"Liebesspiel mit der Sprache"
Schwarz immer im Winter, im Sommer Weiß“, sagt die Dichterin im Café Sperl. Und zieht schwungvoll ohne Spiegel die Konturen ihrer Lippen nach. Friederike Mayröcker, das Phänomen. 90 am 20. Dezember. Leichtfüßige Anmut in weichsohligen Schuhen. Perlmuttweiße Babyhaut. Schneewittchenkontrast (kann gern kitschig klingen) zu kohleschwarzen Ponyfransen bis über die Brauen. Lebensfrisur der Wortdompteurin: „Ich fühle mich darunter geborgen.“ Ein Adrenalinschub vielleicht, zu monatelangen stürmischen Geburtstagsfeierlichkeiten. Beweglichkeit, bisschen auch Kieser-Training geschuldet. Zwar halb verneint: „Ich bin faul“, doch dankbar als Mickeymouse-Manderl mit Boxhandschuhen auf Seite 9 des „cahier oder Heftchens“ hingestrichelt. Vergangenen Oktober bei Suhrkamp erschienen, als zweiter Teil einer Trilogie, die mit „études“ begann, „Fetzchen“ sagt sie, und kommendes Jahr mit „fleur“ enden soll. Musikalische Prosa in Moll, wortstreng komponiert, radikal reduziert. Am besten halblaut zu lesen, um im Rhythmus zu tanzen, frei nach Mayröckers Maxime: nicht nur das Geschriebene, auch die Existenz musz poetisch sein. „Ich war ein stilles Kind. Sehr melancholisch. Brav. Ja, gut in der Schule: Ich hab’ gern Aufsätze gemacht. Bei den Englischen Fräulein, einer Privatschule. Mit wenigen Kindern in einer Klasse, höchstens 15, oder nur neun. Ich fand es sehr angenehm. Die Eltern waren sehr ängstlich: Als kleines Kind hab’ ich Gehirnhautentzündung gehabt. Da sollte und durfte ich bis zum zehnten Jahr keine ansteckende Krankheit bekommen. Nein, gefordert haben sie nie etwas, mich nirgends hingedrängt. Nur geliebt. Am schönsten waren die Sommer in Deinzendorf. Barfuß über die Wiesen zu laufen. Wir haben einen alten Vierkanter gehabt. Am liebsten bin ich am Brunnen gesessen und habe Mundharmonika geblasen, obwohl ich sie gar nicht spielen konnte. Doch es gab mir so ein wehmütiges Gefühl, das meinen ganzen Körper wie in Trance versetzt hat.“
Staunen: Liebenswürdig, leise, bisschen zögerlich, schenkt sich die große Wiener Dichterin Friederike Mayröcker eine einfache Erzählung ihrer Biografie. Kontert Schwärmerei über verzauberndes alchimistisches Liebesspiel mit der Sprache fast trocken: „Literatur ist nicht die Wirklichkeit.“ Verwandlung, die sich angekündigt hat: Das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf, aber manchmal frage ich mich auch, wo ich das Leibliche (Stoffliche) meiner Texte finde. Schnitt in den Filz einer Jahrzehnte postulierten Haltung: „Ich will hinter meiner Biografie verschwinden.“ Entschlossen. „Meine Mutter war Modistin, eine geschickte. Hat den Beruf sehr geliebt, bis mein Vater gesagt hat, das geht nicht, entweder das Kind oder die Modisterei. Sie war ihr Leben lang sehr melancholisch. Doch. Kreativ. Das Kreative hab’ ich sicher von ihr.“ Sie hat sie geliebt. Sie wurde alt. 88. Doch. „Meine Lieblingstante, ihre Schwester, 96.“ Gute Gene. Hoffnungsreich. „Ich hasse den Tod“, hat FM gewütet. „Angst. Immer, seit dem Krieg.“ Ihr erstes Gedicht schrieb Mayröcker mit 15. Story, Plot, Handlung, Botschaft, durfte man bei ihr nie erwarten. Wilde Assoziationsströme immer. Larifari. Ein konfuses Buch, hieß ihr erstes, 1956. Der Warnhinweis war beigepackt: Was ich auch immer sage, es ist nicht endgültig gesagt, und ihr sollt deshalb auch nicht vorwurfsvoll feststellen: Hier und dort hast du dich über dieselbe Sache anders ausgesprochen. Er gilt über alle Verwandlungen bis jetzt. Dass sie UNBEDINGT SCHREIBEN MUSS, sagt Mayröcker, wusste sie mit 42, als sie den Lyrikband Tod durch Musen abgeschlossen hatte. „Nach dem Krieg hab’ ich die Staatsprüfung in Englisch gemacht, 24 Jahre unterrichtet. Sehr ungern, weil es mir die ganze Zeit zum Schreiben weggenommen hat. Am schlimmsten fand ich, dass ich vormittags arbeiten musste. Das ist meine beste Schreibzeit – und musste doch jeden Tag mit der Bahn nach Simmering fahren. Ich war keine gute Lehrerin! Nach 24 Jahren habe ich eine Frühpensionierung bekommen.“ MAYRÖCKERN. Am Rande eines oszillierenden Kosmos balancieren. Puzzeln. Aus zahllosen Teilchen. Erinnerungen auch an spannend witzig kühne Auftritte eines scheinbar symbiotischen Paares, Friederike Mayröcker & Ernst Jandl. Bei Lesungen, Symposien, Ausstellungen, in Literaturhäusern, in Wiener Kaffeehäusern und oftoftoft im Fernsehen. Mit oder ohne Otto, den Mops. Mit oder ohne Jazz. In den Sechziger-, Siebziger- Achtziger-, Neunzigerjahren. Zwei respektvoll hochgelobte oder als schräge Spinner abgetane, jedenfalls immer neugierig beäugte Ortsgeister, bewegliche Monumente.
