Christian Seilers Gehen: Ein Herz für Häuser
Der Pötzleinsdorfer Schlosspark war gesperrt, Sturmgefahr. Macht nichts, dachte ich mir, schaue ich mir eben das Geymüllerschlössel an, ein sogenanntes „Biedermeierjuwel“, das als Expositur des MAK wie ein Krönchen über der Khevenhüllerstraße sitzt – Fehlanzeige, das Schlössel wird nur am Wochenende für den Publikumsverkehr aufgesperrt.
Also ging ich stattdessen die Khevenhüllerstraße bergauf. Auf Nummer vier hockte hinter wuchernden Ästen ein Gespensterhaus, offene Türen, offene Fenster, der Verfall hatte längst eingesetzt, auch wenn die wunderschöne Substanz der Villa noch mit freiem Auge zu erkennen war. Ich fand eine Notiz, dass sich eine „Initiative Denkmalschutz“ schon vor fünf Jahren gegen den Verfall des Landhauses gestemmt hatte – erfolgreich kann sie nicht gewesen sein.
Wie ist es möglich, dachte ich mir, dass ein Haus wie dieses dem Verfall preisgegeben wird? Wer verspricht sich etwas davon? Will hier jemand Fakten schaffen, damit irgendwann eine neureiche James-Bond-Villa an den Platz des Biedermeierhauses gesetzt werden kann? Ist eine andere Umgehung der strengen Schutzzonenbestimmungen in dieser Gegend im Busch?
Ich ging irgendwie aufgewühlt weiter, bog in die Büdingergasse ein, ließ den kleinen Pötzleinsdorfer Friedhof unbesucht, bewunderte dafür die Plätze des Tennisclubs Cottage – nirgendwo kann man so elegant einen Ball spielen und gleichzeitig Kahlen- und Leopoldsberg im Auge behalten –, folgte der Starkfriedgasse bergab, nahm die Ludwiggasse zurück zur Pötzleinsdorfer Straße – und stieß auf der rechten Seite auf die nächste heruntergekommene Villa, über die ich allerdings nichts in Erfahrung bringen konnte.
Wer ein Herz für Häuser hat, die sich selbst überlassen werden, bekommt auf diesem Spaziergang einiges geboten.
Jetzt ging ich die Pötzleinsdorfer Straße stadteinwärts. Es sprangen mir natürlich sofort die Waschbetonfassaden des Pablo-Neruda-Hofs ins Auge, wo straßenseitig der Anna-Freud-Kindergarten untergebracht ist.
Es gibt ja inzwischen grandiose Fotografen wie Stefan Olah, die dieser Architektur mit ihren Bildern eine Art Schönheit abgewinnen können. Als ich so dastand und die grauen Steinplatten in Augenschein nahm, dachte ich mir: Die können was, diese Fotografen.
Interessant, dass just an der Feuermauer des Nachbarhauses die barocke Statue des Heiligen Nepomuk befestigt wurde, der mit gebeugtem Kreuz den Eingang zum Kindergarten im Auge behält. Die Statue wurde 1980, bei Bauarbeiten in der Martinstraße, ans Tageslicht gefördert. Die Person, die sie hierher platzierte, muss jedenfalls über einen ausgeprägten Sinn für Kontraste verfügen.
Als ich weiter Richtung Türkenschanzplatz ging, kam mir das berühmteste Gedicht des großen chilenischen Poeten Neruda in den Sinn, „Wenn du mich vergisst“. Irgendwo darin versteckt der Dichter die Drohung: „Wenn Du mich aber plötzlich vergisst/suche mich bitte nicht/weil ich Dich schon vergessen haben werde“.
Vergessen wir die vergessenen Häuser nicht, bevor sie uns vergessen.
christian.seiler@kurier.at
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