Bis der Groschen fällt

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Praterstern – Hauptallee – Spenadelwiese – Arenawiese – Heustadelwasser – Lusthaus: 4800 Schritte

Ich gehe durch den Prater. Der Prater ist ein friedlicher Ort, aber das war nicht immer so. Als ich an den Sportplätzen des WAC und der Spenadelwiese vorbeigegangen bin und die Rotundenallee – Achtung, flitzender O-Wagen – überquert habe, fällt mir das Denkmal auf, das dort, wo es weiter Richtung Hundezone geht, zwischen den Bäumen steht. Es datiert aus dem Jahr MDCCCXXXXVIII und dient dem Andenken an den k.k. Oberleutnant Johann Kallinich, der dem Slunjer Nationalgrenzregiment No4. angehörte und „in Erfüllung seiner heiligsten Berufspflicht“ hier sein Leben ließ.
Falls Sie die römischen Ziffern inzwischen selbst schon decodiert haben: Der Gedenkstein stammt aus dem Jahr 1848, und Johann Kallinich kam zu Tode, als sein Regiment gegen Aufständische der Wiener Oktoberrevolution vorging. Arbeiter und Studenten wollten gemeinsam mit meuternden Regimenten des Heers die kaiserlichen Truppen daran hindern, gegen das aufständische Ungarn auszurücken und übernahmen für wenige Tage das Kommando über Wien. Johann Kallinich gehörte zu einer kaisertreuen Garnison aus Kroatien und fiel, als seine Truppe am 26. Oktober gegen den besetzten Prater vorrückte.
Ich versuchte, mir die Revolutionstage vorzustellen, als ich weiter Richtung Heustadelwasser spazierte und plötzlich einen Mann sah, der, in militärische Kleider gehüllt, mit einem Gerät, das aussah wie ein Staubsauger, durch den Wald pirschte. Von dem Gerät führte ein Kabel zu einem Kopfhörer, den der Mann trug, und als ich vielleicht noch fünfzig Meter von ihm entfernt war, konnte ich es piepsen hören: Der Staubsauger war ein Metalldetektor, der gerade angeschlagen hatte, so dass der Mann sich auf die Knie fallen ließ und mit einer kleinen Schaufel im Boden zu graben begann. Ich sprach ihn an.
„Gerade das, ach, das war nur Abfall. Aber ich hab heute schon Interessantes gefunden.“ Er griff in seine Tasche und zeigte mir die Beute des Tages. Vier Ein-Schilling-Münzen waren dabei, ein Zehn-Groschen-Stück, aber auch Groschenmünzen aus den dreißiger Jahren, die auf dem Rücken das Kruckenkreuz trugen – „Dollfuß-Groschen“, sagte der Sammler. Eine russische Kopeke und eine ungarische Münze aus der Zeit der Monarchie komplettierten den Tagesfund. Wo er die Münzen gefunden habe, fragte ich den militärisch anmutenden Kollegen.
„Immer bei großen Bäumen“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen. „Unter großen Bäumen wohnt die Geschichte. Wo sich Menschen heute gern hinsetzen, um sich anzulehnen oder Schatten zu bekommen, haben sich schon immer Menschen hingesetzt – und wenn sie sich dann ein Taschentuch aus der Hosentasche geholt haben, fällt der Groschen heraus.“
„Bis du ihn findest“, sagte ich. Wir waren jetzt schon per Du. „Genau“, sagte der Sammler. „Du darfst nie vergessen, dass du hier nicht nur durch den Wald gehst. Du gehst auch durch hunderte Jahre.“
Wir verabschiedeten uns, und ich ging weiter. Ich ging vorsichtig weiter, ich war gewarnt: unter jedem Baum ein Stück Geschichte, und ich will ja nicht weiter stören.

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