„Wir haben uns 1954 bei Jugendliteraturwochen in Innsbruck kennen gelernt, beide als Dichter eingeladen, und haben uns ineinander verliebt. Ich war verheiratet. Mit Georg Heindl. Auch ein Lehrer, doch lieb und gut. Wir haben nicht zusammen gewohnt. Nach drei Jahren Ehe habe ich mich scheiden lassen. Ernst Jandl war auch verheiratet und hat sich scheiden lassen, aber geheiratet haben wir nicht mehr. Auch nicht zusammen gewohnt. Wenn man etwas Ordentliches schreiben will, kann man nicht mit jemandem zusammenleben. In unseren Landsommern in Rohrmoos bei Schladming hat Ernst Jandl sehr viel geschrieben, ich fast nichts.“ Aber. Damals waren wir in der Praterstraße beim Tiger, ich trug Stöckelschuhe und ein enges Gewand mit verschlungenem Blütenmuster Orlando wir waren verliebt und er rauchte permanent trank Rotwein und wir wandelten die Praterstrasze entlang, in den Prater glückliche Tage, ich umarmte unsere Poesien, schreibt sie 1996 in einem Gedicht aus dem Band dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif. Haben sie je gestritten? „Überhaupt nie. Ich bin so friedlich, ich kann gar nicht streiten. Hab’ immer versucht, die Meinung des anderen zu verstehen. Ach, ich habe viel geweint in meinem Leben. Eben deshalb: Wenn das Gefühl überhand nahm, dass ich Recht gehabt hätte und nachgegeben habe.“ Streit trägt die Dichterin mit sich selbst an der Schreibmaschine aus. In dem hochmusikalisch schwingenden Prosabuch mein Herz mein Zimmer mein Name lässt sie am Körper der Schreibenden ein infernalisches Blutbad einsetzen. Kommentiert vom „Ohrenbeichtvater“, einer Figur, bei der man an Ernst Jandl denkt, die sich im Text oft ungefragt und manchmal unfreundlich einmischt. Spruch und Widerspruch. Textraserei. Schreiben bis zur Selbstzerfleischung. Und äußerster körperlich zwingender Konzentration in der Destillation zur Reinschrift. Zu Literatur. Seither nie wieder anders. Nicht in Reise durch die Nacht, die Germanist Klaus Kastberger nach tiefschürfender Analyse „Reinschrift des Lebens“ nennt. Nicht in brütt oder Die seufzenden Gärten, in der die Autorin überwältigt wird von zwei Seiten, der rohen und ihrem sanften Gegengewicht im ungesicherten Terrain der Liebe. Schreiblust, Schreibfluch, ein Prozess, der sich in den Papier- und Büchergebirgen ihres „Hausunwesens“ spiegelt, die buchstäblich kaum noch Platz zum Sitzen lassen, wie in Jandls Sprechoper Aus der Fremde“ ER über SIE sagt: Überall/ in ihrer zugewachsenen Wohnung/ Stöße von Papier/ und darauf Zettelchen/ mit der Aufschrift TABU/ ...
