Er will ja nur spielen

Er will ja nur spielen
14.550 Quadratmeter Freiheit. Beim Angelibad ist Wiens größte Hundewiese. Alte-Donau-Strand inklusive. Die unterschiedlichsten Menschen treffen hier beinahe täglich aufeinander. Pensionistinnen und Studenten, Jung-Eltern, gestresste Mütter und Großstadt-Cowboys. Was sie verbindet: die Liebe zu ihren Hunden.

Zielstrebig steckt „Spirit“ seine Nase zwischen meine Beine. Ich erstarre mitten auf der großen Wiese des Angelibads, die sich mit einem Mal noch weiter auszudehnen scheint. „Spirit“ ist ein mächtiger Malamut. „Braver Bub“, sag ich. Es ist saukalt. Und schlagartig fühle ich mich sehr einsam. Meine Schöne, mit der ich seit zwölf Jahren das Leben, die Couch und manchmal, wenn ihr danach ist, auch das Bett teile, hab ich daheim gelassen. Mit schlechtem Gewissen, ja, weil ich den Tag in der angeblich schönsten Hundezone Wiens verbringe – aber doch. Stundenlang Minusgrade sind nichts fürs empfindliche Kreuz eines 13-jährigen spanischen Podenco-Mädchens.

Er will ja nur spielen
Damit hat der stattliche „Spirit“ keine Probleme. Im Gegenteil, ein Schlittenhund wird erst so richtig munter, wenn’s ordentlich friert. Und mit mir hat er grad eine Freud. Ohne Hund wird das Herrl in der Hundezone zum unwiderstehlichen Objekt der Neugierde. „Der muss einfach auch einen haben.“ – „Ich kann ihn doch riechen.“ – „Und Leckerli, irgendwo sind da ganz sicher Leckerli!“ Ja, ich gestehe, tief vergraben in einer Tasche meines Hundeausgehanoraks könnte sich durchaus noch ein zerkrümelter Pansenstick befinden. Ein scharfer Pfiff bringt „Spirit“ schließlich dazu, den Kopf von mir abzuwenden und dorthin zurückzutrotten, wo er hergekommen ist: zu einem verlassenen Häuschen am Ende der Hundezone. Überdachte Terrasse, Lattenzaun – eine klassische Sommergetränke- und Jausen-Station, die sich nach den langen, grauen Wintermonaten schon wieder nach Menschen in Badehosen und Flip-Flops, dem Klirren von Sinalco- und Frucade-flaschen, Spritzer- und Biergläsern sehnt. „Im Summa wirst verruckt do“, sagt Günther zu mir. Er ist ein Schrank von einem Mann, „Spirit“ ist sein Hund, die beiden sind wie füreinander gemacht. „Na jo“, sagt er und lacht, „oba des san a meine!“ Günther zeigt auf „Lara“ und „Lucki“, zwei winzige, wollige Mischlinge, „und alle sans wie a Teil von mir.“

Und was ist jetzt das Problem im Sommer? Der muss doch herrlich sein hier für Hund und Herrl, die riesige Wiese mit eigenem Alte-Donau-Strand ... „Eh“, sagt Günther, „oba im Summa schauts halt ganz anders aus da.“ Sein baum-stammdicker Arm beschreibt einen Halbkreis über das Gelände, auf dem eine ältere Dame Agility-Übungen mit einem schlanken, schwarzen Hund macht, während eine langhaarige Blondine ihren Pointer-Mix herzt. Claudia, Roman und Günthers andere Freunde nicken. Sie sind hier die Stammgäste, dick vermummt und ausgerüstet für mindestens zwei, drei Stunden winterliche Hundefreiheit. „Im Summa is da alles voll“, sagt Claudia, „überall Decken, Badetücher, Familien mit Kindern und Jausensackln – da ham die Hund ned amal mehr an Platz zum Rennen.“

