Dunkle Begierde
Der kleine Mr. Grey ist ja so hübsch, da würde ich mir direkt selbst überlegen, etwas devot zu werden“, lächelt Selina. Nachsatz der langbeinigen Blondine: „Mit Sadomaso hat Fifty Shades of Grey allerdings wenig zu tun.“ Und als praktizierende Domina ist die Wienerin vom Fach. Sie weiß, wovon sie spricht. Aber geht es in der Bestsellerverfilmung, die soeben angelaufen ist, denn nicht um einen dominanten Mann, der eine unerfahrene junge Frau zur „Sklavin“ machen will? Selina winkt ab: „Was da gezeigt wird sind klassische Rollenmuster, wie sie schon in den Hollywoodfilmen der 50er-Jahre üblich waren: Der Eroberer, stark, erfolgreich, der weiß was er will und gewohnt ist, zu bestimmen – und das unschuldige Mädchen, das sich schließlich hingibt. Männliche Allmachtsfantasien.“ Die strenge Dame erklärt: „Die Frau wird erzogen oder gezähmt, sie braucht nur eine starke Hand – diese Idee spukt auch heute noch in genügend männlichen Köpfen herum. Und die Mädchen träumen seit Jahrhunderten vom draufgängerischen, feschen Ritter, der sie in sein Schloss entführt. Das dann, wenn sie erst dort sind, immer auch ein dunkles Verlies hat.“ Selina zwinkert: „Und das bisschen Fesseln – das passiert mittlerweile doch in jedem zweiten Vorstadtschlafzimmer, ohne, dass die Beteiligten sich als Sadomasochisten verstehen.“ Die Domina schüttelt ihre langen Haare und lacht. Seit fünf Jahren ist Selina als Herrin aktiv, davor war sie selbst in einer klassisch-bürgerlichen Beziehung: Mann, Kinder, Haushalt. „Ich hab’ die traditionelle Rollenverteilung lange nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, ich habe mir sehr viel sagen lassen. Ganz ,normal' eben.“
Vor zehn Jahren machte die gelernte Bürokauffrau dann ihr Diplom als Gesundheits- und Krankenpflegerin, begann wieder zu arbeiten, zuerst in der Unfallambulanz eines Krankenhauses, dann im Heimpflegedienst. Es folgten Zusatzausbildungen zur Lebens- und Sozialberaterin und zur Trainerin mit Berufsorientierung und Bildungsberatungskompetenz. „Ich helfe gerne“, sagt sie und zuckt beinahe entschuldigend die Schultern. Verglichen mit den weich gezeichneten Bildern eines Films wie Fifty Shades of Grey sieht der BDSM-Alltag (siehe ABC rechts) natürlich anders aus. Aber das kann man über jeden Liebesfilm auch sagen, wenn man ihn mit der täglichen Beziehungskistenrealität vergleicht, meint die Domina. „ Ja, bis morgen. Und vergiss nicht deine Tasche mit Wechselkleidung“, sagt Selina klar und bestimmt aber nicht unfreundlich in ihr Handy. Ein Kunde hat angerufen. Klient, wie Selina lieber sagt. Er will wie ein schlimmer Bub behandelt werden. Geschimpft und ins Eck gestellt. Im echten Leben ist er ein Angestellter mit Entscheidungsbefugnis. Erstaunlich: Einer Studie der größten Internet-Pornoplattform zufolge, die im vergangenen Jahr das Klickverhalten ihrer Besucher in 24 Ländern analysierte, werden nirgendwo so oft Sadomaso-Themen gesucht wie in Österreich. Knapp gefolgt von Deutschland. Wieviele Menschen einschlägige Fantasien haben und wieviele tatsächlich aktiv sind, wurde zuletzt Ende der 1990er-Jahre in den USA erhoben. Die Diskrepanz ist groß: Knapp 70 Prozent träumen davon, nur sechs Prozent haben es tatsächlich schon getan. Beim Fantasieren sind die Frauen in der Überzahl, bei den Aktiven die Männer. Prinzipiell gilt: Es gibt nichts, was Männer nicht wollen, berichtet die Domina.
