Die Reportage: Für immer jung
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"You sexy thing. Where you’re from ..." Es ist gerade mal 20.30 Uhr, aber DJ Helmuth heizt schon ordentlich ein. Einige Damengrüppchen stehen bereits auf der Tanzfläche, haben sichtlich Spaß dabei, ihre 70ies-Dancemoves aufzufrischen. Männer sind – noch – Mangelware. Nur ein paar einsame Wölfe umkreisen das Revier, sondieren, wägen ab, wo ein Angriff am erfolgversprechendsten ist. Am Eingang hat sich eine Schlange gebildet, was vielleicht auch an den Security-Checks liegt, gegen die am Flughafen geradezu fahrlässig vorgegangen wird.
Es ist heute eine kombinierte Ü30- und Ü40-Party, zwei Floors, drei Bars – die ultimative Fete quasi. Wir holen uns ein Bier an der Bar des "Stüberls", schlendern an der Tanzfläche entlang, beobachten, werden beobachtet. Knapp, taxierend, von den anderen Wölfen, freundlich lächelnd von etlichen der Mädchen. Eine Dame mit langem, kastanienbraunem Haar, die engen Jeans keck in ihre Boots gesteckt, spricht Fotograf Gilbert an. Er errötet sanft. Eigentlich ist er für den Ü-40-Floor noch entschieden zu jung, aber wir dachten, mit mir als Begleitperson geht das schon. "Was hat sie gesagt?" – "Ach nichts", sagt Gilbert. Die Mittvierzigerin wirft ihre Mähne zurück und uns, oder wahrscheinlich ihm, noch einen Blick zu, dann geht sie zurück zum Tisch ihrer Freundin. Pagenkopf, randlose Brille, mauvefarbener Minirock zur schwarzen, engen Bluse, fitnessstudiogestählter Hardbody. "Und?", sag ich mit Blick auf die beiden. "Geh", sagt Gilbert und fummelt an seiner Fototasche herum. Ein Mann im weißen Hemd übt inzwischen auf der Tanzfläche den klassischen Hansi-Hinterseer-Umsteigschwung. Hin und wieder scheinen Elektroschocks seinen Körper zu durchzucken, was den grundsätzlich harmonischen Skigymnastik-Eindruck etwas stört. "Where you’re from – you sexy thing ..."
Wir ziehen mit ein paar anderen, frisch eingetroffenen Männern weiter. Ein Revier muss sorgfältig abgecheckt werden, bevor man es sich irgendwo zu gemütlich macht. Während das Stadlauer Hotel Hillinger, wo die Sause steigt, im oberen Bereich den spröden Charme einer Sanatoriums-Cafeteria versprüht, herrscht im Untergeschoß echtes Disco-Flair. Trockeneis-Nebelschwaden wabern auf der Tanzfläche, werden von grünen Laserstrahlern zerschnitten und filetiert. Die fetten Elektrobeats von DJ Dany würden sich auch im Prater Dome gut machen. Noch dazu irritiert er den Musikredakteur, der glaubt, alles zu kennen, mit einer Dance-Version des Cranberries-Hits "Zombie". Wann wurde das denn verbrochen? Verwirrt stolpere ich an den Stehtisch von Andrea und ihren Freundinnen.
Eine Dame mit langem, kastanienbraunem Haar, die engen Jeans keck in ihre Boots gesteckt, spricht Fotograf Gilbert an. Er errötet sanft.
"Hi", sagt die hübsche Blonde. "Hi", sag ich. Die Damen sind entspannt, chic und freuen sich darüber, ein wenig zu plaudern. "Dürfen wir euch für eine Reportage fotografieren?" – "Kein Problem. Aber warum macht man eine Reportage über ,Ü’-Partys?" – "Warum geht man auf ,Ü’-Partys?" – "Weil wir auch irgendwo hin wollen. Der ganze Spaß in der Stadt ist doch in der Hand der Kids. Wer nicht grad auf Gesellschaftstanz oder Volkstümliches steht, bleibt über." Andrea und die anderen waren schon öfter auf Clubbings wie diesem, manchmal lerne man interessante Menschen kennen, manchmal eben nicht – hin und wieder werden Männer ein bissl aufdringlich, aber nichts, womit sie nicht fertig würden. Immerhin sind sie ja keine Backfische mehr. "Weißt du", sagt Andrea, und DJ Dany sei Dank, muss man beim Reden die Köpfe eng zusammenstecken, ich kann ihr frisches Parfüm riechen, "diese Clubbings sind wirklich witzig – ich glaub, es wird dir auch gefallen. Ein bissl wie Schulskikurspartys für Erwachsene."