Jeder kennt Mayröcker als große vielgefeierte Autorin, Wegbereiterin der modernen Literatur, Forschungsobjekt internationaler Wissenschaftler und Übersetzer; vielmals bepreist, 2001 mit den wichtigsten deutschen, dem Büchner-Preis. Vor zehn Jahren hat der Suhrkamp-Verlag 1.037 Gedichte aus 64 Jahren Schreibleben in einem Sammelband herausgegeben, 2007 fünf Bände Prosa editiert, bis jetzt weitere 14 Titel. Doch immer nur in kleiner Auflage. „Ein paar Tausend pro Buch vielleicht. Gelebt habe ich von den Preisgeldern“, sagt sie. „ICH SCHREIBE FÜR NERVENMENSCHEN“, kommentierte FM ihre Kompositionsmethode vor dreißig Jahren.
Für Nervenmenschen, die sich verlieren mögen in wuchernden Gedankenlabyrinthen, streng gebauten Satzfugen, im Aneinanderklirren widersprüchlicher Klangbilder, in geträumten und morgengrauenfrüh im Bett notierten Wortfunden: „Augenseele“, „anschwestern“, „nachtigallen“, „Fleisch des Gedichts“, in rasantem Beschwörungsgemurmel: lasz dich beschlafen mein Wild, mein Reh, lasz dich beschlafen mein Liebster. Poetischer Sog aus den Sechzigerjahren, als Mayröcker auf ihrer ersten Hermes-Baby schrieb, der Schreibmaschine ohne scharfem ß, weshalb sz geschrieben werden musste. Das gefiel ihr. Sie behielt es bei. Bildende Kunst seit früh eine Passion: „Ein Bild, das mir gefällt, so lange zu betrachten, bis es sich in mir in Sprache verwandelt. Picasso in all seinen Perioden, Goya, Maria Lassnig und ... Ich hab’ viel über Maler geschrieben.“ Umgekehrt: Für die österreichische Grafiker-Malerin Linde Waber gehen „Sonne und Mond zugleich auf, wenn ich Friederike Mayröcker treffe“. Das schöne Resultat der künstlerischen Arbeitsfreundschaft seit 31 Jahren ist mandelbaums künstlerfabrikat N° 3 Gleich möchte ich mich auf deinem Bild niederlassen, in dem Waber Tageszeichnungen zu Texten ihres Doppelgestirns F+M zeichnet, malt und collagiert. Zumindest so fasziniert die Herausgeber Christel & Matthias Fallenstein: Sind aus Deutschland in die Zentagasse übersiedelt, in dieselbe Straße, in der die Dichterin ihren magischen Sprachteppich knüpft. Autor Bodo Hell, für viele Hörspielproduktionen zuständig, zählt zum Kreis. Psychotherapeutin Edith Schreiber. Freunde. Ernst Jandl, der Hand- und Herzgefährte ist tot seit 14 Jahren. Es gibt Zeiten außerhalb des Schreibgehäuses. Doch das Lebensprogramm ist radikal geblieben: mich interessiert das nicht was in meinem / Körper vorgeht was mit meinem/ Körper geschieht, solange er noch / sitzen kann und Wörter schreiben auf der Maschine, dichtet sie 2003 in dem Band Mein Arbeitstirol. Zur Arbeit muss „man gestimmt sein.“ Wehmütig melancholisch wie das Kind am Brunnen in Deinzendorf. Seit Monaten hört sie Franz Liszts Années de pèlerinage für Klavier. „Immer das gleiche Stück. Macht mich so enthusiastisch, kann gar nichts anderes hören. Ich beute die Musik aus.“ Bach hat sie früh entdeckt, „sich aus Liebe zu Ernst Jandl dem Jazz angenähert“, Mozart kann sie „nicht leiden“. „Entsetzlich! Immer dieses Getänzel und pipipdididi.“ Beat Furrer hat Mayröcker vertont, Christian Ide Hintze ein Hörstück zu ihrem Stimmklang gebaut. Sie liebe es, ihre eigene Stimme in großen Räumen zu hören, je mehr Leute, desto besser, schreibt Musikredakteurin Irene Suchy zum Mayröcker-Tag auf Ö1, oder wie sie selber sagt, wenn man das Gefühl hat, es gibt nur noch Ohren, die da sind. Das wahre musik-theatralische Geburtstagsfest am 20. aber richtet Hermann Beil im Akademietheater aus: Mayröckers Wortgesang, ihre leidenschaftliche Totenklage nach einem halben Jahrhundert Leben, Lieben, Arbeiten, ihr Requiem für Ernst Jandl. Lesch Schmidt, Mediziner, Komponist, Entdeckung von John Cage und Bruder der Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz, hat es vertont. Eine Uraufführung mit Live-Musik, Gesang und Aufnahmen von Mayröckers Stimme. Sie möchte am liebsten 200 werden.
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