Er wurde mit Problem-Dokus wie „Alphabet“ oder „We Feed The World“ bekannt. Jetzt sucht Erwin Wagenhofer in seinem neuen Film Lösungen. In „But Beautiful“ geht es um Alternativen zur grenzenlosen Konsumgesellschaft. Wagenhofer porträtiert dazu Menschen, die neue Wege gehen. Das Ehepaar Graf zum Beispiel, das seine gutbezahlten Jobs aufgegeben hat, um auszuwandern und Öd- in Grünland zu verwandeln. Das macht sie glücklich und unabhängig, verdienen die Aussteiger heute ihren Lebensunterhalt damit. Oder Förster Erwin Thoma, der aus einer Not heraus, die gesündesten Häuser der Welt entwickelt hat. Wagenhofers schöne Mission: Menschen positiv auzufladen.
Herr Wagenhofer, Sie sind einer der wenigen österreichischen Dokumentarfilmer, die sich einen Namen gemacht haben. "We Feed The World" oder "Let's Make Money" sind vielen Menschen ein Begriff. Haben Sie immer zur richtigen Zeit die richtigen Themen aufgegriffen?
Ja, aber nicht weil ich so gescheit oder raffiniert bin, sondern weil ich versuche, ganz organisch zu arbeiten. Die Filme mache nicht ich, sondern die Filme machen mich. Sie kommen auf mich zu, aber nicht wie bei einem Hollywood-Produzenten, der sich umhört, was gerade gefragt ist. Bei mir wächst das wie ein Garten. Das nennt man Entwicklung.
Ihr neuer Film "But Beautiful" gibt Hoffnung, dass noch alles gut werden kann.
Na bitte, es ist doch gut, dass man endlich mal Hoffnung schöpft.
Ihr Film ist aber so schön und so positiv, dass man nachher das Gefühl hat, der Wagenhofer idealisiert alles ein bisschen. Frauen ohne Bildung, die Solar-Anlagen für die ganze Welt bauen, der glückliche Förster im Wald, der die perfekten Häuser baut _ sind Ihre Protagonisten nicht in der Minderheit in einer meist grausamen Welt?
Ein tibetisches Sprichwort heißt: „Krachend fällt der Baum, still wächst der Wald“. Wir hören aber immer nur auf’s Krachen, weil die Medien voll davon sind. Dabei wächst viel mehr Wald, als umfällt, wie man auch im Film sieht. Wir sind konditioniert für das Abgründige und für das Drama. Deshalb heißt es ja auch Dramaturgie. Das war die große Herausforderung bei diesem Film. Es so zu machen, dass es, obwohl es kein Drama gibt, dramaturgisch funktioniert. Meine Idee war, die Menschen aufzuladen und vom Negativen wegzuholen. Mal sehen, ob sie das annehmen.
Was macht Sie so sicher, dass die Welt besser ist, als man oft denkt?
Gäbe es mehr Schlechtes als Gutes, wären wir gar nicht mehr da. Glauben Sie, dass die Welt morgen untergeht? Ich glaube das nicht. Es kann sein, dass es viel heißer wird auf diesem Planeten. Zumindest schaut es momentan danach aus, als ob die Kurve nach oben geht. Das sagt auch die Wissenschaft. Aber es gibt genügend Möglichkeiten gegenzusteuern. Die Probleme werden von Menschen gemacht. Deshalb können sie vom Menschen auch wieder rückgängig gemacht oder in eine andere Richtung gelenkt werden.
Da werden die Machthaber, denen es vor allem ums Geld geht, aber etwas dagegen haben.
Das Meiste spielt sich in unseren Köpfen ab. Denn real hungert niemand, oder? Aber es wird so getan, als ob. Wir hungern nach Zuneigung, wir hungern nach Verbundenheit. Darum wollte ich auch einen Film über Verbundenheit machen. Wir hungern nach Ruhe, wir hungern nach dem Gegenteil von Angst, was immer das ist. Liebe könnte das Gegenteil sein. Das ist etwas Immaterielles. Das kostet nichts, wir müssen es nur einfach in die Welt bringen. Das liegt auch an uns. Sie können natürlich ununterbrochen mitheulen mit den Wölfen und Herrn Trump und seine Kollegen ernst nehmen. Ich nehme sie nicht ernst. Generell können wir die Leute wieder abwählen. Wir kriegen genau die Politiker, die wir verdienen. Man müsste die Leute auch mehr aufklären. Dieses ewige Spalten, und Herrschen!
