Am Wasser sitzen und blöd schauen
Ich gehe durch einen wunderbaren Auwald, das Lusthauswasser entlang, und obwohl die Umrundung des ehemaligen „Wiener Arms“ der Donau eine eigene Geschichte wert wäre, biege ich heute, wo der Stadtwanderweg 9 nach links führt, nach rechts ab.
Nach ein paar hundert Metern trete ich aus dem Auwald und komme über eine Böschung an den Rand der
Seitenhafenstraße. Sie führt zum Eingang des Wiener Hafens, wo vor allem Autos und Container ver- und entladen werden. Eher schmucklose Industriegebäude säumen den Weg, das Bürohochhaus des Hafens Wien, Lagerhallen von Speditionen, und schon bald schieben sich die Asphaltflächen ins Bild, wo eingeschiffte Autos darauf warten, endlich in Betrieb genommen und ihren Käufern zugeführt zu werden.
Auf der anderen Seite des Wegs, der jetzt breiter und bequem asphaltiert ist, fließt der Donaukanal. Er ist der eigentliche Grund, warum ich mir gerade diesen Weg ausgesucht habe. Ich möchte zum Praterspitz, dem ausgesetzten Punkt, wo der Donaukanal in die Donau mündet, das Wasser also seine Pflicht gegenüber der Stadt erledigt hat und sich aufmachen darf Richtung Mündung, Richtung Schwarzes Meer.
Von der Simmeringer Seite dringt Industrielärm über das Wasser, das Rumpeln von verschobenen Lasten, das Piepsen von reversierenden Lkw. Auf der Freudenauer Seite sortiert ein Bagger Brauchbares aus einem Schrottberg. Trotzdem verströmt der schnurgerade Fußweg, auf dem ich Richtung Südosten gehe, etwas Heiteres, fast Ländliches. An der Böschung zum Donaukanal sehe ich auf robusten Stelzen eine erste Daubelhütte, sie trägt den unübertrefflich ironischen Namen „Villa Canale Grande“.
Die Daubel-Fischerei ist ein österreichisches Spezifikum. Auf dem Daubel-Kran wird an elastischen Stäben ein quadratisches Netz aufgespannt, das ins Wasser abgesenkt werden kann, um damit Fische zu fangen. Die Methode ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt, bekannt ist aber auch, dass sie seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr professionell betrieben wird. Den Grund erklärt mir ein junger Mann, den ich etwas später anspreche, während er gerade die Stiege zu seiner Hütte frisch streicht: „Du fangst ja praktisch nix mit dem Scheißnetz …“
Dann aber setzt er zu einem Vortrag an, der die Vorzüge des Am-Wasser-Sitzens-und-blöd-Schauens auf eine so liebevolle Weise lobt, dass ich ganz gerührt bin, während ich an herausgeputzten und von Obstgärten umgebenen, aber auch leicht abgefuckten Daubelhütten zum Spitz marschiere, wo quadratische, rot eingerahmte Zeichen mit einem schwarzen Punkt in der Mitte die passierenden Schiffe anweisen, Schallzeichen zu geben.
Ich setze mich auf einen Stein, Bänke gibt es keine, und schaue zu, wie das Wasser des Donaukanals und der Donau kreiselnd zusammenläuft, sehe einen Schleppzug enorm langsam stromaufwärts stampfen und merke, dass ich gerade meine Lektion in der Kunst lerne, die mein Daubelhüttenexperte „Blöd schauen“ nennt, obwohl sie etwas zutiefst Philosophisches berührt: zusehen, wie ein Bild, das sich stetig ändert, doch immer gleich bleibt.
christian.seiler@kurier.at
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