Erwin Wurm: Feine Klingen schneiden scharf

Erwin Wurm: Feine Klingen schneiden scharf
Verformen, schrumpfen, verfetten, erweitern. Alltags-Ikonen und den Begriff der Skulptur. Parodieren, ironisieren, filetieren. Das hat Bildhauer Erwin Wurm weltberühmt gemacht. Wer hat schon den Humor für ein Selbstporträt als Essiggurkerl?
Von Ro Raftl
Erwin Wurm: Feine Klingen schneiden scharf
Erwin Wurm, Elisa Wurm-Mougin, Klaus Albrecht Schröder 02.09.2014, Wien, Albertina, Ausstellungseröffnung
Hochglanz. Der schöne schlanke Mann und die schöne schlanke Frau. Bildhauer Erwin Wurm, 61, und seine zweite Frau, die französische Grafikdesignerin Elise Mougin, 38. Unübersehbar. Unaufdringlich. Umso einprägsamer. Auf Vernissagen, Empfängen, Premieren, Festspielen. Dazu stellt man sich trendy Bildtexte vor: clean Chic. Cool. Smart. Bisweilen: glamourös. Auf Deutsch wär dem Paar einfach Geschmack zu bescheinigen. Nach dem Prinzip "Weniger ist mehr". Hm. Genau das kostet bissl was. Aber. Brotlose Kunst war für den Mann, dessen Name in der Schule für allerhand Sekkaturen sorgte, nie ein Thema: "Ein gutes Leben ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben." Ein Satz, aus dem zwei Forderungen an ihn selber wachsen wie die Spargelstangen aus der Nase des Bankmanagers, einer seiner berühmten Skulpturen: A.) Der Anspruch des Künstlers auf kommerziellen Erfolg. B.) Reflektierte Ernährung, fast bis zur Askese. Du bist, was du isst. Salopp im "Mochi", einem Lieblingslokal mit traditioneller japanischer Küche am Anfang der Praterstraße ums Eck von seinem Wiener Wohnatelier, formuliert: "Die einen hauen sich Junkfood rein, die anderen nicht." Erwin Wurm sicher nicht. Achtsamkeit ist die Mutter der Umweltkiste. Er ließ den Nitratgehalt des Grundwassers rund um sein Weinviertler Schloss Limberg messen, "weil die Bauern so viel Düngermittel spritzen. Puh, das 25-Fache des gesunden Nitratgehalts". Seither trinkt er im Weinviertel Wasser aus der Flasche. Nur in Wien vom Wasserleitungshahn.

Sorgfalt belohnt. Mit drahtiger Figur, glatter Haut und hoher Stirn, bloß braungebrannter als Marmorskulpturen. Auf Kunstevents sieht man den Bildhauer mit den sanften Augen, die mehr sehen, als den beschauten Menschen und ihren Haltungen lieb sein kann, zusehends lächelnd. "Die Leute lachen", hat er auf einer ausgedehnten Reise von Laos über Kambodscha bis Thailand gelernt: "Ich liebe das easy going der buddhistischen Kulturen." Danach in der Albertina übermalte Fotos nackter Künstlerfreunde in Büßerposen gezeigt. Ähnlich Darstellungen aus der Gotik und der Renaissance, "als sich Menschen auf das Innen konzentrierten, hingegeben an die Religion. Leiden als Teil des Lebens akzeptierten." Letzter Nachhall einer vom Schuld- und Sühne-Kanon geprägten katholischen Erziehung eines Kirchenflüchtlings. Der leicht amüsiert erklärte, schlechtes Gewissen stelle sich nach gelegentlichem Verzehr von Schweinsbraten ein. Sein aktuelles Sühnebild, "da ja alles Älterwerden von Verfall behaftet ist", hatte er auf einer thailändischen Insel gezeichnet. Aus den Fotografien der Freunde mit dem Pinsel skulptural neue Körper mit Verletzungen, Deformationen, Geschlechtsumwandlungen geschaffen: "Überschreiben hat etwas Brutales."

