Sex

Erotische Spielwiese

Erotische Spielwiese
Ein portugiesisches Sex-Labor stellt fest: Frauen wollen Abenteuer, aber nicht daran „Schuld“ sein. Während die größten Machos der Mut verlässt. Sex ist auch nicht mehr das, was er einmal war.

Das nenn ich mal einen Studentenjob: Eine portugiesische Universität bezahlt junge Männer und Frauen dafür, sich Pornofilme anzuschauen. Klingt doch nicht schlecht. Außer es stört einen, dass weißbekittelte Wissenschaftler Sensoren im intimsten Bereich, den man zur Verfügung hat, anbringen und mittels Eye-Tracking festhalten, worauf genau man nun sein Augenmerk lenkt – und was das dann dort, wo die Sensoren kleben, bewirkt.

Worum es geht? Um guten Sex natürlich – und darum, dass es uns allen besser geht, wenn wir diesbezüglich keine Probleme haben. Dafür untersucht Psychologe Pedro Nobre von der Universität Porto in einer großangelegten Studie die menschlichen Reaktionen auf erotische Reize, erhofft sich Aufschlüsse über die Ursachen sexueller Dysfunktionen – und die unterschiedlichen Wirkungen auf die Geschlechter. Die Testreihe mit Frauen zwischen 18 und 40 ist gerade angelaufen – es werden allerdings noch immer Probandinnen gesucht! – und Nobres erste Eindrücke werfen ein ernüchterndes Licht auf die Entwicklung unseres Umgangs mit der Erotik: „Die Erwartung des ersten Schrittes durch den Partner und das Ziel, stets Orgasmen zu haben“, führe bei Frauen zu ernsthaften Problemen, erklärt Nobre, der vor sieben Jahren gemeinsam mit den renommierten Sexualwissenschaftlern Erick Janssen und Julia Heiman vom amerikanischen Kinsey Institut das erste Sexologische Forschungslabor Portugals, kurz „Sex-Lab“ gegründet hat. Traurig, wenn man bedenkt, dass zum traditionellen Muster der weiblichen Passivität nun auch der Erfolgsdruck gekommen ist, der seit Jahrhunderten oft auch die aufrechtesten Männer müde macht.

Aber Studien zum Sexualverhalten paarungsfähiger Vertreter der Gattung Homo Sapiens gehören heute – was bei Gott nicht immer so war (siehe „Eine kleine Geschichte der Erregung“) – praktisch zum guten Ton. Und so eruierte die deutsche Psychologin Wiebke Neberich in einer nicht ganz so groß angelegten Studie wie die ihres portugiesischen Kollegen, dass knapp 50 Prozent der Frauen sich nicht nur Sex beim ersten Date vorstellen könnten, für die meisten wäre auch ein sadomasochistisches Angebot kein allzu großes Hindernis. Nur 15 Prozent der Befragten gaben an, dass sie eine Verabredung dann sofort abbrechen würden. Erstaunlich, was ein mediokrer Roman so alles bewirken kann ...

Bemerkenswert auch, dass es vor allem Frauen sind, die sich auf ein derartiges Angebot einlassen würden – mehr als 50 Prozent der Männer wünschten sich ein möglichst zärtliches „erstes Mal“. Vielleicht entspricht das ja Professor Nobres Einschätzung der „passiven Frau“ – vielleicht wollten die Jungs aber auch nur einem Bild entsprechen, von dem sie glauben, dass die Frauen es von ihnen haben. Ist ja heute alles nicht mehr so unkompliziert – auch für uns Männer. Apropos: Was sagt die portugiesische Studie eigentlich über die hell strahlenden Kronen der Schöpfung aus?

