Die Reportage: Die Wirtshaus-Weltmeister

„A Biertschi?“ Kellnerin Iris weiß allerdings auch alles über den Aufstiegsmodus.
Fußball wie früher, als Jung und Alt gemeinsam im Beisl die Europacuperfolge von Rapid und Salzburg feierten. Das gibt’s auch während der WM in Brasilien, abseits der angesagten Public-Viewing- Hotspots. Ein Fußball-Abend mit Fans in einem Wiener Vorstadt-Wirtshaus.

Der Gastgarten ist verwaist. Ein gutes Zeichen. Denn drinnen im altehrwürdigen Brandstetter in Hernals ist es dafür um 18 Uhr schon ziemlich voll. Fußball-WM. Ein Fernseher über der Tür, die besten Plätze an der Bar und an den Tischen sind besetzt. Public Viewing im Wirtshaus, so wie früher, als dieses Wort noch nicht erfunden war, als man gemeinsam die Europacup-Erfolge von Rapid und Salzburg beklatscht hat. Keine Riesenleinwände, keine schicken Drinks, keine Liegestühle – es geht ums Spiel. Und ja, schon auch ums gemeinsame Erleben. Gleich links unter dem Fernseher am ersten Tisch sitzen Anton und Ernstl und beobachten die Fußballbeobachter. Nur hin und wieder wendet einer der beiden den Kopf, um das Geschehen auf dem Bildschirm zu verfolgen. „Die Deitschn spühn heit a bissl vursichtig, des gfoit ma gor net“, sagt Anton kritisch. Ernstl nickt. „Geh Toni, die spühn jetz erst drei Minuten und du tuast scho meckern. Des wird scho no“, sagt Iris, die Kellnerin. Sie ist ein wandelnder Auskunftscomputer in Sachen Spielstände und Aufstiegsmodus. „Wenn die Amis gwinnan, und Portugal oder Ghana, wuascht wer, a hoch gwinnt – donn sind die Deitschn draußt“, sagt sie. Und man sieht ihr an dem Funkeln in den Augen an, dass ihr der Gedanke doch ein wenig Spaß macht. „Oiso i hoit zu die Deitschn“, sagt Anton mit ernstem, braungebranntem Gesicht unter dem Silberhaar. „I a“, pflichtet ihm Robert, der neben mir an der Bar steht, bei und nickt in sein Bierkrügerl. „Mia wuascht“, sagt Ernstl und niest kräftig. „Heast gib jetz a Ruah do, i muaß mi konzentrieren“, schimpft Anton seinen Freund und klopft ihm auf die Schulter. „Na, der führt sie auf do, der Steirer“, sagt er lachend in die Runde. Die anderen lachen mit. Ernstl nicht. „Erkältung?“, rutscht es dem Schnupfenphobiker in mir unwillkürlich heraus. „Na na, des is nur der Rotwein, der kratzt eahm a bissl. Oba nochm dritten geht's dann scho“, beschwichtigt Anton. Ernstl sagt nicht viel. „Vo daham is er ja nur den Uhudler gwohnt, den Heckenklescher“, erklärt Anton. „Schilcher“, sagt Ernstl und schafft es, sogar dabei zu bellen.

„Uiiiiiii!“, reißt uns ein Raunen aus unserem Sommelier-Gespräch. Thomas Müller hat sich gerade nach einer Boateng-Flanke unorthodox in den Ball geworfen. Und verfehlt. „Oba dass der überhaupt so oft trifft mit seine Solettihaxn is eigentlich a Wunder“, sagt Wolfgang von einem Tisch weiter hinten. „So an kennt ma scho brauchn“, sind sich alle einig. Anders als einige Stammgäste, die ihren Abend ohnehin hier verbringen wollten, und das Fußballspiel als nette Abwechslung mitnehmen, ist Wolfgang „extra wegen dem Fußball herkommen. Allein daham – des mocht afoch ka Freud. Und die Fußball-Events überall in da Stadt, die san nix für mi. Die Atmosphäre im Wirtshaus is hoit am besten. Und do sowieso, des Lokal is über 100 Jahr alt, olles no so wie's ghört – des findst heit leider nimmer oft“. Wolfgang grinst ein wenig und stützt die Ellenbogen auf die polierte Holzplatte seines Tisches: „Und außerdem kennan si do alle so guat aus beim Fußball. Glauben s'. Da red i dann gern a bissl eine ...“ Wer gewinnt heut? „Ich find, Deutschland spielt sehr gut ...“, sagt Wolfgang. Aber? „Oba wenn s' verlieren, könnt ich mir einen Grinser nicht verkneifen.“ – „Wos hobt's ihr nur olle gegn die Deitschn?“, fragt Robert kopfschüttelnd. „Die ham uns doch nix 'tan. Im Gegenteil – die mögen uns. Und san dann immer ganz überrascht, wenn s' draufkommen, dass wir sogar zu Kasachstan oder Ost-Timor hoitn, wann s' gegn sie spühn.“ – „Na jo, a bissl großkopfert sans scho. Glauben hoit immer, sie san wos Bessers“, kommt's aus der Runde. „Und?!“, sagt Wolfgang jetzt mit Verve, „sie SAN jo a bessa ois wir. Sie SAN guat im Fuaßboi. Do bricht ma si do nix ob, wemma si a bissl mit seine Nochbarn freit. Oba der Qualtinger hot scho Recht ghab't. Für an andern gfrein, des kennans net die Wiener, weils grantig san und ois miesmachen und net außeschaun aus eanare drei Block im Bezirk.“ Wolfgang ist 49, in Hernals geboren und aufgewachsen. Er liebt seinen Bezirk. „Sein“ Wirtshaus. „Jo, der Qualtinger hot immer Recht“, sagt Herr Poldi und: „Heast!“, als ein bezopfter Amerikaner einen Weitschuss knapp neben die Latte des deutschen Tores setzt. „Wia haßt der, ,Zusi'? A komischer Nam“, sagt Lucia, Antons Nachbarin, die gerade erst gekommen ist. „Oiso i hoit zu die Deitschn, des steht fest“, fährt sie mit einem Blick in die Runde fort. „Na eh“, sagt Herr Poldi, „afoch aus Prinzip NET zu die Deitschn hoitn, is jo a blöd. Oba ZU eana – des is scho schwierig. I glaub, i bin a bissl neutral...“ Der glühende Sportclub-Fan ist Stammgast im Brandstetter, freut sich schon wie ein Firmling auf das Match gegen AS Roma am 15. August. „Gibt's scho Vorverkaufskarten?“, fragt er Chefin Tina, die gerade aus dem Kellergewölbe, wo junge Künstler ihre Bilder ausstellen, gekommen ist. „Ab nächster Woche Poldi“, sagt sie.

