„Brueghel und ich.“

Alexandra Klobouk
800 Schritte: Maria-Theresien-Platz - Kunsthistorisches Museum - Gemäldegalerie. Auf Augenhöhe mit dem Wundervollen.

Ich gehe – weil ich manchmal keine Lust habe, dort zu sein, wo alle anderen sind – ins Kunsthistorische Museum Wien. Draußen heizt die Sonne, und die ganze Stadt hat sich dem lustigen Spiel verschrieben, um die wenigen freien Sitzplätze an der frischen Luft zu raufen und in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Bier zu trinken, damit sich die Mühe gelohnt hat.

Das erklärt die frenetische Lautstärke in allen Gastgärten. Klar, auch das „Kunsthistorische“ wird von der Völkerwanderung nicht verschont, wobei herrliches Frühsommerwetter eine faire Chance offeriert, einen der herrlichsten Orte der Welt so zu genießen, als gehöre er uns allein (was ja im Grunde auch so ist. Die Bundesmuseen stehen ja zum Glück im Eigentum von uns Staatsbürgern, was ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wir für die Jahreskarte nur 39 Euro bezahlen).

Ich zeige also meine Jahreskarte, erwidere das freundliche Nicken des Kartenabreißers und steige die Feststiege hinauf, nicht ohne den spektakulären Durchblick vom Foyer in die Kuppel des Hauses zur Kenntnis zu nehmen und – der Durchblick ist ein eitler Hund – angemessen zu bewundern.

Das Kunsthistorische ist ein Labyrinth von Kostbarkeiten. Die uninteressanteste Art, hier durch die Sammlungen zu wandern, entspringt der ängstlichen Vorstellung von Vollständigkeit, mit der viele Besucher die Investition der Eintrittskarte legitimieren: Bloß kein Bild NICHT sehen, auch wenn für das Betrachten jedes Meisterwerks bloß ein paar Sekundenbruchteile zur Verfügung stehen.

Natürlich wohnt dieser Attitüde die absolute Gewissheit inne, dass kein einziges Bild in der Erinnerung des Besuchers haften bleibt, dass kein Funke überspringt, selbst dort nicht, wo ein längst verblichener Meister eine noch immer drängende Geschichte erzählt.

Natürlich ist die wirkungsvollste Strategie, dieser Falle zu entgehen, die Selbstbeschränkung: die Konzentration auf einen Raum allein, vielleicht auf einen kleinen Zyklus von Gemälden, und wenn schon das zu viel ist, auf ein einziges Gemälde, dein Bild des Tages.

Ich kann mich zum Beispiel nicht satt sehen an den Meisterwerken im Brueghelsaal der Gemäldegalerie, an den ikonischen Werken von Pieter Brueghel dem Älteren aus dem Jahr 1565, an der „Bauernhochzeit“ oder der „Anbetung der Könige“, am „Turmbau zu Babel“ und ganz besonders an den „Jägern im Schnee“, die ich zum ersten Mal vor Jahrzehnten auf einem Kunstkalender in der Küche meiner Großmutter gesehen habe. Die winterliche Melancholie, wie sie von den gedeckten Farben erzählt wird, rührt und kühlt mich. Die vergnügten Kinder, die im Hintergrund eislaufen, trösten mich. Die tiefe Ferne greift mir ans Herz.

Dabei empfinde ich etwas Seltenes, wie es mir sonst höchstens in den Sinn kommt, wenn ich ein Bob-Dylan-Konzert besuche oder eine Lesung von Hans Magnus Enzensberger: Hier bin ich mit dem Wundervollsten, was eine Epoche hervorgebracht hat, auf Augenhöhe. Ich betrachte das Bild. Das Bild betrachtet mich.

An diesem Vormittag im frühen Sommer, Brueghel und ich.

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