Von schrullig bis richtig hart. Da ist der höfliche Herr mittleren Alters, der Selina bucht, nur um für sie Schuhe kaufen zu dürfen und im Geschäft von ihr herumkommandiert zu werden. Der Manager, der in Damenunterwäsche mit ihr ausgehen will, ein junger Exekutiv-Beamter, der es scharf findet, von Frauen ausgepeitscht zu werden, ein Sohn aus gutem Hause, der auf Trampling steht. Wie meinen? „Manche kriegen einen Kick, wenn man auf ihnen herumtritt. Mit High Heels“, erklärt die Domina sachlich. Das klingt nicht ganz ohne. Schmerzhaft, wie vieles, was sie beschreibt. Immerhin hat man bei der ausgebildeten Krankenschwester die Gewissheit, dass sie weiß, was so ein armer Männerkörper aushält. Im aktuellen Kinofilm geht es aber doch weit über zeitlich begrenzte Spielereien – wie ausgefallen sie auch immer sein mögen – hinaus! Da gibt’s den Vertrag, mit dem sich Anastacia Steele endgültig als Sklavin an Christian Grey binden soll. „Ja, der Vertrag ...“ Selina schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Den haben viele im Hinterkopf. Als großes Ziel – das meistens eine Fantasie bleibt. Denn davor schrecken fast alle zurück, wenn's ernst wird.“ Die Domina bekommt immer wieder Angebote von Männern, die sich als Haus- oder Putzsklaven völlig in ihre Hände begeben wollen, als männliche Prostituierte von ihr ausgenutzt und gedemütigt werden möchten, während sie für ihre angebetete Herrin Dinge tun, die sie sonst nicht einmal aussprechen würden. Aber es ist eben doch ein Unterschied, ob man ein, zwei Stunden, vielleicht sogar eine ganze Nacht lang eine vorher besprochene Fantasie auslebt, um dann wieder zum erfolgreichen Job, den Freunden, vielleicht sogar der Familie zurückzukehren – oder sich tatsächlich darauf einlässt, in dieser Fantasiewelt zu leben. Open End, ohne Hinterausgang. 24/7, wie's in der Fachsprache heißt, also 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. „Ich kenne niemanden, der so lebt“, sagt die Domina, „und kann mir auch nicht vorstellen, dass so ein Vertrag irgendeine Gültigkeit hätte.“
Was sagt sie zum oft kritisierten Punkt, dass es in Fifty Shades of Grey ausgerechnet eine junge, leicht zu verunsichernde Frau ist, die von einem Sadisten manipuliert wird? „Im echten Leben kenne ich mehr masochistisch veranlagte Männer als Frauen“, erklärt Selina rasch. Wobei ihre persönliche Erfahrung mit den neuesten Studien des US-Psychologen Roy Baumeister übereinstimmt, der in seinen Untersuchungsgruppen entschieden mehr Männer mit masochistischen Neigungen registrierte.
