.
Zuletzt hatte ich noch das sichere Gefühl, dass die Alte Donau von der widerstandsfähigen Kultur ihrer Bewohner geprägt wird, bodenständig, zugänglich, eher wenig elegant, dafür erdig und alltagsgeschichtentauglich (wenn es Toni Spiras Alltagsgeschichten noch gäbe).
Aber während ich mich jetzt zwischen den Moutainbikes, die mir entgegenkommen, durchschlängle, überkommt mich ein anderes Gefühl: Ist hier ein schleichender Prozess im Gang, den die Immoblilienheinis „Aufwertung“ nennen? Klar, ein paar von den schicken Terrassenwohnungen, die zwischen den Ruderklubs und den patinierten Gartenhäusern gewachsen sind, gab es wohl auch schon vor zwei Jahren, aber gab es wirklich alle? Und worauf weisen die Bauzäune hin, an denen bereits die Websites neuer Immobilien affichiert sind? Auf nichts, fürchte ich, was Gutes für uns alle, eher für ein paar wenige bedeutet, und das war genau hier an diesem altmodischen Ufer eher undenkbar.
Okay, das „Strandcafé“ ist außer Betrieb. Die klassische Feierabendtränke war vor zwei Jahren renoviert und ziemlich brachial vergrößert worden, das ließen sich die Anrainer nicht gefallen, und seit dem vergangenen September hat die Hütte zu – finde ich einerseits schade, weil der Blick vom Steg auf das Wasser und die Skyline gar so schön ist, andererseits halte ich es für gesund, wenn es sozusagen natürliche Grenzen des Wachstums gibt.
Dafür ist das „Bootshaus“ ein paar hundert Meter weiter wie ein Komet vom Himmel gefallen. Die Terrasse schick, ein Steg sogar mit Sand aufgeschüttet – als Zitat dafür, dass sich die einst hier ansässigen Flusssiedler „Neu-Brasilien“ nannten. Ehrlich, seit wann gibt es an der Alten Donau „Zitate“? Das Innere des Hauses hat eine sehr hübsche, sehr teure englische Ruderklub-Ausstattung bekommen, durchaus ansprechend, aber für Neu-Brasilien beunruhigend artfremd. Ich kehre ein und esse anständige Fish&Chips, bevor ich weiter in die Dämmerung vorstoße.
Am einen oder anderen Uferplatz dieselben, unbeeindruckten Nacktbader wie eh und je. Ein junger Mann, der frisch geschlüpfte Schwäne mit Paprikachips fütterte, daneben ein paar junge Männer, die auch den Freuden des Bluetooth-Lautsprechers frönen. Interessant, dass die Inbetriebnahme des eines Lautsprechers niemanden davon abhält, seinen anderen ebenfalls in Betrieb zu nehmen. Auf dem Wasser schippert ein Partyboot vorbei. Ein Animateur mit norddeutschem Akzent spricht ins Mikrofon. „Wir haben uns als Fremde kennengelernt. Dann wurden wir Freunde. Jetzt sind wir Familie.“ Das geht mir zu schnell. Wir müssen wachsam sein.

christian.seiler@kurier.at

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