Hatten Sie nach Ihren Problem-Dokus wie "Let's Make Money" über die Entwicklung des globalen Finanz-Systems eigentlich Sehnsucht, einmal einen positiven Film zu machen?
Ich sehe das als natürliche Entwicklung, könnte man sagen.Ich glaube übrigens, dass "But Beautiful" mein kritischster Film ist. Man muss nur genau hinschauen. Er zeigt Dinge auf, von denen man gar nicht glaubt, dass es sie gibt. Ich wollte gewisse Hypothesen mit denen speziell in der Wirtschaft gearbeitet wird und die nur reiche Leute noch reicher machen, widerlegen. Das ist immer die Rede von "Survival Of The Fittest". Es heißt oft, Darwin hätte gesagt, der Stärkste würde überleben. Das ist doch ein Blödsinn und stimmt überhaupt nicht. Es wird der überleben, der sich am besten an Veränderungen im Leben anpassen kann. Die Wirtschaft tut aber so, als würde nur der Stärkste übrigbleiben. Das ist wie eine Religion und zwar eine ziemlich schlechte. Trotzdem tun alle mit und glauben daran. Das ist eigentlich eine Schande für den aufgeklärten Menschen.
Im Film kommt auch der Dalai Lama vor, den Sie ursprünglich gar nicht interviewen wollten und der Ihnen per Zufall begegnet ist. Ist das das Glück des Tüchtigen?
Das war ein Zufall, an den ich überhaupt nicht glaube und den ich anders interpretiere Sie können zwei Dinge machen mit Begegnungen. Sie nehmen den Zufall so, dass er Ihnen zufällt. Wenn Sie das nicht machen, dann kommen Sie zu Fall und liegen am Boden. Zufall, das ist auch wissenschaftlich untermauert, gibt es nicht. Das Treffen mit dem Dalai Lama sollte so sein. Wir sind interessanterweise zuerst seiner Schwester begegnet, die für den Film genauso wichtig war. Die Kombination macht den Reiz aus. Der Dalai Lama sagt grandiose Sachen, aber es gibt genug Leute, die sich daran stoßen. Kaum hat jemand eine Kutte an, gilt er als böse. Das sind alles Konditionierungen im Menschen. Wir sind nicht frei, wir haben Vorurteile. Sie haben ja auch anfangs gesagt, dass die Welt eher negativ als positiv ist. Wenn es so wäre, würden wir uns gar nicht fortpflanzen.
Naja, Sie brauchen sich nur die Meldungen durchzulesen oder die Nachrichten anzusehen.
In einer Zeitung könnte ja auch einmal stehen: Heute sind, Hausnummer, 978 Kinder glücklich und gesund zur Welt gekommen – weil viele tüchtige Leute in der Stadt arbeiten und es den Arzt Ignaz Semmelweis gab, der die Geburtensterblichkeit stark reduziert hat. Er wurde für seine Erkenntnisse ausgelacht und wäre deshalb fast verrückt geworden. Zum Glück gibt es Leute, die sich vorwagen. Vielleicht heiße ich aus diesem Grund Wagenhofer.
Nicht jeder heißt Wagenhofer.
Es passiert in dieser Stadt (Anm.: Wien) heute mehr Gutes als Schlechtes, glauben Sie mir. Es geht darum, die Herausforderungen der Zeit, anzunehmen. "I can't change the world, but I can change myself." Das heißt nichts anderes, als anders auf die Welt zu schauen. Kürzlich hat mir ein wohlhabender Anwalt aus den USA erzählt, jemand hätte ihn gefragt, wie er mit wenig Geld besser auskommen kann. Seine Antwort war: „Reduce your needs.“
Der reiche Anwalt hat leicht reden ...
