Freda Meissner-Blau über Aktivität
freizeit: Frau Meissner-Blau, auch wenn man es Ihnen nicht ansieht: Sie sind im 88. Lebensjahr. Wie geht es Ihnen heute?
Freda Meissner-Blau: Ich mag es lieber, wenn es regnet. Dieses feucht-warme und doch kalte Wetter war mir ekelig. Jetzt geht es mir gut.
Körperlich oder seelisch betrachtet?
Körperlich. Auf meine Seele achte ich nicht so viel. Das ist ein weites Gebiet.
Dabei haben Sie sich Ihrer Seele einst ausführlich gewidmet und eine Psychoanalyse gemacht, wie Sie in Ihrem Buch „Die Frage bleibt“ beschreiben.
Ah, Sie haben von meiner Verurteilung der Psychoanalyse gelesen. Ich bin mir nicht sicher, ob es das wert war, sieben Jahre Psychoanalyse zu machen. Was nicht heißt, dass man nicht davon profitiert. Man lernt, von unterschiedlichen Seiten an Dinge heranzugehen. Wir sind es gewöhnt von A nach B zu denken: Wenn du das machst, passiert das. Aber unser Gehirn ist viel subtiler. Vernetztes Denken zu lernen, ist da sehr hilfreich.
Können Sie ein Beispiel geben?
Man bezieht die Motive der Menschen mit ein, wenn sie etwas sagen oder tun. Wenn jemand zum Beispiel böse ist, weiß man, woher das kommt. Jeder Mensch hat die eine oder andere Neurose. Meine war, dass ich nichts ablehnen konnte. Dahinter steckt die Angst, dass die Eltern einem die Liebe entziehen, wenn man nicht sofort pariert. Meine Generation hat es nicht gewagt, Nein zu sagen. Nach einer Analyse kann man das auch nicht immer, aber man wird sich seines Verhaltens besser bewusst und kann sich bremsen.
Das Gute an Ihrem Leben war aber gerade das Nicht-Bremsen, die Aktivität.
Es war mir auch anfangs recht so. Früher bin ich kreuz und quer herumgefahren. Wenn ich heute gebeten werde, irgendwo zu sprechen, sage ich nicht mehr spontan zu, sondern überlege mir vorher, ob es sich lohnt. Mich für einen einstündigen Vortrag in Bregenz einen Tag in den Zug zu setzen, mache ich nicht mehr.
Sie haben erst in reiferem Alter zum ersten Mal vor Publikum gesprochen. Wie konnten Sie sich dazu überwinden?
Ich muss knapp 40 gewesen sein. Meine Zwillinge waren damals schon geboren. Das war bei einer Veranstaltung, wo es um die Abtreibungsfrage ging. Etwas an der Diskussion hat mich sehr zornig gemacht. Das war dann mein Antrieb, mich zu Wort zu melden. Ohne den Zorn hätte ich mich wahrscheinlich nicht getraut. Als ich 1986 als Grüne für das Amt der Bundespräsidentin kandidiert habe, war es aber noch viel schlimmer.
Woran denken Sie konkret?
Das war als in England Atomraketen aufgestellt wurden. Ich war dazu eingeladen, Österreich im Protest zu repräsentieren. Bei einer Versammlung im Hyde Park waren 100.000 Leute und plötzlich hieß es: „It’s your turn.“ Ich bin auf einen Riesenaufbau geklettert, um die Menge zu überblicken. Ein erhebendes, aber gleichzeitig beängstigendes Gefühl. In der Hand hielt ich ein Bündel von Notizen. Als ich beginnen wollte, zu reden, kam plötzlich ein Windstoß und alle Zettel sind davon geflogen.
Was haben Sie dann gemacht?
Ich habe einfach gesagt: „There goes my speech.“ Die Engländer haben ja einen unheimlich guten Humor und haben herzlich gelacht. Da war der Bann gebrochen. Es wurde dann eine relativ kurze Ansprache, aber die wesentlichen Punkte sind mir zum Glück eingefallen. Durch solche Erlebnisse bekommt man irgendwann eine gewisse Routine und man läuft nicht mehr weg.
Ihr wichtigster Tipp an alle Redner und solche, die es werden wollen?
Man muss seine Botschaft selbstverständlich rüberbringen. In sich gekrümmt dazustehen, ist falsch. Sobald ein Politiker sich zu sehr an seinen Zettel klammert, hat er verloren. Er muss die Leute anschauen.
Wie sind Sie eigentlich zur Umweltaktivistin geworden?