Damit trifft Andrea den Nagel auf den Kopf. Die Situation in der Kellerdisco kommt mir fast schon gespenstisch bekannt vor. Auf der Tanzfläche die geballte Weiblichkeit, in den Ecken oder möglichst cool an den Wänden lehnend, die Jungs. Ein Mann mit schütterem Cowboy-Schnauzer, den Bauch im schwarzen T-Shirt locker vorgestreckt, lächtelt einen Minirock mit Netzstrümpfen verwegen an. Ihr Blick ist scharf wie die Pfeilspitzen der Sioux, sein Lächeln gefriert, die zur Begrüßung erhobene Hand fährt hastig durch die Haare des Cowboys und krallt sich dann im eigenen Nacken fest. Währenddessen drängen sich Spitzen-BHs und durchsichtige Blusen, Leopardenkleidchen und Lackhosen an dem armen Kerl vorbei Richtung Tanzfläche. Es ist erst 21.30 Uhr, aber zu Aviciis "Hey Brother" erreicht die Stimmung einen ersten Höhepunkt. "... if the sky comes falling down, for you, there’s nothing in this world I wouldn't do ..."
Arme werden gehoben, Köpfe geschüttelt, Hüften gewogen. Frauen scheinen die Musik einfach zu spüren. Und quasi mittendrin steht ein Mann an seinem Tisch, den man durchaus seeehr erwachsen nennen könnte: Bernd, etwa 70, langes Silberhaar, breitkrempiger Hut, mit Stickern übersäte Jeansjacke, jede Menge Ringe an den Fingern. "Die Musik fahrt guat", sagt er, "oba es is halt heut auch a Ü40-Party. Da san mir die meisten Mädels a bissl z’oid." Bernd zwinkert kurz und grinst mich breit an. Eine große, brünette Dreißigjährige mit Modelfigur fragt, ob sie und ihre beiden Freundinnen sich zu uns an den Tisch stellen dürfen. Bernd nickt kurz. "Wirklich?", sag ich zu ihm. Bernd schaut mich unschuldig an. "Na jo, die schaut a bissl aus wia die Jamie Lee Curtis. Früher", knurrt er mir dann ins Ohr. Ich geh an die Bar, um mir einen neuen Drink zu holen. Als ich zurückkomme, ist Bernd mit "Jamie" ins Gespräch vertieft. Ich will nicht stören ...
"We don’t need no education ..." – DJ Danys Mix ist gewagt, aber der alte Pink-Floyd-Hadern bringt sogar noch zusätzliche Menschen auf die Tanzfläche. Ein Pärchen in Harley-Davidson-Hemden shaked sich einen weg, und eine Girl-Gang von flotten Frühvierzigerinnen kann nicht nur den Text auswendig, sondern bewegt sich auch ausgesprochen groovey dazu. Eine kleine Schwarzhaarige gibt die Moves vor, ihre Freundinnen haben Spaß daran, sie aufzunehmen und zu variieren. Hat mich die kurvige Gang-Chefin gerade angelacht? Gott, jetzt beginne ich schon, mich wie ein Gymnasiast zu benehmen ... Als ich dabei bin, wieder nach oben zu gehen, tanzt ein Mann, der trotz bis zum Bauchnabel aufgeknöpftem Hemd aussieht wie die Schablone eines Lehrers, gerade die Mädels an. Jetzt lächelt die Schwarzhaarige wirklich. Das Glück des Mutigen. "Hey, teacher, leave them kids alone!", singt Roger Waters vergebens. Erhitzt wirft die Gang-Chefin die Haare in den Nacken. Und Bernd führt noch immer sein anscheinend überaus spannendes Gespräch mit "Jamie".
Auf der Tanzfläche die geballte Weiblichkeit, in den Ecken oder möglichst cool an den Wänden lehnend, die Jungs.
