Wir verkaufen uns nicht als Paarl

Wir verkaufen uns nicht als Paarl
Gar nicht leicht, zwei Schauspieler unter einen Hut zu bringen: Nach anfänglichem Zögern erklärten sich Erwin Steinhauer, 63, und Matthias Franz Stein, 35, aber doch bereit, sich gemeinsam über die Tücken des Künstlerdaseins, den Drang nach Abgrenzung und das Scheitern in Familienangelegenheiten zu unterhalten. Ein Vater-Sohn-Gespräch, das mit dem schönsten Bekenntnis endet, das ein Mensch dem anderen machen kann.

Herr Steinhauer, Sie tragen Hut. Modisches Statement oder Sonnenschutz?
Erwin Steinhauer: Meine Mutter hat mich im Alter von drei Jahren, wenn wir im Kritzendorfer Strandbad waren, mit einem weißen Taschentuch, das an vier Ecken verknotet war, bekleidet. So konnte sie mich in der Menge der Kinder wiederfinden. Seitdem habe ich einen Hut-Tick und sammle Hüte.
Was war Ihre letzte Errungenschaft?
Steinhauer: Ein Stetson aus Stroh, den ich mir gekauft habe, als ich zuletzt in Salzburg gedreht habe. Ich liebe das.
Zuletzt modisch aufgefallen sind Sie, als Sie bei der ROMY-Gala im April in einem orangen Anzug erschienen sind, den Sie sonst auf der Bühne tragen. Was war der Hintergrund?
Steinhauer: Ich finde schwarze Smokings einfach endlos fad. Aber, dass ich der Einzige bin, der keinen Smoking trägt, wusste ich nicht.
Stein: Doch, das wusstest du.
Steinhauer: Nein, ich schwör’s dir.

Lassen Sie uns lieber klären, warum Matthias nicht Steinhauer heißt.
Steinhauer: Das haben wir uns zusammen ausgedacht.
Stein: Wenn man denselben Beruf wie der Vater hat, ist es schwierig, wo hinzukommen und ständig der Sohn von zu sein. Davor wollte ich mich eigentlich schützen. Aber es war ein bissl für die Katz’ oder den Hund, wie man so schön sagt.
Steinhauer: Die Fisch’.
Stein: Es war für die Fisch’, weil Österreich oder Wien, wo ich arbeite, zu klein ist, um zu verheimlichen, wer man ist. Als ich in die Schauspielschule Krauss gekommen bin, haben schon alle gewusst, dass der Erwin mein Papa ist. Einer seiner Kollegen hat dort unterrichtet. Damit war das gegessen.

Steinhauer: Dafür hast du jetzt einen kürzeren und schöneren Namen. Mein Papa hat das auch gemacht und seine Bilder mit Wolf Hauer Stein unterschrieben. Aber ich finde die Vater-Sohn-Diskussion in unserem Beruf ohnehin merkwürdig. Wenn ein Schuster älter wird und sein Geschäft an den Sohn übergibt, wundert sich keiner.
Stein: Das kann ich dir erklären. Weil der Schuster, nachdem er einen Schuh gefertigt hat, nicht in der Zeitung steht. Es geht um die Öffentlichkeit.
Steinhauer: Es gibt doch auch berühmte Mode-Designer. Wenn der Bub da reinwächst, interessiert das keinen. Nur bei uns glauben viele ...
Stein: Das hat doch nie dieselbe Öffentlichkeitswirkung wie die Schauspielerei, die per se öffentlich stattfindet.
Steinhauer: Täusch’ dich nicht. „Seitenblicke“ hat mitunter mehr Öffentlichkeitswirkung, weil mehr Leute „Seitenblicke“ schauen als ins Theater gehen.
Wenn Ihr Sohn mit einem Stück am Theater Premiere hat, geben Sie dem Fernsehen kein Interview. Ist diese Zurückhaltung denn wirklich notwendig?
Steinhauer: Es war und ist seine Premiere und er soll im Mittelpunkt stehen. Was kann der arme Kerl dafür, wenn man mich ständig fragt, wie es mir gefällt? Ich bin da deshalb so sensibel, weil mein geliebter Vater, sein Großvater, so toll gemalt hat. Und wenn er eine Ausstellung machen wollte, hat es jedes Mal geheißen: „Gut, Herr Stein. Wenn Ihr Sohn eröffnet, können wir die Vernissage gerne machen.“ Das muss für meinen Vater grässlich gewesen sein. Dem entgehe ich, indem ich mich zurückziehe oder die Pappn halte – was meistens eh g’scheiter ist.