„Ich bin auch neutral“, gesellt sich Ladi, der Numismatiker, der im Anzug vor seinem Schweinsbraten sitzt und es sich schmecken lässt, in die immer größer werdende Gruppe der „Nicht-Deutschland-Gegner“. „Hauptsach, wir können da gemeinsam schaun. Und gut essen“, sagt er und nimmt einen ordentlichen Schluck aus seinem Krügerl. „Geh, Chefin, do tuat si no imma nix am Feld – oba wenigstens i bin fleißig: I hätt gern no ans“, sagt Anton und hebt sein leeres Viertelglas in die Höhe. Harald, der ganz hinten sitzt und tatsächlich ein Neffe von Pepi Hickersberger ist, hat 1:0 für Deutschland getippt, macht sich mittlerweile aber ein wenig Sorgen. „Im Grund braucht ja kaner gwinnen von den beiden.“ Gijon? Eine Wiederholung der Schande? „Vielleicht ja, vielleicht sans nur die bessern Schauspieler als unsere damals.“ – „Woa net dei Onkel a dabei damals?“ – „Na na, des konnst eam net ano zuwedichtn. Der hot noch Cordoba aufghört im Team.“ Cordoba, der Name zaubert ein wehmütiges Lächeln in die Gesichter mancher Gäste. Für ein Schwelgen in alten Zeiten haben die Fußballfreunde im Brandstetter allerdings zu viel Würde. Sie sitzen gelassen zwischen der schweren Schank und der braunen Wandvertäfelung, murmeln ihre fachmännischen Kommentare zu einem geschlenzten Pass Özils oder einem verstolperten Ball Müllers, raunen gemeinsam bei den Paraden des US-Torhüters. „A Biertschi no?“, hört man Kellnerin Iris rufen, Anton und Ernstl sorgen wie Waldorf und Statler in der Muppet Show mit bissigen Kommentaren für Gelächter. Es ist tatsächlich eine eigene Atmosphäre, ein Fußballspielschauen wie früher. Nur hätten die alten, dicken Fernseher nicht so klass über die Tür gepasst. Und schließlich doch, Jubel. Und Bestürzung, je nachdem. Thomas Müller zieht vom 16er ab, der Ball passt genau. „Der mit seine Solettihaxn!“ – „Geh, imma hams a Glück, die Deitschn.“ – „Wos haaßt Glück! Host den Schuss gsehn?“ – „Des passt scho.“ – „Weit kummans trotzdem net.“

So ein Tor macht hungrig, Iris rennt mit Schokopalatschinken und Altwiener Backfleisch (haben die hier tatsächlich Altwiener Backfleisch? Ich muss unbedingt wieder her, wenn ich Hunger hab) durchs Lokal. Aber nicht ohne bereitwillig Auskunft zu geben: „Jo, trotzdem san beide weiter. Do miaßt Portugal jetz no drei Tor schiaßn, donn waratn die Amis draußt.“ Aber nichts pasiert mehr, was einige Experten gleich noch eher an Gijon und das Jahr 1982 denken lässt. Anton, Ernstl und Lucia brechen auf. „Bleibst net no zum zweiten Match?“ – „Na, des mochn mia dann“, sagt Anton zwinkernd und deutet auf seine Nachbarin. Und: „Ernstl, der 43er! Kumm, renn und hoit eahm auf!“ – „Jou eih.“ Das anschließende Russland-Algerien-Spiel wird von den Verbliebenen eher hingenommen, die Luft ist raus aus dem Fußball. Die Gespräche drehen sich um kommende Höhepunkte der WM, das Sportclub-AS Roma-Match, Konzerte und Ausstellungen im Brandstetter. „Schreiben S’, dass es wirklich sehr schön ist, dass die Chefin Tina, diese junge Dame, den Mut hat, die alte Wirtshauskultur aufrecht zu erhalten“, sagt Herr Magister Harald, der nicht mit Pepi Hickersberger verwandt ist. Und wie es sich im Wirtshaus gehört, geht es, während Algerien sich überraschend den Aufstieg sichert, auch um Politik und Tagesaktuelles. „Die soin doch den Gabalier in Ruah lossn. Net, dass ma sei Musi g’foit, aber singan kann er doch, was er will.“ – „Oba wann die Töchter jetzan offiziell in der Hymne stehn, und er offiziell die Hymne singt, dann muaß er ah die Töchter singan. Wuascht ob’s eahm passt. Oder dir.“ – „Host ah wieder Recht.“ – „Na oisdann.“

www.brandstetter.at

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