Alles bloß Tand und Talmi, könnte man sagen – oder, um bei Wissenschaftler Pedro Nobre zu bleiben: Der moderne Mann leidet unter immer stärkeren Versagensängsten. Der Druck, als „echter Mann“ praktisch nie nein zu Sex zu sagen und vor allem, wenn’s drauf ankommt, auch zu dem zu stehen, was vorher versprochen wurde, lässt die stärksten Machos unsicher werden. Auch hier treffen also alte Muster auf neue Einsichten, der Coolidge-Effekt auf lange Zeit unbekannte männliche Selbstreflexion. Was der Coolidge-Effekt ist? Er bezeichnet eine – angeblich – ur-männliche Unart, die manche als Kavaliersdelikt abtun, während andere sie, zumindest wenn’s um Menschen geht, als nie wieder gutzumachende Schweinerei betrachten. Der Coolidge-Effekt bezeichnet den wachsenden Widerwillen vieler Warmblüter-Männchen, ohne Abwechslung immer wieder mit demselben Weibchen zu kopulieren. Während wechselnde Weibchen den männlichen Sex-Trieb konstant hoch halten. Beo­bachtet wurde die Sache wohl schon seit Jahrhunderten, an Rattenmännchen wissenschaftlich nachgewiesen in den 1950er-Jahren, kaum ein Wissenschaftler sieht Grund zur Annahme, dass er auf die menschliche Spezies NICHT zutreffen sollte.

So ist das also – die Männer können nichts dafür. Und seit man sie dazu bringen will, sensibel zu sein und darüber nachzudenken, was sie tun, funktioniert plötzlich gar nichts mehr so, wie es eigentlich sollte. Wir armen, verunsicherten Machos ... Wissen Sie übrigens, woher der Coolidge-Effekt seinen Namen hat? Er ist nach dem US-Präsidenten Calvin Coolidge benannt, einem Republikaner, der das Amt von 1923 bis 1929 inne hatte. Eine – nach seiner Präsidentschaft aufgekommene – Anekdote beschreibt, wie er mit seiner Gattin Grace eine Musterfarm besucht. Die beiden wurden von den Leitern des Hofs getrennt herumgeführt. Als sie darüber staunte, dass es im Hühnerstall nur einen einzelnen Hahn gab, erklärte man ihr, der Hahn vollziehe den Paarungsakt bis zu zwölf Mal am Tag. Darauf soll Mrs. Coolidge gesagt haben: „Sagen Sie das meinem Mann.“

Als dieser später davon erfuhr, fragte er ebenfalls nach: „Jedes Mal dieselbe Henne?“ – „Nein, jedes Mal eine andere.“ Darauf Coolidge: „Sagen Sie DAS meiner Frau.“

Schon die alten griechischen Jungs haben’s getan. Also sich über Sex Gedanken gemacht. Von Platon und Aristoteles sind einige und auch ein wenig fragwürdige Gedanken zum Thema überliefert, der Römer Ovid widmete sich etwas später in seiner „ars amandi“ eher der praktischen Seite der Sache. Und wurde dafür ans hinterste Ende des Reichs verbannt. Was die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sex anbelangt, war es danach sehr lang sehr düster. Erst im 18. Jh. ging es wieder zur Sache, allerdings hauptsächlich in Form „schwarzer Pädagogik“, die sexuelle Lust und vor allem Selbstbefriedigung als mit allen Mitteln zu bekämpfendes Übel deklarierte. 1886 veröffentlichte der österreichische Psychiater Richard von Krafft-Ebing sein Standardwerk „Psychopathia sexualis“, das sexuelle Abweichungen für Generationen definierte. Zwei Jahre später verwendet Sigmund Freud erstmals den Ausdruck „Sexualwissenschaft“.

Die ersten großangelegten empirischen Studien veröffentlichte 1948 und 1953 der amerikanische Zoologie-Professor Alfred Charles Kinsey. Anonym durchgeführte Interviews über sexuelles Verhalten, deren als „Kinsey- Report“ veröffentlichten Ergebnisse damals die USA erschütterten. Heute gibt es kaum eine Lebenslage, die NICHT Objekt einer Studie ist ...

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