Umso milder folglich sein Lächeln, blitzend erhitzt nur beim schnellen Abschuss (selbst-)ironischer Bonmots. Elegant, ohne Nachdruck, mit feiner Klinge. Er sei aufgewachsen mit großer und heroischer Kunst, sagt Wurm. "Ich glaube, dass Gigantomanie in der Kunst den Menschen klein macht. Mit Humor aber kann man die Welt aus einer anderen Perspektive anschauen". Komplimente wendet er gleich: "Wenn man lange in das Gesicht einer jungen Frau geschaut hat, dann im Spiegel am Klo sich selber sieht, denkt man: unzumutbar!" Lacht. Diesmal aus dem Bauch. "Erinnert mich an meinen Großvater, als er achtzig war. Hab ihn irgendwann gefragt, ob alles funktioniert. ,Danke. Ja, bestens. Nur die anderen wollen nimmer’." Bei der Arbeit lache er nie, sagt er. Könnte auch keine Musik hören. "Da muss es ganz still sein." Der Bildhauer ist kein Chaoskreativer, kein Langschläfer, Trankler und schon gar nicht fettsüchtig. Ein Künstler, der gern aufräumt. "Obwohl dann manche wieder finden: so steril. Sorry, aber ich halte Unordnung nicht aus." Wurm penibel, wie er’s im zusammengequetschten biederbürgerlich spießigen "Narrow House" seiner Kindheit liebevoll ironisiert. Alltagsdinge, Alltagsthemen werden bei ihm zum Material. "Die Betrachtung unterschiedlicher Realitäten in derselben Stadt, im selben Land", sein Spielfeld. Die Veränderungen. Die Erfindung der "One Minute Sculptures" haben den Wahnwitzkünstler (© Zeit) in den späten Neunzigerjahren als internationalen Star etabliert: Er verwandelte in 60 Sekunden beliebige Menschen zu Skulpturen, die mit verschiedenen Utensilien fotografisch dokumentiert, wieder in ihren Alltag entlassen wurden. Der Mann mit dem Spargel in der Nase. Die Frau mit den Orangen im Dekolleté. Wurm selbst mit Bananen unter den Achseln, zwischen den Zähnen und im Schritt. So scharf für die Funkrockband Red Hot Chili Peppers, dass sie den One Minute Sculptures ihr Video "Can’t Stop" gewidmet haben.

Erwin Wurm: Feine Klingen schneiden scharf
An den Skulpturen "The artist who swallowed the world" (r) und "The artist who swallowed the world when it was still a disc" geht am Donnerstag (26.04.2007) in den Deichtorhallen in der Erwin Wurm Retrospektive in Hamburg ein Arbeiter vorbei. Vom 27.04. bis 02.09.2007 werden unter dem Titel " Das lächerliche Leben eines ernsten Mannes und das ernste Leben eines lächerlichen Mannes" zahlreiche Werke des österreichischen Künstlers gezeigt. Foto: Ulrich Perrey dpa/lno +++(c) dpa - Bildfunk+++
Fast unerwartete Höhenflüge nach einer traumatischen Zeit. Nach dem unendlichen Entsetzen, als beide Eltern innerhalb von zwei Jahren an Krebs gestorben waren. Hinzu seine Scheidung kam, nach der seine Frau mit den Söhnen ins Ausland zog. Er ins Nichts fiel, aus dem drei Therapeuten nicht heraushelfen konnten, einzig Galeristin Ursula Krinzinger an ihn glaubte, und zumindest sein Überleben sicherte.

