Schule fürs Leben

Schule fürs Leben
Mehr als Walzer, Boogie & Co. Paare, die sich einen Abend zu zweit gönnen. Ältere Semester, die etwas nachzuholen haben. Jugendliche beim Erstkontakt mit dem Wunder rhythmischen Miteinanders. Ein Besuch im Mikrokosmos Tanzschule.

Der matte Glanz alter Luster, das leise Knarzen des Parketts, die Geräusche von Ledersohlen, die über tausendfach auf diese Weise poliertes Holz gleiten. Das Stakkato knochenharter Absätze, dieser unbeugsamen Säulen der Weiblichkeit ...

Es ist sofort wieder da, das beinahe rauschhafte Gefühl des eigenen ersten Tanzschulbesuchs. Annäherung an eine bis dahin verschlossene Welt. Zu der damals auch die glühenden Wangen gehörten, wenn’s hieß: „Meine Herren, bitte fordern Sie jetzt eine Dame auf“. Gehüstelte Entschuldigungen. Und die Angst, sich so dumm anzustellen, dass einen die legendäre Leiterin der legendären Salzburger Tanzschule, die ich besuchen durfte, aus der anonymen Menge herauspickt und die fragwürdigen Schritte so lange vor versammelten Schülern wiederholt, bis man, fest an ihren Busen gepresst, in ihrer ausufernden Körperlichkeit zu versinken drohte. Oder man sich dieses doch eher skurrile Ende vor lauter Scham beinahe wünschte.

Davor, also den glühenden Wangen und der öffentlichen Bloßstellung, ist man heute sicher. Zumindest in den altehrwürdigen Sälen der Tanzschule Kopetzky, in denen seit immerhin 132 Jahren die hohe Kunst des gesellschaftlichen Miteinanders in sämtlichen gängigen Taktarten unterrichtet wird. „Wir haben einiges ausprobiert“, sagen Susanne und Christian zu mir, „aber so locker und familiär wie hier ist es nirgends. Und die Tanzlehrer haben eine unglaubliche Geduld.“ Die beiden sind das einzige Paar, das ich in den Tagen meines Tanzschulen-Revivals kennengelernt habe, bei dem ER die treibende Kraft hinter dem Besuch des ersten Grundkurses war. Normalerweise ist es umgekehrt: SIE hat genug von ewig langen Abenden an der Bar oder am Biertisch, Fußballgesprächen und Fernsehabenden, sendet subtile weibliche Signale, die immer weniger subtil werden, bis auch seine unglaublich sensiblen Antennen die Nachricht aufnehmen und ER ihr zum Geburtstag oder zu Weihnachten oder am Hochzeitstag einen gemeinsamen Tanzschulkurs schenkt. Und dann ist oft tatsächlich erst mal die Geduld der Tanzlehrer gefragt ...

Schule fürs Leben

Freitag, 18.00 Uhr, Grundkurs. Auf dem Programm: Boogie. „Boogie ist ein sehr lockerer Tanz“, sagt Georg Siebert mit einem kecken Hüftknick. Vor drei Jahren haben die Kopetzkys ihrem damaligen Tanzlehrer die Schule übergeben. Mit 31 ist er einer der jüngsten Tanzschulleiter der Stadt. „Jetzt darf's ruhig ein bissl schlampig werden.“ Mit diesem Satz ist er auch schon unterwegs zur Soundanlage.

Get your motor runnin’ ...

Die guten alten „Steppenwolf“ bringen die Anfänger rasch auf Touren. Ein etwa 15-jähriger Gymnasiast hat's sogar unglaublich eilig, zappelt sich wie ein Storch auf heißen Pflastersteinen durch den 1-2-1/2-Groove, man kann seine verschwitzten Hände praktisch spüren. „Meine Herren, beim Boogie ist ER der Fels in der Brandung“, erinnert Georg seine Schützlinge.

Get down on the highway ...

Die Partnerin des Gymnasiasten scheint den Beat schon eher zu fühlen, bewegt sich sparsam, aber voll im Takt. Warum ist das so? Haben uns Frauen da tatsächlich was voraus? Julia, die zweite Tanzlehrerin, versucht dezent, den jungen Mann etwas einzubremsen.

Like a true nature child ...