Für den Wissenschaftler ist Masochismus so etwas wie die Flucht vor der „Bürde des Selbst“ – ganz ähnlich wie viele boomende Extremsportarten oder das ultra-anstrengende Trainingsprogramm „Crossfit“. Da findet man ebenfalls viel mehr Männer unter den Aktiven …
„Andererseits haben viele Frauen noch immer das Bedürfnis, alles für die Beziehung zu tun“, sagt die Wienerin. „Wenn man so will, könnte man sagen, dass ich in meiner Jugend auch ,aus Liebe devot' war. Das endet oft nicht gut – weil es einfach keine gute Basis für eine Beziehung ist.“ Und wie ist es mit Christian Grey, der ja, wie man später erfährt, aufgrund seiner schlimmen Kindheit zum gefühlskalten Sadisten wurde? „Erstens wehre ich mich dagegen, dass erotisch dominante Partner pauschal gefühlskalt sind. Wir genießen, was wir tun – aber das funktioniert nur, weil wir wissen, dass unser devotes Gegenüber das auch tut. Und ja, ich habe eine Domina-Kollegin, die hatte eine wirklich schlimme Kindheit. Meine Kindheit war hingegen sehr schön – mit liebevollen Eltern. Natürlich wirken sich unsere frühen Erlebnisse im späteren Leben aus, aber nicht bei jedem auf die gleiche Weise, und vor allem: Damit muss jeder auf seine Art zurechtkommen – die Kindheit als Entschuldigung zu bemühen für alle späteren Entscheidungen, die man trifft, halte ich für etwas zu billig.“ Selina fand zufällig in die Szene. Nachdem ihre letzte Langzeitbeziehung auseinandergebrochen war, registrierte sie sich in einer Internet-Partnerbörse: „Als Frau um die 40, die ihr gesamtes Leben in Beziehungen verbracht hat, ist man doch ein wenig verunsichert. Man weiß gar nicht mehr, wie fremde Männer auf einen reagieren!“ Was in ihrem Fall bald klar wurde. Denn überraschend schnell traf sie auf Männer, die in der sportlichen Blondine mehr sahen, als sie es bis dahin selbst getan hatte: „Der erste wollte stundenlang meine Füße küssen, ein anderer wollte mich unbedingt bedienen – herrlich. Ich kam aus einer derart traditionellen Partnerschaft, in der einer Frau nicht im Traum einfallen würde zu sagen, was ihr beim Sex Spaß macht und was nicht“, erinnert sie sich. „Und plötzlich sollte ich einen Mann schlagen! Es war unglaublich aufregend, prickelnd …“ Selina bemerkte, dass ihr die ungewohnte Macht, die sie plötzlich über Männer hatte, gefiel. Dann führte eines zum anderen. Als sie sich vor drei Jahren ihren Eltern gegenüber outete, akzeptierte ihre Mutter es überraschend gelassen. Und ihr Vater bastelte ihr eine Holzleiste, an der sie jetzt ihre Peitschen aufhängen kann. „Darauf bin ich wirklich stolz“, erzählt Selina und strahlt ...
► BDSM:
Seit den 1990er-Jahren der allgemein anerkannte Überbegriff für alle Praktiken, mit Dominanz-, Fesselungs-, Schmerz- und Erniedrigungs-Attributen. Also das, was flapsig als „Sadomaso“ bezeichnet wird. Steht für „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“
► BONDAGE & DISCIPLINE (B&D, B/d):
Fesselung und Erziehung. Können, müssen aber nicht unbedingt Hand in Hand gehen.
► DOMINANCE & SUBMISSION (D&S, D/s):
Herrschaft und Unterwerfung. Spielt eher mit der psychischen Komponente von BDSM. Erlaubt ist, was gefällt – von Erniedrigungsszenarien bis zu öffentlichen Gehor- samsprüfungen. Aber natürlich wird auch körperlich gezüchtigt.
► SADOMASOCHISMUS (S&M, SM):
Betont eher die physische Seite. Von Peitschen und Nadeln bis zu einer Vielzahl, teils mittelalterlich anmutender Folterwerkzeuge. DOM (oder Top): Der dominante oder sadistische Partner in einem BDSM-Szenario.
► SUB (oder Bottom):
Der devote oder masochistische Partner im BDSM-Szenario. 24/7: Für „24 Stunden / 7 Tage“ – heißt es gibt kein offizielles Ende des Rollenspiels, die BDSM-Beziehung bleibt auch im öffentlichen/beruflichen Leben aufrecht.
► TOTAL POWER EXCHANGE (TPE):
Die totale Unterwerfung des „Sub“ unter den „Dom“ – die Selbstbestimmung wird aufgegeben, und zwar in jeder Lebenslage. SWITCHER: BDSM–Anhänger, die wahlweise als „Dom“ oder „Sub“ agieren. In Teilen der Szene nicht gerne gesehen.
► OVER THE KNEE (OTK):
Der Partner wird dabei ganz klassisch übers Knie gelegt, gerne auch vor anwesenden Gästen. Beliebte Praktik der Kategorie „old fashioned discipline“.
► EDGING (oder T&D für tease and denial):
Der Partner wird knapp vor den Höhepunkt gebracht, der Orgasmus wird ihm allerdings über einen längeren Zeitraum verweigert.
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