Christian Seilers Gehen: Oje, gehen in der Gruppe?

Christian Seilers Gehen: Oje, gehen in der Gruppe?
Schwarzenberg Pfarrkirche – Angelika Kauffmann-Saal – Zur Egg – Wies – Hof – Pfarrkirche: 3.000 Schritte

Oft gehe ich allein, gern gehe ich zu zweit und nur manchmal schließe ich mich einer Gruppe an. Gruppen, vor allem größere, erfüllen mich mit Skepsis. Ein Rätsel sind mir jene Reisegruppen, die ein ganzes Gasthaus fluten, um im Akkord ein Menü zu verzehren. Aber auch Karawanen von Motorradfahrern irritieren mich und Wandergruppen sowieso: Wie soll das gehen, dreißig Menschen und ein Tempo?
Am absurdesten finde ich natürlich die Stadtspaziergänger, die einem Schirm hinterherrennen und ganze Straßenzüge unüberwindbar machen, weil sie so aufeinander kleben – von diesen Gruppen sind aber zum Glück derzeit viel weniger unterwegs als noch letztes Jahr um diese Zeit. Die lange Einleitung ist deshalb nötig, weil ich erzählen möchte, dass ich mich zuletzt einer Wandergruppe angeschlossen habe – und dass es ein fantastisches Erlebnis war.
Natürlich ist das ein Widerspruch zu dem, was ich gerade gesagt habe. Aber für solche Widersprüche hat mir Bob Dylan gerade einen Song geschrieben, der alle Widersprüche ganz einfach erklärt: I'm a man of contradictions, I'm a man of many moods/I contain multitudes. Frei übersetzt: Ich widerspreche mir, ich bin launisch. Ich bin nicht einer, ich bin viele. Damit variiert Dylan mit großem Einfühlungsvermögen Rimbauds berühmten Satz: „Ich ist ein anderer“ und gibt mir die Möglichkeit, von einer Gruppenwanderung in Schwarzenberg, Bregenzerwald, zu schwärmen, die mich wärmte und berührte.
Es ging um einen Ortsrundgang in dem Bregenzerwälder Ort, der für seinen außerirdisch schönen Hauptplatz berühmt ist, an dem herrliche Wirtshäuser stehen, der wunderbare „Hirschen“, der „Adler“, der nur manchmal geöffnete „Ochsen“, der Ortsbrunnen, die Pfarrkirche. Hier spannte das FAQ-Bregenzerwald, ein beseeltes und beseelendes Festival, das heuer im schwierigen Jahr seinen fünften Geburtstag feierte, zwei Musiker und einen Ortskundigen zusammen, und dann gingen wir – jawohl, in einer Gruppe von vielleicht vierzig, fünfzig Menschen – auf Wanderschaft. Vorbei am „Hirschen“, vorbei am „Angelika Kauffmann Saal“, wo jedes Jahr Höhepunkte der Schubertiade stattfinden, den Berg hinunter zu einem alten Wälderhaus, das um einen neuen Teil ergänzt worden war – der Guide wusste, dass es sich dabei um ein Premierenwerk des Architekten Markus Innauer handelte, und er erklärte uns Lesarten der Wälder Architektur: Klein geschindelte Häuser erzählen vom Wohlstand der Besitzer. Zäune um die Grundstücke pflanzen nur Zugereiste.
Dann begann die Musik zu spielen. Der Trompeter Martin Eberle und der Pianist Benny Omerzell – sonst in der Band 5K HD zusammen – legten zauberhafte Improvisationen in die Landschaft. Die Gastgeberin kredenzte Milch und Schnaps, und mich berührte die Kombination aus Schönheit, Wärme und Gastfreundschaft stark: Es waren Momente, die aus der Zeit fielen, und nur wenn ein Traktor vorbeiratterte, weil er Geschäfte auf dem Feld zu erledigen hatte, erinnerte ich mich daran, dass ja heute ein normaler Wochentag war, ein Wochentag allerdings, der magische Vielfalt enthielt.

christian.seiler@kurier.at

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