Ein älteres Pärchen, das, als diese Zeilen erstmals gesungen wurden, wahrscheinlich mit freifliegender Mähne dazu herumgesprungen ist, bewegt sich erstaunlich harmonisch – we were born, born to be wild ... – während eine hübsche junge Frau in silbernen Tanzschuhen ihren Partner mit eiserner Hand durch die Rockertakte führt.

„Meine Damen und Herren“, sagt Georg in der kurzen Verschnaufpause zwischen zwei Songs, „wir wollen eins nicht vergessen: Der Mann führt, die Frau folgt.“ Verlegenes Lächeln bei den jungen Männern, ein paar hochgezogene Augenbrauen bei den Frauen, Georg und Julia machen's vor und es sieht so verdammt leicht aus.

Good Golly Miss Molly ...

John Fogerty röhrt sich einen weg und macht den armen Gymnasiast noch um einen Gang hektischer.

Sure likes to ball ...

Der Partner von Frau Silberschuh traut sich nicht recht Georgs Anweisung in die Tat umzusetzen. Aber ein Pärchen tänzelt tatsächlich spielerisch leicht über die braunen Holzdielen, ER schafft es sogar, seine Partnerin und die ganze Welt anzulächeln, IHR Rock fliegt und bauscht sich, während sie dynamische und doch anmutige Drehungen ausführt, beinahe wie in diesen Filmen mit Connie Froboess und Peter Kraus. Oder Horst Buchholz. Profis, die sich in den Anfängerkurs verirrt haben?

„Nein, überhaupt nicht“, sagen sie nach der Stunde, noch immer glücklich, strahlend. „Wir machen das zum ersten Mal – und es ist toll!“ Wie kamen sie auf die Idee einen Tanzkurs zu belegen? „Die offizielle Version“, sagt er und schaut sie zweifelnd an, „oder die Wahrheit?“ Sie runzelt ein wenig die Brauen, aber noch bevor sie etwas erwidern kann, schießt er los: „Also, ganz ehrlich: Sie hat geraunzt. Sie will tanzen, tanzen, tanzen – bis ich ihr den Kurs zu Weihnachten geschenkt hab.“ – „Ja, aber jetzt magst du's auch“, sagt sie. „Absolut. Seit wir vor eineinhalb Jahren Zwillinge bekommen haben, ist die Zeit zu zweit sehr knapp. Und jedes Mal, wenn wir in die Tanzschule gehen, ist unser Abend. Das ist schön.“

Den Fortgeschrittenenkurs haben sie schon gebucht – und in der Ballsaison werden sie sich noch einige Abende zu zweit gönnen. „Ja, die Bälle“, sagt sie und lächelt, „die waren früher immer so fad. Nur rumsitzen oder an der Bar stehen. Aber jetzt sind wir voll dabei – da freu ich mich drauf.“

20.30 Uhr, Gold-Kurs. Zwischen diesen Paaren und den Anfängern liegen zwei Fortgeschrittenen-Kurse zu je 16 Wochen. Und in dieser Zeit muss vor allem mit den Herren etwas ganz Besonderes passiert sein. Kaum stehen sie mit ihren Partnerinnen auf der Tanzfläche, bekommen auch die prallsten Wohlstandsbäuche und rundesten Schreibtischrücken eine gewisse Eleganz, werden straffer, während Hüften und Knie weicher werden, nicht mehr gegen den Rhythmus kämpfen.

„Cha-Cha-Cha, meine Damen und Herren“, sagt Georg, und „fünf, sechs, sieben acht.“

Don't stop, make it pop ...

Rudi, ein pensionierter Archäologe, der in Carnuntum und Lauriacum, Aigeira, also dem legendären Heperesia Homers, und in Ephesos gearbeitet hat, und erst vor sechs Jahren zu tanzen begonnen hat, gleitet lässig wie sein Namensvetter Valentino über den Holzboden, während ein ebenfalls etwas älterer Herr, der ebenfalls Rudi heißt, an der Seite seiner wunderschönen schwarzgelockten Partnerin spürbar jünger wird. Und eine Sohle aufs Parkett legt, dass man froh ist, wenn die Dielen nicht zu rauchen beginnen, während die scharfen Rhymes der scharfen „Keshas“ aus den Boxen purzeln: DJ blow my speakers up ... tik tok on the clock, but the party don’t stop.