Ihr Vater war Maler und Feuerwehrmann. Hatten Sie engen Kontakt?
Steinhauer: Mein Vater hatte bei der MA 68, der Wiener Berufsfeuerwehr, 24-Stunden-Dienste. In der Früh ist er in die Arbeit und wäre theoretisch am nächsten Tag in der Früh heimgekommen, wenn er nicht am Tiefen Graben im letzten Stock sein Atelier gehabt hätte. So kam er erst am Nachmittag heim und musste sich ausruhen.
Stein: Das verstehe ich sehr gut.
Steinhauer: Ich verstehe das auch gut. Aber ich kann mich kaum an gemeinsame Zeit erinnern – erst später. Aber mein Vater war ein guter Großvater und hat mit der Iris und dem Matthias viele Skiurlaube gemacht. Deswegen reden die beiden heute noch von ihm.

Wie war das bei Ihnen, Herr Stein? Papa- oder Mamakind?
Stein: Ich glaube, der Papa hat viel mit mir gemacht, bis ich Fünf oder Sechs war. Dann haben sich meine Eltern getrennt und es war 50:50. Und mit 13 bin ich dann ohnehin umgezogen.
Steinhauer: Das war die Übersiedlung zu mir. Beide Kinder sind zu mir. Die Iris 1992, du ein Jahr später.
Das ist selten. Was war der Grund?
Stein: Meine Mutter hat nochmals geheiratet und ein Kind bekommen. Da ist mir alles zu viel geworden.
Steinhauer: Das wollen Kinder nicht. Das kann man einfach so sagen.
Stein: Ja, da gehen wir jetzt aber nicht ins Detail, bitte.
Hat das Zusammenleben mit dem Vater bewirkt, dass Sie auch Schauspieler werden wollten, Herr Stein?
Stein: Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nicht daran, eine Entscheidung für den Beruf jemals klar getroffen zu haben.
Steinhauer: Weißt, warum ich das bestätigen kann, Matthias? Mein Vater ist 1997 gestorben. Der Schock bei meinen Kindern war so groß, dass der Matthias 1997 gesagt hat, er will wie mein Vater auf die Akademie, um Maler zu werden. Matthias ist ein sehr begabter Zeichner. Die Phase hat lange gedauert. Die nächste Phase war, dass er mit einem Freund Videos gedreht hat und das beruflich machen wollte. Und eines Tages kam er dann zu mir und meinte: „Ich will eigentlich dasselbe machen wie du.“ Es war wirklich die allerletzte Idee, die er hatte.

Stein: Es gab eine dramatische Stunde mit dem Schauspieler Ludwig Kaschke. Ich habe mich mit ihm auf die Aufnahme in die Schauspielschule vorbereitet. Die Arbeit war sehr gut. Stell dir vor, das wäre ein Trottel gewesen!
Steinhauer: Ein toller Kollege ist das.
Stein: Vielleicht habe ich mich deshalb entschlossen, es zu machen.
Wie war Ihre Reaktion, Herr Steinhauer?
Steinhauer: Ich wollte es nicht so machen wie mein Vater. Als ich mit 17 maturiert habe, hätte ich seine Unterschrift gebraucht, um ans Reinhard-Seminar zu gehen. Das hat er mir verweigert und ich musste studieren. Mein Lehramtsstudium für Geschichte und Germanistik habe ich aber ein halbes Jahr vor Abschluss abgebrochen, weil es mit der Schauspielerei gut lief. Ich habe dem Matthias damals gesagt, dass ich Glück gehabt und gleich gut verdient habe, was für die Masse allerdings nicht galt.
Stein: Was kein Argument ist, wenn man etwas wirklich will. Der Beruf, vor allem Theater, wäre zu anstrengend, um halbherzig an die Sache heranzugehen.
Steinhauer: Schlecht bezahlt und familienfeindlich. Der Unterschied zwischen seiner und meiner Generation ist, dass es, als ich angefangen habe, zwei Fernsehsender gab. Wenn man wie ich in den 1980ern eine Serie gemacht hat wie „Der Sonne entgegen“, haben dich auf einen Schlag Millionen gekannt. Im Schnitt waren es drei Millionen Zuseher pro Sendung. Diese Quote gibt es heute nicht mehr.

