Ich persönlich sehne mich danach, in einer Bar Cocktails zu kippen, obwohl ich weder Cocktails noch Ausgehen besonders mag. Manche sehnen sich dieser Tage auch nach Freunden, die ihnen sonst eher auf die Nerven gehen. Da frage ich mich: Warum schätzen wir Dinge erst, wenn sie nicht mehr verfügbar sind?
Wie Kleinigkeiten bleibend Wert behalten
Das Problem nennt sich Überfluss und beschäftigt Philosophen seit es das Industriezeitalter gibt. In einer Welt, in der alles jederzeit zu haben ist, wird vor allem Alltägliches nicht wahnsinnig geschätzt. Darüber hat Erich Fromm, der neben Philosoph auch Psychoanalytiker war, schon 1976 in seinem Bestseller „Haben oder Sein“ recht kluge Dinge gesagt. Fromm, ganz aufsässig, stellte das Streben nach Besitz als Religion der westlichen Gesellschaft, dem Wiederfinden des Seins gegenüber. Hier definiert sich der Mensch nicht über das, was er hat, sondern das, was er ist. Das eine führe, so Fromm, zu Lebendigkeit und Vernunft, während das andere krank mache. So gesehen tut sich für uns gerade die große Chance auf, zurück zum Sein zu finden.
Krise als Chance
Der Psychoanalytiker C. G. Jung setzte Krisenlagen für ein Umdenken und einen Veränderungsprozess sogar voraus. Die Frage ist nur: Wie schätzen wir das Alltägliche, wenn die Wirtschaft hoffentlich wieder ins Laufen kommt? Die Herren empfehlen Askese! Nur sie schafft es, so der Grundtenor, uns für das äußere Erleben empfänglich zu halten. Dazu zählen Meditation, Kunst, eine Wanderung, eine Fastenkur, aber auch Joggen. All das, worauf wir in den vergangenen Wochen „reduziert“ gewesen sind. Askese eben. Die Veränderung hat begonnen, ohne, dass wir es bemerkt haben. Jetzt nur nicht lockerlassen.
Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.
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