Die Reportage: "Laufen, spielen, aufn Ball hauen"
Mein Papa hat in der höchsten ägyptischen Liga Verteidiger gespielt – und ich war auch schon immer Verteidiger. Zuerst außen, jetzt innen“, sagt Lukas. Eigentlich heißt er Ahmed, aber die Brasilianer haben auch alle Künstlernamen. Also Lukas. Schon immer, das sind bei dem großen, elf-jährigen Buben immerhin vier Jahre, die er allesamt beim NAC, dem Nussdorfer Traditionsverein, verbracht hat. Lukas ist Kapitän der U12, seine großen Vorbilder sind Sergio Ramos und David Alaba. Im nächsten Spiel geht es gegen die Fortuna aus Sievering. Lokal-Derby. Auch in dem Alter schon etwas ganz Besonderes. Drei Mal pro Woche trainieren die Buben auf dem hübsch zwischen Grinzinger Straße und Volksschule gelegenen Kunstrasenplatz. Mit Begeisterung, Einsatz – und unglaublich gutem Benehmen. Dem Trainer wird zur Begrüßung die Hand geschüttelt, dem sportlichen Leiter, Herrn Vogl, sowieso – und mir auch gleich, ich muss wohl irgendwie dazugehören, denken sie, denn Eltern haben in der Nähe des Platzes keinen Zutritt, die müssen auf den Holzbänken der kleinen Tribüne an der Längsseite warten. „Des funktioniert so einfach am besten“, erklärt Herr Vogl, „denn erstens tendieren Eltern – Väter vor allem, aber schon auch die Mütter – dazu, sich emotional ein bissl zu stark zu beteiligen. Da wird dann auf die Buben eingewirkt, reing'rufen, g'schimpft. Bei Spielen kann des zu richtig unschönen Szenen führen. Und die Buben selber sind ja auch viel unverkrampfter, wenn die Eltern weiter weg sind.“ Und zweitens? „Zweitens sollen s' ja auch selbstständig werden. Des bringt doch nix, wenn ihnen die Mütter die Sportsachen bis in die Garderob nachtragen. Na, Eltern haben im Club-Bereich keinen Zutritt – des gilt auch scho fürn Kindergarten.“ Kindergarten, das sind die ganz kleinen Kicker des NAC, noch nicht einmal vier die jüngsten, knapp sechs die ältesten. Sie werden vom Chef, der sonst noch die U18 trainiert, persönlich betreut.
Seit zehn Jahren leitet Herr Vogl, ein gebürtiger Waldviertler, der selbst in Krems, Waidhofen an der Thaya, Dross und beim FavAC gekickt hat, die sportlichen Geschicke in Nussdorf. Als er angefangen hat, trainierten 30 Kinder hier – heute sind es 300. Eine Entwicklung, auf die er stolz sein kann. „Wir sind natürlich ka Akademie, aber es lauft scho. Und die Nachwuchsarbeit fangt langsam an zu greifen – die ersten Buben, die wir aufbaut ham, klopfen jetzt bei der Kampfmannschaft an.“ Eine Entwicklung, die ihm und seinem Team aber auch einiges abverlangt. Die Wochenenden sind ohnehin völlig verplant, da sich die Spiele durch sämtliche Altersklassen immer über den ganzen Tag verteilen, und auch unter der Woche ist der Chef jeden Tag persönlich auf dem Platz. Drei bis vier Stunden lang. Seine Trainer und deren Assistenten sind mindestens drei Mal pro Woche im Einsatz. „Mei Frau lebt des zum Glück mit“, sagt Herr Kauderer, Coach der U12, „weil sie selber gspielt hat. Sonst kriegat i ernsthaft Schwierigkeiten, glaub i.“ An der minimalen bis symbolischen Aufwandsentschädigung, die Nachwuchstrainer in Österreich bekommen, kann's ja nicht liegen – warum tut man sich das also an? „Na jo, Fußball halt.“ Herr Kauderer zuckt die Schultern und lächelt ein wenig. Natürlich: Fußball halt – so einfach ist das. Und so schön. Wie das Spiel, das die Knirpse auf ihrem Viertel des Platzes gerade aufziehen. Sieben gegen sieben, ohne Tore, es geht ums Ballbehaupten. Leichtfüßig, kurz berühren, schnell abspielen. Erstaunlich. „Schauen!“, „Und direkt!“, „Kumm, hüf’ eam“, kommen hin und wieder die Anweisung der beiden Trainer. Manche, wie Kapitän Lukas, dürfen mir ihr allererstes Interview geben. Erzählen mit stolz glänzenden Augen von ihren Träumen, die ihnen, ohne, dass es jemandem wirklich bewusst ist, von Männern wie Herrn Vogel und Herrn Kauderer ermöglicht werden. Fußballer wollen sie alle einmal werden – bis auf Daniel, der Sohn des Trainers, ausgerechnet, der ist sich da noch nicht sooo sicher. Irgendwann einmal bei Real Madrid spielen. „Nein, AC Milan“, sagt Thomas, der Stürmer. Sein Lieblingsspieler? Da ist er sich mit Lorenzo, dem „10er“ des NAC, einig: Paul Pogba. Wer? „P-o-g-b-a, so wie Drogba, nur halt mit ,P'“, buchstabiert Lorenzo etwas irritiert. Wie kann man den nicht kennen?