Die Popularität konnten Sie gut nutzen.
Steinhauer: Davon haben wir gelebt. Wenn ich irgendwo mit einer Partie aufgetreten bin, stand am Plakat in Klammer (Wickerl, der Blade aus „Der Sonne entgegen“) drauf. Ich hatte einen Stempel, aber die Leute sind gekommen.
Waren Ihnen als Intellektueller die Bezeichnung Dicker nicht ...
Steinhauer: Der Blade, bitte. Der Dicke ist nie wo gestanden.
Stein: Das würde heute so nicht mehr in der Zeitung stehen, aber ich weiß nicht, ob ich froh darüber bin. Dass man nicht mehr „Blade“ sagen darf, schlägt in dieselbe Kerbe wie das Rauchverbot.
Steinhauer: Political correctness.
Stein: Dabei ist das doch nur satirisch gemeint. Aber das ist unsere Zeit. Unlängst war ich im „Hard Rock Café“ und stehe plötzlich vor diesem Rauchverbotszeichen. Da dachte ich schon: Oida, wo simma? „Hard Rock Café“ und Rauchverbot. Das ist echt daneben.
Steinhauer: Nikotinfreie Zigaretten, alkoholfreier Wein ...
Gesunde Zeiten brechen an. Tauschen Sie sich oft über aktuelle Themen aus?
Stein: Wir sehen uns ja nicht so oft. Er hat viel zu tun, ich auch.
Steinhauer: Bei Familienessen. Vor allem meine Tochter ist auch ein recht diskussionsfreudiger Mensch.
Das dürfte in der Familie liegen. Sie haben einmal gesagt, dass Sie nie beliebt sein wollten. Was steckt dahinter?
Steinhauer: Ich bin keiner, der zu allem Ja und Amen sagt. Ich hinterfrage, schlage vor und bin auch in der Annahme von Rollen schon vorsichtig geworden. Wenn ich mir das Fernsehprogramm durchschaue, denke ich mir bei vielen Produkten ohnehin, dass ich froh bin, nicht dabei zu sein.
Stein: Ich kenne ihn bitte nicht, ich kenne ihn nicht ...
Sie können sich diese Einstellung leisten. Jüngere Schauspieler wie Ihr Sohn wohl eher nicht.
Steinhauer: Bei drei Kindern und drei Enkeln weiß ich auch, wo die Gelder hingehen. Ich muss mir also überlegen, was ich ablehne und was ich zusage. Man darf nicht vergessen, dass ich seit 2009 mit drei Musikgruppen unterwegs bin. Das ist ein Teil meiner Unabhängigkeit, weil wir uns aussuchen können, wo wir spielen.