Gefühlsausbrüche zeigt Wurm nicht. Also. Keine Rührseligkeiten. Den Sohn eines Kriminalinspektors in Bruck an der Mur, den Schulfreund des alkaffinen Grazer Dichters Werner Schwab, den Studenten der Wiener Angewandten, der "alles über Künstler und Philosophen aufsog wie ein Schwamm", lieber beiläufig sein Mantra "Bildhauerei ist Zu- und Abnehmen" erklären lassen. Deshalb hat er den Maßstab von hochglänzenden Statussymbolen verformt. Einen Porsche zum grotesken rotbäckigen "Fat Car" aufgeblasen, Hochhäuser und das Guggenheim Museum schmelzen lassen. Ein spannendes Spiel mit Ikonen, Hype und Branding angezettelt, mit surreal verformten Gebilden, merkwürdigen Experimenten an menschlichen Körpern: Modelle im Normalzustand fotografiert, und nachdem sie sämtliche ihrer Kleidungsstücke übereinander angezogen hatten, in raumgreifender Überfettung. Den Künstler als mächtige Figur geformt, die sich im kugelrundem Bauch die ganze Welt einverleiben möchte – so fraglich es bleibt, ob er sie gänzlich verdauen kann. Leichthändig übersetzte Philosophie, das Grausen an der Überzivilisation ironisch verkleidet. So verblüffend für das international staunende Kunstpublikum, so erfolgreich, dass sich Wurms Arbeiten in sämtlichen wichtigen Sammlungen und Museen weltweit finden. Das Luxuslabel Hermès bat ihn um eine künstlerische Interpretation der Monde Hermès; 2007 wurde er in Deutschland zum Künstler des Jahres gewählt; 2008 entwarf er neun Seiten Feuilleton der deutschen Wochenzeitung Die Zeit als "soziale Skulptur" mit 44 provokanten Vorschlägen – Texten erstmals, die politische Absurditäten satirisch auf die Spitze trieben. Im selben Jahr inspirierte ihn der Zauber des Essiggurkerls mit dem knackigen Biss, so vielen Ösis unverzichtbar im fetten Wurstsemmerl und auf dem Fiakergulasch, zu einer hintersinnigen Installation: 30 Gewürzgurken goss er in Acryl, naturalistisch bemalt, jede anders, rundlich verbogen, sanft gekrümmt. Und. Sechs stramme Salatgurken, dunkler und warziger. Assoziationen frei. Fünf mannshohe sind im Salzburger Festspielbezirk präsent – unter Männern angeblich ein Hit als Fotomotiv. Die Replik auf das "Selbstporträt als Essigurkerl" kam als humorvolles Echo der Redner fünf Jahre später, als Wurm in Salzburg den Großen Österreichischen Staatspreis bekam. Es hat ihn gefreut, dass er vom Kunstsenat, somit von Kollegen kam, nicht gesteuert von der Politik. Eine Erregung, ganz im Sinne Thomas Bernhards, folgte kurz danach: Als der Materialartist in einem wütendschrägen Text eine "Wortskulptur" zur 30-Jahr-Feier der Galerie Ropac in der Salzburg Halle lieferte. Wo er mithilfe eines Messers, eines Schneidbretts, der Festspielkünstler Ofczarek & Masucci, Highheels und anderem und in einer Inszenierung des Noch-Burgdirektors Matthias Hartmann dem russischen Oligarchen und Kunstsammler Roman Abramovich verbal ins "Arschgesicht" treten ließ und sich über dessen Schwanz mokierte, "der wie ein Wienerle schlaff über Venedig liegt". Die Mechanismen des globalen Kunstmarkts sind’s, die Bedeutungs-Rankings sind es, die Wurm ernsthaft interessieren und irritieren, wiewohl er weltweit Platz 26 einnimmt, und nicht wirklich schlecht daran verdient. Die Putten rund ums anmutige Wasserbecken vor dem denkmalgeschützten Schloss Limberg schimmern jedenfalls steingrau unterm zarten grünen Moosansatz. Aber ja, das Wallstreet Journal und das Luxury Magazine der New York Times haben ihre Ladys nach Lower Austria gesandt, um Wurms Verwandlung des spätgotischen denkmalgeschützten Objekts in eine "Eclectic Residence" zu dokumentieren. Da sieht man weite Räume, großzügig weiße Leere, wenige sehr gute Möbel, schöne Stoffe, Wurms Skulptur "The Artist Who Swallowed The World" in der Eingangshalle. Wir freuen uns über das Wiedersehen mit dem musealen weißschwabbeligen "Fat House" unter seinem roten Ziegeldachhauberl. Bewundern jüngste Schöpfungen in der Atelierhalle. Pst! Einstweilen noch unter Verschluss. Körperarbeit? "Doch, ich arbeit immer wieder handwerklich." Holzhacken? "Nein, ein Fitnessraum, der Trainer kommt zu mir."