„Passen S’ auf eanan Hund auf, sunst ...“, hat ein aufgebrachter Sonnenanbeter mit Malteser im Körbchen, über dessen Decke „Spirit“ beim Spielen gelaufen war, einmal gedroht. „Do hob i eam scho sag’n miassn: ,Heast Oida, du liegst auf ana Hundewiesn’!“, sagt Günther. Recht haben sie. Natürlich. Kleine Kinder, die durch eine voll besetzte Hundezone tapsen? Offene Picknickkörbe mit Hühnerschnitzelsemmeln – da wird auch der bravste Hund zum Gauner. Nur, wo soll eine Familie mit Kind UND Hund eigentlich hin? Denn, auch da sind sich hier alle einig, der Hund mag vielleicht des Menschen bester Freund sein – gern gesehen ist er deshalb noch lange nicht überall.

„Hingehn kannst eigentlich nirgendwo“, sagt Claudia und tätschelt ihre beiden Lieblinge, den Deutsch-Kurzhaar „Balou“ und den Böhmischen Rauhaar-Mix „Mogli“. Zwei große, schöne Kerle. „Oiso klar kann i s’ überall hin mitnehmen, sind ja brav – aber so, dass die Hund auch a Freud ham, mein ich.“ – „Beim Spazierngehn hostas eh an da Leine, sonst muaßt ja Angst ham, dass ihnen was passiert“, sagt Günther, „oba sogar dann regen si irgendwelche narrischn Radlfahrer auf, weil’s halt amoi abbremsn müssn, wenns vorbei woin.“

Eine Erfahrung, die ich leider teilen kann. Auch als passionierter Radlfahrer. Erst neulich auf der Donauinsel – und es waren ausnahmsweise nicht meine beiden Hunde, die als Zielscheibe der Empörung dienten. Mein vierjähriger Sohn fabrizierte einen grandiosen Bauchfleck mit seinem neuen, vom Christkind gebrachten Fahrrad. Ich kratz ihn vom Asphalt, tröste ihn, weil er bitterlich weint, das Fahrrad liegt vor uns. Zwei Hobbyrennradfahrer müssen ausweichen. „Oaschloch, muaß des sein, mittn am Weg?!“ Klar, ich hätt Karim liegen lassen müssen, damit die Jungs in ihren hässlichen Sportdressen bequem über ihn drüberfahren können – mein Fehler, sorry. Seitdem kennt und liebt mein Sohn den Ausdruck „Vollkoffer“.

Günther, Claudia und die anderen schütteln betreten den Kopf. „Leit gibt’s“, sagt Claudia, während sie mir dampfenden Kaffee aus einer mitgebrachten Thermoskanne einschenkt. Günther, der ein Tattoo-Studio im 21. betreibt, war „scho seit 15 Johr nimmer in da Stodt“. – „Geh, stimmt jo net“, sagt Claudia, „letztes Johr erst warst drüben. ,Überm Wasser' hot er damals gsogt – und wir ham alle glaubt, er war in Amerika.“ Claudia lacht. Die anderen auch. Fröhliche Dampfwölkchen steigen in der klaren Luft langsam nach oben. Der Himmel über uns ist milchig weiß. Günther grinst. „Jo, stimmt, oba da hab i miassn. Gern geh i net, weil mi zerdruckts durt zwischen die ganzen Heisa. Do in Floridsdorf is einfach no a bissl weiter, freier.“

Bevor wir die Floridsdorfer Cowboys verlassen, nimmt Günther mich beiseite: „Heast, der Roman da“, sagt er und zeigt auf einem blassen jungen Mann, „is erst 19 – und steht auf da Straßn. Bei der Kältn. Kennt’s da net irgendwas machn?“ Fotograf Jürg gibt ihm die Telefonnummer des VinziRast-Hauses. „Danke“, sagt der Bub und lächelt. „Oba was is da mit meim Hund? Ohne den mag i nirgends hin – des schaff i afoch net.“ – „Vielleicht geht des ja eh. Jetz ruaf afoch amoi an – sonst wirst es nie wissen“, sagt Günther streng.