Wären Sie nicht gerne ab und zu diplomatischer?
Steinhauer: Im Gegenteil. Ich bin gerne kompromisslos. Volksschauspieler? Schrecklich. Allein schon der Name, wobei ich den Namen Volkstheater auch entsetzlich finde.
Dann vielleicht Publikumsliebling.
Steinhauer: Liebling ist schrecklich. Ich bin nur im kleinen Kreis gerne Liebling.
Stein: Von mir habe ich auch schon gehört, dass ich schwierig sein soll. Ich eifere dir also dahingehend nach.
Bereuen Sie, dass Sie Ihren Kindern kein durchgängig heiles Familienleben bieten konnten, Herr Steinhauer?
Steinhauer: Bereuen ist ein katholischer Ausdruck, den ich nicht mag. Aber es wäre mir anders lieber gewesen. Ich bin nach wie vor der altmodischen Meinung, dass Kinder Vater und Mutter brauchen. Das Beste ist, wenn sich alle vertragen und in einem großen Haushalt leben – wie die Großfamilie, in der ich aufgewachsen bin.
Stein: Das hat leider nichts mehr mit unserer Zeit zu tun. Ich würde mir das auch wünschen, es funktioniert nur nicht. Heute müssen beide Elternteile arbeiten und viel Zeit aufwenden, um genug zu verdienen. Dann kommt man nachhause und der Partner ist dir zu viel, weil du fix und fertig bist. Dann noch die Kinder. Ich kenne wenige in meinem Alter, die zwei Kinder haben. Bei meinem Cousin funktioniert das wunderbar. Aber sonst?
Steinhauer: Ich kenne einen Kollegen, der es gemacht hat wie ich. Der Helmut Lohner war alleinerziehender Vater. Sonst kenne ich keinen, aber es wird mehrere geben.
Stein: Ich glaube, man kann Familie schon auch leben, wenn Vater und Mutter getrennt sind.
Steinhauer: Ich habe einen Satz im Kopf, den ich nie vergessen werde. Die Wohnung, die ich nach der Familiengeschichte gemietet habe, war in der Billrothstraße. Damals sind wir zu dritt am Küchentisch gesessen und ich habe versucht, den Kindern zu erklären, dass wir drei jetzt eine Familie sind. Und ich glaube, es war die Iris, die gesagt hat: „Nein Papi, da gehört die Mami auch dazu.“ Man versucht dann beides zu sein. Aber es geht sich nicht aus.
Würden Sie sagen, dass die Zeit zu dritt Sie zusammengeschweißt hat oder eher schwierig war, Matthias?
Stein: Das hat über die Jahre eine Selbstverständlichkeit bekommen. Heute sehe ich, dass der Erwin nicht nur mein Vater, sondern auch ein Mensch ist. Das hat vieles entspannt. Als ich 25 war, hatten wir eine Zeit, in der wir uns stark aneinander gerieben haben. Es wurde angesprochen, was vorher verschwiegen wurde. Dadurch hat sich vieles gelöst.
Steinhauer: Für mich ist es einfach, mein Verhältnis zu Matthias zu beschreiben. Es ist von grenzenloser Liebe gekennzeichnet. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Geboren 1951 in Wien, startete Steinhauer in den 1970er-Jahren auf der Kabarett-Bühne durch. Danach folgten Engagements ans Theater, darunter die Josefstadt und das Burgtheater. In den 1980ern folgte dann der große Durchbruch mit der TV-Serie „Der Sonne entgegen“. Bis heute ist Steinhauer als Schauspieler gefragt und hat außerdem drei Bands. Der Vater einer Tochter und zweier Söhne spielt auch ab und zu mit seinem schauspielenden Sohn Matthias. „Unser erstes gemeinsames Stück war „Der Bockerer“ in St. Pölten. Nach dem ersten Interview hat der Matthias schon gesagt: „Gell Papa, jetzt verkauf ma uns aber nicht als Paarl die ganze Zeit.“

Der Schauspieler, der nicht Steinhauer heißen wollte, um unabhängig zu sein, wurde 1980 in Wien geboren. Nach anfänglichen Überlegungen Maler zu werden, absolvierte er in seiner Heimatstadt eine Schauspiel-Ausbildung. Seinen bisher größten beruflichen Erfolg hatte er 2007, als er für eine Rolle im Film „Der geköpfte Hahn“ mit dem Undine-Award als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde. Heute ist Stein fixes Ensemblemitglied im „Theater in der Josefstadt“ und probt derzeit für zwei neue Stücke. Stein ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

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