Alles gut. Laurin, 25, und Michael, 22, seine Söhne aus der ersten Ehe bewirtschaften das Bauerngut, in dem der Vater vorher zweitgewohnt und zu wenig Platz für seinen Skulpturen hatte. In Limberg konnte er noch eine Halle zubauen. "Ich wollte immer aufs Land. Herrlich. Ruhig. Niemand stört mich." Denn. Augenstern Estée, im Februar fünf, geht in einen Wiener Kindergarten. Und Mama Elise, an der Pariser École nationale supérieure des beaux-arts graduiert, hat eben fürs MUMOK das dritte Museumsbuch für Kinder zu Texten von Claudia Ehgartner illustriert. "Sie wird das Plakat für den Opernball und einen Raum dort gestalten", meldet der Ehemann lässig stolz ganz nebenbei.

Wurm bleibt leise. Selbst wenn er Kämpfe mit der Gesellschaft ausficht. Sich unglaublich aufregt über schwammige Politiker, Arbeitslosenzahlen, Armutsfallen, Attacken auf die Meinungsfreiheit, Umweltsünden. Bittere Bezüge und Verweise finden sich reichlich in seinem schillernd vielschichtigen Werk. Er sucht die Welt mit Humor zu sehen und zu verstehen. Auch über sich selber zu lachen: "Dann kann man das Leben leichter nehmen." Trost und Rat bei den Philosophen zu suchen, bei Michel de Montaigne oft, dem französischen Philosophen, Dichter, Aristokraten und Bürgermeister von Bordeaux: "Von ihm gibt’s so wichtige Sätze über die Lebenshaltung. Und das Essen. "Auf dem Land skurrilerweise gar nicht so einfach. In Wien kauft meine Frau im Bioladen, den Fisch am Naschmarkt, kocht Mediterranes, Gemüse und nur ganz selten Fleisch." Der bewusste Esser pendelt also. Zwei Tage hier, zwei Tage dort. Darüber hinaus ist er ständig auf Ausstellungsreisen, die nächsten zwei Jahre ausgebucht. Zuletzt hat er Vilnius, Lettland beehrt: "Sehr lustig, zwei Ausstellungen mit Riesentamtam, Bürgermeister, Kunstakademie und Performance eines Whistle-Chors, sinnig mit Pfeiferln in der Nase."In Eggenburg, im Gasthaus Seher am Hauptplatz sitzt der Künstler alleine still im Eck. Froh, dass es gelungen ist, das Lokal zu revitalisieren. Als Teilnehmer einer Initiative von Menschen aus der Umgebung, die am Landwirtshausessen litten wie er, ja, wo sie "den Spargel UND die Kartoffeln "nach dem Kochen noch in Butter anbraten". Endlich hat sich ein neuer Pächter gefunden, der biologisch, gesund, saisonal und regional kocht. Klar, Wienerschnitzel auch, muss er in Eggenburg haben, aber selbst das ist vom Bioschwein."

Nein, nicht für ihn. "Das Einzige", lächelt das Kind im Mann schuldbewusst verschwörerisch: Frankfurter. Am Würstelstand. Alle zwei Monate muss es sein. "Ein archaisches Gelüst!" Klarerweise noch mehr. Augenzwinkernd hat Wurm die Wurst – "sowohl eine weitweite Ikone für Konsum in Europa als auch eine gültige Form der Abstraktion" – erst im Duisburger Lehmbruck-Museum gezeigt, danach in Thaddaeus Ropacs Galerie in Salzburg: Wurst-und Würstchen-Skulpturen, mit Armen & Beinen, in menschliche Posen gegossen, auch erotisch verhakt. Nicht als Selbstporträts wie die Essiggurkerln: "Menschen als Würstel darzustellen, wär mir zu billig." Vielmehr könnten sie als Anspielung auf klassische Skulpturen wie Donatellos ,David’ oder als Reminiszenz an berühmte Bildhauer der Moderne verstanden werden. Samt Rundumschlag. Gegen neumännlichen Schönheitskult mit dem Hochglanz-Wurstobjekt "Gigant klein, ich ideal", gegen die Gigantomanie des Kunstmarkts mit der meterhohen Knackwurst-Bronze "What", die ihre Arme gegen den Wurstdarm stemmt. Sie sollen reißend Absatz finden.

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