Die jungen Alten

Ein 102-Jähriger, der einen Fahrrad-Rekord bricht, ein Unternehmer, der seinen 125. Geburtstag plant und ein Top-Model, das mit 82 Jahren auf Facebook seine neue Homepage ankündigt: Haben jetzt alle den Jungbrunnen entdeckt? Fakt ist: Die Menschen werden immer älter. Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft. Denn der Glaube an die ewige Jugend ist mehr Schein als Sein.

Als der Franzose Robert Marchand am letzten Jännertag des heurigen Jahres von seinem Rad stieg, wurde er gefeiert, wie Lance Armstrong in seinen besten Tour-de-France-Zeiten nicht gefeiert worden war. Denn Marchand spielte neben seiner Sportlichkeit zusätzlich den Altersjoker aus, als er in der Ü-100-Klasse seinen eigenen Rekord brach. Innerhalb einer Stunde legte er 26,927 Kilometer zurück – 2,5 Kilometer mehr als noch 2012. Und das mit 102 Jahren, weshalb ein Konkurrent auch nicht vorhanden war. Nicht nur bei Armstrong stellte sich die Frage: Was hat der genommen, dass er so etwas leisten kann? Im Fall von Marchand sprechen Ärzte von guten Genen und er selbst von keinem besonderen Geheimnis. „Ich habe nie geraucht und nur bei Festen getrunken. Bei Frauen habe ich auch nie gezögert.“ Marchand ist heutzutage kein Einzelfall mehr. Galten 100-Jährige vor einigen Jahren noch als Exoten, scheinen sie mittlerweile zur Normalität zu werden, wie Zahlen belegen. Der Anteil von Menschen über 80 Jahre wird sich in Europa bis 2030 fast verdoppeln. Doch was ist passiert? Wurde irgendwo auf der Welt plötzlich der Jungbrunnen entdeckt? „Ich glaube es ist derzeit Mode, Erfolgsstorys von Menschen in hohem Alter zu bringen“, erklärt Georg Ruppe, Gründungsmitglied der „Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre Altersfragen“. „Das bildet allerdings nur einen kleinen Teil der Realität ab.“ Trotzdem belegen die Zahlen, dass mehr und mehr Menschen bei relativ guter Gesundheit ein höheres Alter erreichen. „Dafür sind nicht nur die Gene verantwortlich. Was mir gegeben ist, kann ich ja auch durch einen ruinösen Lebensstil zunichte machen. Gesund alt zu werden, hängt etwa auch mit Bildung und dem sozialen Status zusammen.“

Auch die „Rolling Stones“ denken keineswegs an Ruhestand. Watts, 72, Richards, 70, Jagger, 70, und Jungspund Wood, 66, gehen wieder auf Tour.

Der Milliardär David Murdock, mit 91 noch topfit, verfügt über beides und plant, offenbar nicht ganz unbegründet, schon jetzt seinen 125. Geburtstag. „Warum sollte ich nicht so alt werden?“, kontert er Zweiflern in Interviews. Dem Magazin „TIME“ verriet er 2011 sein Jugend-Geheimnis: Du bist, was du isst! Auszug aus seinem Speiseplan: Sechs-Früchte-Smoothie, Blattsalat mit gerösteten Walnüssen, Fenchel und Blutorangen, danach Gemüse-Suppe mit acht Sorten – zu guter Letzt gegrillten Fisch mit Baby-Karotten und braunem Reis. Stellt ihm jemand Butter vor die Nase, sagt Murdock: „Nehmen Sie den Tod vom Tisch.“ Freunden, die Zucker in den Kaffee oder Milch in den Tee geben, schmettert er oft den Satz „Okay, ihr werdet vor mir sterben“ entgegen. Ob er recht hat, wird sich zeigen.