Eine Telefonnummer, von der die meisten von uns nichts wissen. Und die wir hoffentlich nie brauchen werden. Aber das Leben schwemmt eben die unterschiedlichsten Menschen an den Strand beim Angelibad. Roman mit seiner drallen Pitbullhündin „Keira“ ebenso wie die hübsche Wirtschaftsrechtsstudentin Karen, die hier die Zeit mit ihrem Pointermix „Oreo“ genießt, den sie vor eineinhalb Jahren aus einem Tierheim in Polen gerettet hat. Die Pensionistin Ingrid, die ihr ganzes Leben lang Malteserhündchen hatte, und sich jetzt, weil sie endlich Zeit hat, einen „echten“ Hund gönnt, einen schwarzen Labrador namens „Amigo“ –, genau so wie das junge Pärchen, das sich mit „Harare“ dem Ridgeback eben erst einen lange gehegten Traum erfüllt hat.Manche haben wenig gemeinsam, außer ihrer Liebe zu Hunden, die sich für jemanden, der dieses Gefühl nicht teilt, nie erschließen wird, immer etwas irrational, vielleicht sogar befremdlich erscheinen muss. Manche lernen einander hier kennen und schätzen. Und manche gehen, wie in einem Robert-Altman-Film, ganz knapp aneinander vorbei, obwohl sie eigentlich wie gemacht füreinander wären. „Bitte geben S' meim Hund kane Leckerli, des mog i net“, sagt die frischgebackene Ridgeback-Besitzerin, als Ingrid ihren „Harare“, der sich „Amigo“ bei einigen Agility-Übungen angeschlossen hat, für seinen beherzten Lauf über ein kleines Hindernis belohnen will. „Jo, des akzeptier i“, sagt Ingrid und steckt das Leckerli zurück in die Tasche ihrer strapazierfähigen Schlechtwetterhose.

Drüben, von der Ecke der Cowboys, kommt ein Geheul, das mich ein wenig an eine frühmorgendliche Tierpark-Reportage erinnert, die ich vor einiger Zeit gemacht hab. „Balou“, „Mogli“, „Spirit“ und die anderen freuen sich anscheinend ganz narrisch über die Ankunft eines kleinen Jack Russels, der sich auch gleich zu ihnen gesellt. „Amigo“ ist aufgeregt, weil seine Freundin „Lady“ endlich kommt, deren Frauli extra von Korneuburg hierher fährt. Und ich wundere mich über „Emily“, einen Mix – wie ich meine –, den ich noch nie gesehen hab. Eine Französische Bulldogge auf Modelbeinen? „Kein Mix, ein Boston Terrier“, erklärt mir Maria, seine aparte Besitzerin. Sie kommt nicht so oft – nur wenn die Zeit für einen langen Spaziergang nicht reicht. „Dann ist es hier aber das Beste, das man in Wien finden kann“, sagt sie. Davor hatte sie zwei Weimaraner, aber jetzt, mit Familie, entschied sie sich für ein handlicheres Exemplar. „Wobei ich mir jedes Mal, wenn einer gestorben ist, gedacht hab: Ich halt das nimmer aus, ich nehm keinen mehr. Nur – ohne geht's irgendwie auch nicht.“

Kurze zehn bis zwölf Jahre ist die Lebenserwartung der eleganten, großen Weimaraner. Aber eigentlich ist sie immer zu kurz. „Wenn sie alt werden und einen so hilfesuchend anschauen, weil sie doch glauben, dass wir alles können – man aber einfach nichts mehr tun kann. Das ist schrecklich“, sagt Maria, und kneift die makellosen Lippen zusammen. Fotograf Jürg, dessen erste Hündin vor ein paar Jahren gestorben ist, hat offensichtlich die einzige Mücke, die Minusgrade verträgt, im Auge, wischt sich nervös mit den Fingern über die Lider und dreht sich weg. Ich muss ein brennendes Gefühl im Hals runterschlucken, denke an mein altes, tattriges Mädchen und meinen Ersten, wie er sich noch einmal umgedreht und mich angeschaut hat, bevor die Tür zum OP-Raum für immer zuging. Und an Günthers Worte von vor vier Stunden: „Sie san afoch a Teil von uns.“

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