Christian Seilers Gehen: Durch die Stadtwildnis zum Ziel

Christian Seilers Gehen: Durch die Stadtwildnis zum Ziel
Küniglberg – Hietzinger Friedhof – Schlosspark Schönbrunn – Steinweisweg – Tivoligasse – Meidlinger Markt – Steinbauergasse – Malfattigasse – Schönbrunner Straße – U-Bahn-Margaretengürtel: 8500 Schritte

Es brauchte einen langen Anlauf, bis ich am Ziel dieser Stadtwanderung war und im Halblicht des frühen Abends vor dem Burger King stand und den Ausblick genoss. Links von mir spannte sich die massive, aber doch elegante Otto-Wagner-Brücke über den in Wiens Unterwelt verschwindenden Wienfluss. Hinter mir leuchtete eine BP-Tankstelle in gut aufeinander abgestimmten Neonfarben. Der Abendverkehr floß die Linke Wienzeile stadtauswärts, den Gumpendorfer Gürtel bremslichtrot in Richtung Mariahilferstraße, den patscherten Gaudenzdorfer Gürtel, an dessen Rand ich gerade stand, Richtung Süden. An der Wienzeile stand mächtig und eindrucksvoll der Palast, in dem die Berufsschule für Elektro- und Veranstaltungstechnik untergebracht war, und hinter dem dunklen Grün der „Gaudenzdorfer Stadtwildnis“ offenbarte sich schließlich die U-, vormals Stadtbahnstation Margaretengürtel, mein Ziel.
Ich war am Küniglberg losmarschiert, in dieser fast bundesdeutschen Einfamilienhauslandschaft, war zum Hietzinger Friedhof gegangen, wo ich ein paar Besuche erledigte, dann war ich weiter zum versteckten Südtor des Schönbrunner Schlossparks gegangen, wo mich auf dem Weg eine interessierte Giraffe aus luftigen Höhen betrachtete. Über den Tiroler Weg ging ich Richtung Gloriette, wo sich an diesem föhnigen Nachmittag ein besonders schönes Panorama Wiens offenbarte: die Stadt, flächig, mit den Ausrufezeichen ihrer Kirchen und Hochhäuser, die mir halfen, die Orientierung zu finden.
Ich ging weiter zur Kleinen Gloriette, die beim Parkausgang nach Meidling steht, betrachtete die beiden Herren, die schweigend und allein mit sich selbst beschäftigt vor dem Würstelstand „Zum Imperator“ standen und rauchten. Dann marschierte ich hinter der gewaltigen Schallschutzmauer, die den Steinweisweg von der Grünbergstraße trennt, den Grünen Berg hinab. Vom Auto aus ist niemals zu erkennen, dass hier eine hübsche, großzügige Parklandschaft anschließt. Kein Wunder: Schallschutzmauern sind für den Autofahrer ja sowas wie das Ende der Welt.
Ich bog in die Tivoligasse ein und folgte ihr Richtung Meidlinger Hauptstraße. Ich passierte den Meidlinger Markt mit seiner interessanten Mischung aus alter Wiener Marktkultur und fast schon Berlinerischem Humor – wer käme sonst auf die Idee, einen Süßwarenkiosk „Hüftgold“ zu nennen? –, dann verlor ich mich ein bisschen zwischen den Wohnblöcken hinter dem Hermann-Leopoldi-Park. Ich bekam noch den Eingang zum „Interaktiven Museum für Heizkultur“ zu sehen, dessen oranger Schriftzug „Brennpunkt“ im Licht der blauen Stunde besonders spektakulär wirkte. Dann überquerte ich schon die überlastete Schönbrunner Straße, nahm den Olga-Perl-Weg und kam zwischen LKW-Abstellplätzen, einer Tankstellenkehrseite und dem Burger King an diesen Ort, der einen der schönsten Blicke Wiens aus denkbar hässlichsten Kulissen herauswachsen lässt.
Als ich durch die Stadtwildnis auf die wunderbare Otto-Wagner-Station Margaretengürtel zuging, schnorrten mich zwei Alkis um Geld an. Ich war am Ziel.

christian.seiler@kurier.at

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