„Französischer Nationalspieler“, erklärt Thomas geduldig, „einer der besten Fußballer, die's gibt.“ Okay, ich werd ihn bei der WM beobachten. „Und ich werd mir aaaalle Spiele anschauen! Wenn ich darf“, sagt Antonio, der kleine, flinke Rechtsaußen. Weltmeister wird, da ist er sich mit beinahe allen Mannschaftskollegen einig, Gastgeber Brasilien. Mit Außenseiterchancen für Deutschland und Spanien. „Obwohl ich mir eigentlich Italien wünschen würde“, sagt Lorenzo beinahe schüchtern. Schauen die Buben auch österreichische Bundesliga? „Klar, und Kevin Kampl ist mein Vorbild – der ist der Beste!“, sagt Antonio. Obwohl er eigentlich Austria-Wien- UND Rapid-Fan ist. Ja, meine Herren, auch das geht, wenn man jung ist und noch keine Scheuklappen trägt. Kampl, der Salzburger Mittelfeldwirbler steht bei eigentlich allen Kids hoch im Kurs, sein Teamkollege Sadio Mane ebenfalls, dazu kommen der junge Sabitzer, Royer, Schicker. „Arnautovic ist interessant“, sagt Ernesto, ebenfalls ein Mann fürs linke Mittelfeld. „Der spielt doch in England“, sagt Kapitän Lukas. „Aber er ist Österreicher“, sagt Ernesto. „Dann sag ich Alaba“, sagt Lukas, und: „Schön ist, dass es mit dem österreichischen Nationalteam wieder bergauf geht.“ Das Wort des Kapitäns in Gottes Ohr ...
Aber egal, wen sie jetzt am liebsten haben – live im Stadion gesehen haben die Buben ihre Bundesligastars noch kaum. Zu gefährlich, zu aggressiv, nix für Kinder, sagen die Eltern. „Ich hab’s ein paar Mal mit einer ganzen Truppe versucht“, sagt Herr Vogl, „aber schon länger nicht mehr. Die Verantwortung ist mir dann doch einfach zu groß. Noch dazu müsst ich ja immer 20 Minuten vor Abpfiff mit den Buben das Stadion verlassen.“ Und weil grad wieder über allgemein schwindende Zuschauerzahlen bei den Bundesligaspielen gejammert wird: Das darf doch wirklich nicht sein, dass ein paar Menschen, die sich nicht benehmen können, sich selbst aber gern als die einzigen wahren Fans bezeichnen, sogar dem eigenen österreichischen Fußballnachwuchs die Freude am Stadionbesuch verderben. Und den Eltern, den Trainern… Eine Mutter treffe ich dann doch im Sperrgebiet vor den Umkleidekabinen. Maria, ihr Sohn hat das Downsyndrom. Seit fünf Jahren trainiert Lorenz schon mit den Buben des NAC, drei Mal pro Woche. „Am liebsten würde er jeden Tag kommen“, sagt Maria, „ihm macht es so viel Spaß, dass er schon von der Bushaltestelle hierher läuft. Und der Arzt sagt, dass man schon merkt, dass er viel Sport macht. Das ist gut.“ Motorisch hat sich Lorenz in den Jahren stark verbessert. Aber auch im Sozialverhalten lernt er dazu. Teamgeist, Verantwortung, Aufgaben erfüllen. Und die anderen Kinder lernen mit Menschen umzugehen, deren Bedürfnisse anders als die ihren sind. „Es ist ja leider sehr schwierig, etwas zu finden, das man machen kann“, sagt Maria. „Ka Belastung, sondern eine Bereicherung. Von solchen integrativen Projekten profitieren immer beide Seiten“, sagt Herr Vogl. Am Matchtag gegen die Fortuna, einem ausnahmsweise sonnigen Samstag, ist beinahe Volksfeststimmung am Platz. Die Elterngeschwader wechseln sich ab, sämtliche Altersgruppen treten gegeneinander an, auf den Tribünen wird fachgesimpelt und angefeuert, auf dem Feld wird gerannt, gedribbelt, geschossen, manchmal ein wenig geweint – und sich unbändig gefreut. Und ja, gelacht wird auch, so soll es sein. 3:2 gewinnt die U12 des NAC gegen die favorisierten Sieveringer. Mit drei Toren ist Thomas Man of the Match. Antonio, Lorenzo, Lukas, Daniel, Niklas, Ernesto und wie sie alle heißen, freuen sich mit ihm. Die Verlierer gehen mit hängenden Köpfen vom Platz. Ihr Traum vom Ligagewinn ist mit dieser Niederlage geplatzt. „Das wird ein bissl dauern, bis wir ihn wieder aufgerichtet haben“, sagen die Eltern eines jungen Fortuna-Kickers zu mir. „Aber das ist wichtig. Auch verlieren muss man lernen.“
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