Ich habe damals in Frankreich gelebt und für die Atomwirtschaft übersetzt. Da ist mir gedämmert, wie hochexplosiv das Thema ist. Die Lagerung der radioaktiven Geräte war überhaupt nicht geregelt, und es war vorgesehen, den Müll ins Meer zu werfen. Anfangs habe auch ich in die Atomenergie Hoffnungen gesetzt. In Frankreich herrschte der nukleare Enthusiasmus. Aber dann habe ich begonnen, Fragen zu stellen. Mein Mann Paul war auch Atomgegner und hatte Kontakte zu Gleichgesinnten in Österreich. Als wir zurückgekehrt sind, habe ich mich einem Grüppchen von Wissenschaftlern angeschlossen, das sich gegen Atomkraftwerke stark gemacht hat. Und dann kam Zwentendorf. Damals hieß es, man könne gegen Zwentendorf nichts mehr ausrichten. Es war bereits gebaut und von der Koalition besiegelt worden. Für den Start hätte es nur noch die Brennstäbe gebraucht. Da haben wir beschlossen, gegen das nächste AKW zu kämpfen, das in St. Pantaleon bei Enns geplant war.
Es kam dann anders. Wie war es möglich, aus einem Minderheitenprogramm eine große Bewegung zu machen?
Unsere Gruppe wurde damals sehr schlecht behandelt. Wir wurden aus Bauverhandlungen geworfen oder gar nicht zugelassen und hatten kein Recht auf Meinung. Da haben wir uns Journalisten gesucht, die unseres Denkens waren. Die Gruppe der Skeptiker wurde so mit der Zeit immer größer. Als dann der Marsch auf Zwentendorf kam, dachten wir, es würden 500 Leute teilnehmen. Schließlich waren es Zehntausende.
War die Gruppe, der Sie sich angeschlossen haben, also der zündende Funke für den späteren großartigen Erfolg?
Es war sicher ein Teil davon, aber ich glaube, dass der zündende Funke beim Marsch auf Zwentendorf entstanden ist. Es war wahnsinnig warm an diesem Tag und wir haben uns am Rückweg unter schattigen Bäumen ausgeruht. Irgendwo saß ganz gemütlich eine Gruppe von Frauen mit ihren Kindern, zu der ich mich gesellt habe. Beim Plaudern haben wir dann beschlossen, uns zusammenzutun. Als wir einen Namen für die Gruppe gesucht haben, habe ich „Mütter gegen Atomkraftwerke“ vorgeschlagen. Ich dachte einfach, Mütter schmeißt kein Politiker gerne raus. Das ist ein Türöffner. So war es auch. Nach und nach haben sich immer mehr Gruppen gebildet. Ärzte gegen Atomkraftwerke, Physiker...
Die Inbetriebnahme von Zwentendorf wurde am 5. November 1978 in einer Volksabstimmung mit 50,47% abgelehnt. Können Sie das damalige Gefühl noch beschreiben?
Wir dachten uns damals: Wenn wir ein Drittel der Bevölkerung auf unserer Seite haben, wird das AKW zwar eingeschaltet, aber wir sind richtig gut gewesen. Als das Ergebnis schließlich über Lautsprecher verkündet wurde, standen wir am Ring. Wir sind beinahe verrückt geworden. Ich habe einmal leichtfertig gesagt, dass das der schönste Tag meines Lebens war. Da ist was Wahres dran.
Dieser Tage jährt sich die Besetzung der Hainburger Au zur Verhinderung des geplanten Wasserkraftwerks zum 30. Mal. Was ist Ihre stärkste Erinnerung daran?
Das war ganz wichtig für mein Leben. In ein paar Nächten habe ich mehr Gemeinschaft erlebt, als im Rest meines Lebens. Kein Mensch hätte ein Stück Brot oder ein Stück Schokolade genommen, ohne zu sagen: „Willst du auch?“ Das war ein anders Österreich dort in den Zelten.
Bei all Ihrem Engagement: Sie waren immer berufstätig und engagiert, hatten aber drei Kinder. In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass es Ihnen ein Anliegen war, Ihre Kinder bis zum Teenageralter so zu erziehen, dass sie theoretisch auf eigenen Beinen hätten stehen können. War das nicht egoistisch?
Dazu muss man sagen, dass ich schon lange herzkrank bin. Meine Idee war, meine Kinder bis zum 15. Lebensjahr so selbstständig zu machen, dass sie quasi für sich alleine sorgen können, falls ich nicht länger durchhalte. Nicht unbedingt im materiellen Sinne. Ich wollte aber, dass sie als Menschen verantwortlich genug sind. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass ich größtenteils alleinerziehend und Mutter und Vater zugleich war. Als ich dann meinen dritten Mann Paul Blau geheiratet habe, war er die bessere Mutter. Er war der Zärtliche, der Verwöhnende. Da musste ich Grenzen setzen. Aber es hat funktioniert.