„Was könnte ich zu beanstanden haben?“, fragt Georg in der Pause. „Haben wir übertrieben?“ – „Nein, ein wenig übertreiben stört mich nicht.“ – „Hm ...?“ – „Manche von euch sehen aus, als wollten sie einen Ringkampf austragen“, sagt Georg. Die Tanzschüler lachen. „Also, meine Herren, wir führen mit der Rechten und dem Körper, die Linke brauchen wir nur als Stütze. Und die Damen sollten nicht versuchen, daran herumzuzerren. Bitte.“

Auch unten rum muss alles stimmen: Frau Silberschuh ...

She got diamonds on the soles of her shoes ... And I could say oo oo ooo ...

„Okay“, sagt Georg nach Paul Simons sanfter Hymne an alle gefährlichen Frauen, „wenn SIE ein bissl störrisch ist ...“ – „Warum schaust mich jetzt an“, sagt die Schöne, die Hiam heißt, wie ich später erfahren soll, lachend. „... dann muss ER es mit ein wenig mehr Nachdruck versuchen“, macht Georg unbeirrt weiter. „Wir probieren noch einmal die Three-Cha-Chas“, sagt er dann und bietet ihr charmant lächelnd seinen Arm.

It don’t matter if you’re Black or White ...

Michael Jackson fiepst und Hiam tanzt an Georgs Seite weich und leicht wie eine Feder. Ah, so geht das also.An der kleinen Bar stehen nach der Tanzstunde Gold- und Silber-Kursteilnehmer, Tanzlehrer und Assistenten zusammen. Hiam freut sich, dass Rudi, der Archäologe, als sie vor einem Jahr hier begonnen hat, sofort ihre sumerischen Wurzeln erkannt hat. „Die Augen“, sagt er, „die Augen – so was gibt's nur im Zweistromland.“ Tanzlehrerin Julia, eine Kunststudentin, geht früh heim, sie muss fit sein, hat demnächst ihre Prüfung zur Aerobic-Trainerin, Alexandra, tagsüber Volksschullehrerin, freut sich schon auf den Jänner, dann beginnt ihr Master-Studium in London. Georg Siebert, dem Chef, merkt man keine Müdigkeit an, obwohl er morgens um 7 Uhr früh auf der Matte steht, weil er im Tagesberuf in einer Forschungsabteilung für Wasserstofftankstellen arbeitet.

Hat er überhaupt noch Zeit, auch privat zu tanzen? „Na ja, schon manchmal“, sagt Georg, „wenn, dann Lindy Hop, den Lieblingstanz meiner Freundin.“ Wohin geht man eigentlich tanzen, wenn man zu denen gehört, die's können? „City Dancing veranstaltet sehr klasse Events, unter anderem den Boogie Ball“, sagt Gottfried. „Ins Floridita, wenn man Salsa und Latin mag“, sagt Hiam. „In den Volksgarten im Sommer – und hierher in die Tanzschule natürlich, weil man ja auch alle Parallelkurse besuchen kann“, sagt Rudi der Archäologe.Und die Sache mit dem Führen und dem SIE tut, was ER will und ER muss bestimmt sein, zeigen, wo's lang geht – das ist doch ein wenig gar anachronistisch, also zumindest für einen gelernten Frauenversteher und Hobbyfeministen. „Das darfst nicht so eng sehn“, sagt Verena. „So kann man sich als Frau wenigstens irgendwann einmal fallen lassen, die Kontrolle abgeben.“ – „Und wann können wir Männer das?“ – „Ihr habt's ja eh nix mehr zum Sagen im wirklichen Leben. Da könnt's wenigstens beim Tanzen der Chef sein.“ Die beiden Rudis lachen. Verenas Freund Gottfried grinst. Er führt gut. Zumindest auf der Tanzfläche. „Aber es stimmt schon“, sagt Susanna, „viele Männer sind das überhaupt nicht mehr gewohnt, das Führen, Kontrolle und Verantwortung zu übernehmen. Gerade deshalb schadet ihnen das Tanzen nicht. In keiner Hinsicht.“

Eine Schule fürs Leben also? Vielleicht ja tatsächlich. Und wer weiß, was aus mir geworden wäre, hätte ich mich damals nicht von der keinen Widerspruch duldenden Weiblichkeit meiner Tanzlehrerin verschrecken lassen.

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