Der Arzt Georg Ruppe sieht Alters-Erfolgsgeschichten dieser Art allerdings kritisch – so wie Werbung, die ewige Jugend und Schönheit als Ideal propagiert und damit der Gesellschaft eine problematische Botschaft einimpft. „Man glaubt, dass dieses Ideal das Wichtigste ist. Aber die Frage ist: Was davon ist im besten Fall wirklich Glück bringend? Eine unhinterfragte Idealisierung kann im Extremfall auch zu etwas wie „Ageism“ im Sinne von „Racism“ führen. Wer im Alter nicht erfolgreich, schön und gesund ist, wird dabei indirekt diskriminiert. Menschen, die trotz Erkrankungen oder anderer Einschränkungen ein engagiertes und bemerkenswertes Leben führen, vergisst man leicht. Und davon gibt es viele.“ Ihnen rät Ruppe zu Flexibilität und nennt als Beispiel den Pianisten Arthur Rubinstein, der mit 90 Jahren noch umjubelte Konzerte gab. Möglich war das durch altersgerechtes Verhalten. So konzentrierte sich Rubinstein auf wenige Stücke, übte häufiger und spielte langsamere Passagen einfach noch langsamer – um schnellere Stellen schneller spielen zu können. „Ein anderes Beispiel für Flexibilität wäre, sich für etwas Neues zu begeistern. Wenn man etwa nicht mehr so gut ausgehen oder auf hohe Gipfel steigen kann, wäre eine Alternative, sich mehr für Filme, Bücher oder neue Freunde zu interessieren.“


Wie so oft scheint alles eine Frage der Einstellung zu sein. „Man sollte Alter generell nicht als bestimmten Zustand ansehen. Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse und kann keiner Gruppe zugeordnet werden“, meint der Arzt. „Fragen Sie jemanden, ob er sich alt fühlt. Kaum einer sagt Ja. Die meisten Menschen wollen nämlich nicht gleichgeschaltet werden.“

freizeit: Gordon, wir haben einander in Kanada kennengelernt. Du betreibst mit Heliskiing eine anstrengende Sportart. Warum bist du so fit?
Gordon Precious: Ich habe gute Gene. Meine Mutter wurde 93, mein Vater 74 Jahre alt. Er wäre aber sicher sehr alt geworden, wenn er nicht so viel geraucht hätte.

Was für einen Lebensstil führst du?
Ich habe mich immer ausgewogen ernährt und mich an den „Canadian Food Guide“ gehalten. Er empfiehlt Gemüse, Früchte, Fisch und Fleisch. Ab und zu gönne ich mir aber auch einen Apfelstrudel – und ich liebe Ahornsirup! Bei Fett und Naschereien halte ich mich aber zurück. Deshalb hat sich seit 65 Jahren mein Gewicht nicht verändert. Ich wiege immer 74 oder 75 Kilo.

Und was ist mit Sport?
Bewegung ist sehr wichtig, besonders an der frischen Luft. Außerdem habe ich nie Medikamente genommen.

Warst du denn nie krank?
Bei mir wurde vor zehn Jahren eine Herzerkrankung diagnostiziert. Aber meine Werte waren sechs Monate später nach einer Reha wieder okay. Der behandelnde Arzt meinte, ich müsse trotzdem mein Leben lang Medikamente nehmen. Das wollte ich nicht. Deshalb habe ich andere Mediziner konsultiert und bin schließlich bei einem 55-jährigen, sehr fitten Arzt, gelandet. Er meinte, dass es laut Attesten richtig gewesen wäre, mir Medikamente zu verschreiben.

Also hast du sie schließlich doch genommen?
Ich habe den Arzt gefragt, ob er sie nehmen würde. Als er das verneint hat, habe ich es auch bleiben lassen. Und siehe da: Es hat mir nicht geschadet. Seither konsultiere ich nur noch fitte Ärzte. Ich habe gelernt, dass ein Mediziner, der nicht in guter Form ist, viel leichter Medikamente verschreibt.

Du bist 90 Jahre alt. Hast du denn keine Angst, dass du dich beim Heliskiing einmal verletzen könntest?
Nein, das Risiko ist überschaubar. Außerdem bin ich ja schon 90. Wovor soll ich also noch Angst haben?

Wie oft wirst du noch Heliskiing gehen?
Ich gönne mir alle fünf Jahre eine Woche. Es ist ja doch sehr teuer und ich möchte nicht zu viel Geld aus der Familienkassa nehmen. Das nächste Mal komme ich mit 95, dann mit 100. Danach sehe ich weiter.

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