Das sagt doch nur, dass es immer eine Alternative gibt. Banal gesprochen: Wenn Sie kein Wasser trinken wollen, trinken Sie halt Tee! Man kommt relativ reduziert gut durchs Leben. Das heißt nicht Hunger oder Kälte zu leiden, sondern vielleicht mehr Zeit und statt 17 Hosen nur vier im Kasten hängen haben. Was mich seit Jahren stört, ist ein Spruch, der Jahrzehnte das System angetrieben hat: "There is no alternative." Margret Thatcher hat ihn geprägt, auch ein sozialdemokratischer Kanzler hat diesen unfassbaren Blödsinn einmal gesagt. Es gibt immer eine Alternative. "You don't need a rich lifestyle, you need a simple lifestyle." Nehmen wir Lebensmittel. Ein Drittel wird weggeschmissen, ein weiteres Drittel kommt gar nicht in den Handel und wird umsonst hergestellt. Simpel zu leben, würde bedeuten, nur das eine Drittel zu verwenden, und die anderen nicht in Umlauf zu bringen. Dann würden wir weniger ernten und weniger produzieren müssen. So ist das bei allem. Der Herr Zotter (Anm.: Schokolade-Produzent) sagt das so schön: "Weniger essen und mehr genießen."
Der Dalai Lama sagt in Ihrer Doku, seine wichtigste Erkenntnis nach 60 Jahren des Nachdenkens wäre, dass alles mit allem verbunden ist, auch feinstofflich. Man weiß das, hat es oft gelesen. Aber was kann man sich darunter vorstellen?
Nehmen Sie es praktisch und denken Sie an einen Frühstückstisch. Was glauben Sie, wo das alles herkommt? Eine Semmel zum Beispiel. Anhand der Semmel erkennt man, dass alles mit allem verbunden ist. Oder Sie fahren irgendwo hin. Wo kommt das Fahrzeug her? Wo das Kerosin, falls Sie wegfliegen? Wer bedient das Flugzeug? Wer serviert das Essen? Wer hat die Landebahn gebaut? Wer das Gebäude, von wo Sie abfliegen? Plötzlich sind Sie auf der ganzen Welt mit allem verbunden. Das ist das Materielle. Auch das Feinstoffliche kann mittlerweile in der Neurowissenschaft nachgewiesen werden. Wenn Sie sich reinschneiden und ich sehe das, geht das auch bei mir ins Schmerzzentrum. Das nennt man Spiegelneuronen. So verbunden sind wir! Wir können das nachweisen, aber glauben es immer noch nicht und gehen grauslich miteinander um. Weil die Wirtschaft sagt: Wettbewerb! Jeder gegen jeden! Konkurrenz! Wir sind aber in einer christlichen Kultur aufgewachsen, wo man den Nächsten lieben soll. Wie geht denn das alles zusammen? Es würde alles viel leichter gehen, wenn wir miteinander tun - wie die Musiker im Film - und nicht gegeneinander arbeiten.
Einer der Musiker im Film erzählt von seiner gescheiterten Schullaufbahn. Heute ist er in seinem Beruf erfolgreich.
Trotzdem wollen alle Eltern, dass ihre Kinder Musterschüler sind. Aber was heißt Musterschüler? Sie haben das Muster übernommen. Und welches Muster? Jenes, das nicht mehr funktioniert. Trotzdem wollen alle Musterschüler sein.
Sie zerlegen gerne Wörter.
Das ist mein Spaß. Aber man soll auch nicht jedes Wort zerlegen. Wir müssen Worte ja verwenden. Das Wort Wahrheit verwenden wir ja auch, obwohl es das eigentlich nicht gibt. Heinz von Förster hat gesagt: "Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners." Es gibt maximal verschiedene Sichtweisen. Ihre ist eine andere als meine. Und es gibt Wirklichkeiten. Das da auf dem Tisch ist wirklich eine Schokolade, und wirklich ein Handy, und wirklich ein Glas. Wenn ich Ihnen das auf den Kopf haue. haben Sie Schmerzen und so weiter. Aber Wahrheit: Was ist das? Ich sehe, wir kommen vom Hundertsten ins Tausendste.
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