Das heißt, Sie haben heute mit allen drei Kindern ein gutes Verhältnis?
Mit den Söhnen ist es perfekt, mit meiner Tochter Aleksandra schwieriger. Es war nicht leicht für sie, eine Mutter zu haben, die, ohne es selbst zu betreiben, in der Öffentlichkeit stand. Als sie mitten in der Pubertät war, hat sie gesagt: „Bitte sag’ keinem, dass ich deine Tochter bin. Aber ich heiße zum Glück ja Pawloff.“ Die Bekanntheit ihrer Mutter war ihr unangenehm. Mittlerweile ist das aber anders geworden.
Welchen Weg hat Ihre Tochter beruflich eingeschlagen?
Früher hatte sie das Gefühl, in meine Richtung gehen zu müssen. Aleksandra hat es dann aber zum Glück kontrovers gemacht und ist Fotografin geworden. Sie macht wunderschöne Porträts. Das Lustige ist, dass ich sie mehr bewundere, als sie mich. Dabei hat sie schon als 16-Jährige maturiert. Nicht nur, weil sie so brillant war, sondern weil sie auf eine französische Schule ging und das System anders ist. Sie hat ein tolles Gehirn und hätte mit 20 ihr Doktorat haben können. Aber das wollte sie auf keinen Fall und meinte: „Ihr mit eurem Gehirntraining.“ Sie hat ein anderes Wort gebraucht, ein sehr anstößiges.
Ich glaube, das Wort, das Ihre Tochter gemeint hat, heißt Hirnwichserei.
Ja, bravo! Das war für mich ein ganz neuer Ausdruck, so was lernt man nur von den Kindern. Meine Tochter hat dann ein Jahr die Welt bereist. Als sie zurückkam, sagte sie: „Mami, du hast recht. Das ist irgendwie langweilig. Man sitzt dauernd auf irgendwelchen Bahnhöfen herum.“ Dann habe ich sie noch einmal gefragt, ob sie nicht studieren will. Sie hat alles aufgesaugt wie ein Schwamm und hatte ein Gehirn zum studieren. Sie hat dann die Fotografin Elfie Semotan kennengelernt und ihr einige Jahre assistiert.
Wenn man mit Ihnen spricht, hat man keinen Moment das Gefühl, einer 88-jährigen Frau gegenüberzusitzen. Woran kann das liegen?
Ich fühle mich einfach nicht so. Ich muss mich immer zur Ordnung rufen und sagen: „Du bist eine Greisin, meine Liebe.“ Ab 80 ist man Greisin. Das kommt mir alles so komisch vor. Ich vergesse daher manchmal, wie alt ich bin. Obwohl ich auch nichts beschönigen will. Ich bin schneller müde und nicht mehr dieselbe wie früher.
Sie hatten 1999 eine Herztransplantation. Das ist 15 Jahre her. Gibt es eine Prognose, wie lange so ein Herz hält?
Normalerweise heißt es, dass ein Spenderherz zehn Jahre hält. Einige Menschen, wie ich, zeigen aber, dass es auch viel länger schlagen kann. Haben Sie manchmal Angst vor dem Tod? Ich stehe dem Tod zwiegespalten gegenüber. Einerseits empfinde ich ihn ehrlich gesagt als narzisstische Kränkung. Zuerst plagt man sich ein Leben lang und dann existiert man plötzlich nicht mehr. Andererseits gibt es in mir auch diese naturnahe Person, die sagt: „Werden und vergehen ist der Lauf des Lebens.“ Wir würden nicht bewusst leben, wenn wir nicht sterben müssten. Insoferne geht das schon in Ordnung.
Freda Meissner-Blau, 87, wurde 1927 in Dresden geboren und kam während der Wirren des zweiten Weltkrieges auch nach Österreich. Ihr Vater entstammt einem altösterreichischen Offiziersgeschlecht. Als junge Frau absolvierte sie eine Krankenschwesternausbildung und inskribierte Medizin. Das Studium blieb aber unvollendet, da sie mit Ihrem ersten Mann Georges, dem Vater ihrer drei Kinder, aus beruflichen Gründen in den Kongo ging.
Bekannt wurde Meissner-Blau als Umweltaktivistin, die das AKW Zwentendorf mitverhinderte und beim Kampf um die Hainburger Au eine der wichtigsten Mitstreiterinnen war. Sie war die erste Parteivorsitzende der österreichischen Grünen und kandidierte im Frühjahr 1986 für das Amt der Bundespräsidentin. Meissner-Blau war drei Mal verheiratet.
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