Am Ü40-Floor ist Fotograf Gilbert schwer im Einsatz. Bei Sandra und ihren Freundinnen, die er gerade fotografiert hat, ist er der Hahn im Korb. "Du bist dann oiso der Schreiber?", sagt sie zu mir. Und: "Schreibst eh kan Blödsinn?" Mit "Simply The Best" hat DJ Helmuth den Nerv des Publikums getroffen, einige Männer schlurfen lässig knieweich mit ihren Partnerinnen im Quickstep über die Marmorfliesen, aber noch immer tanzen viele Damen allein. "I waß net, warum si kaum aner traut, a Frau anzureden. Oder mit ihr zu tanzen. Sie kennten ’s doch vüh lustiger ham – weil, wir beißen ja net." Ich werd’s ausrichten, denk ich mir.
"Was schreibst’n du?", fragt mich Martin, als ich mir im "Stüberl" Notizen mache. Er kommt mit seinem Freund Joe fast zu jedem Ü-Clubbing. Kennengelernt hat er noch nie jemanden. Die beiden sind freundlich und witzig und g’scheit. Nur ein wenig moppelig. "Is halt schwierig, so wie wir ausschaun", sagen sie. "Geh!", sag ich, und frag sie, ob sie schon an der Tanzfläche waren. "Nein." – "An der anderen Bar?" – "Nein" – "Und unten?" – "Nein!" Wir einigen uns darauf, dass es schwierig ist, jemanden kennenzulernen, wenn man sich sechs Stunden nicht von der Bar wegbewegt. Und niemanden anspricht. "Bist sicher?", sagt Martin. "Probiert’s es einfach – die Frauen beißen nicht", sag ich. Die beiden strahlen.
Jede Menge Spaß, praktisch die ganze Nacht. Die Ü-Partys sind so etwas wie Schulskikurs-Abschlussfeste für Erwachsene
Ich treffe Andrea und freu mich, sie zu sehen. "Wir gehn, es wird schon spät", ruft sie mir ins Ohr und ich kann wieder ihr Parfüm riechen. Die Mädels sammeln sich zum Aufbruch. Eine fehlt, welche, soll hier nicht verraten werden. Sie steht Bauch-an-Bauch mit einem nicht unsympathischen Weißhemd am Rand der Tanzfläche. Sie lachen zur selben Zeit, nippen an ihren Drinks. Das könnt was werden. "Siehst, ich hab’s dir ja gesagt", sagt Andrea lachend und geht in die kalte Stadlauer Nacht.
Bernd hat "Jamie" nun offenbar doch verlassen und wird von einer kleinen Brünetten liebevoll mit Bacardi-Cola gefüttert. "Mir geht’s guat. Bei dir a olles okay?", sagt er. Alles bestens, ich hab nur nicht so eine Kondition wie er. Es ist nach 2 Uhr, und ich werd schön langsam müde. "Gehn wir dann – ich kann dich bis zum Praterstern mitnehmen", sagt Gilbert genau im richtigen Moment. Am Weg zum Ausgang kommen wir noch einmal an Martin und Joe vorbei. Die beiden stehen noch immer am selben Platz an der "Stüberl"-Bar und führen eine intensive Diskussion, ob Bill Wyman, Jack Bruce oder Paul McCartney der beste Bassist der 60ies war. Schon in Ordnung, man muss Prioritäten setzen, Jungs.
Auf der Terrasse neben dem Eingang chillen Iris, Karin, Martina und Verena. "Setzt’s euch a bissl her zu uns", sagen sie und man sieht, dass sie eigentlich Gilbert meinen. "Du soitatst net mit an Ehering auf so a Party gehn", sagt Iris nach einem kurzen Blick auf meine Hand wohlmeinend zu mir. Da bin ich mir gar nicht so sicher, denk ich mir. Die schöne Verena schießt inzwischen Selfies mit Fotograf Gilbert. Ich frag mich, auf welchen Facebook-Seiten sie landen werden. "Es is immer des Gleiche – olle stehn si’s nur auf die Blonden", seufzt Karin, "des wor scho in da Schul so." – "I waß net. Er schaut ja guat aus, oba wenn i mir die andern Männer drin so anschau, bin i froh, dass auf mi zhaus aner wart", sagt Iris. "Echt?", sagt Karin, "Wenn i mir die Männer so anschau, bin i froh, dass auf mi zhaus kaner wart!" Die Frauen lachen. Wir auch. So hat ein Ü-Clubbing anscheinend für jeden genau das Richtige parat. Und wenn’s nur die Erkenntnis ist, dass sich manche Dinge nie ändern.
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