Destination: Ich
Wenn Sie diese Zeilen lesen, befindet Kathi sich gerade auf dem Weg nach Sri Lanka, um dort bei einer zweiwöchigen Ayurvedakur auszuspannen. Natürlich hätte sie auch eine Woche Strandurlaub machen können. Doch Kathi hat das Bedürfnis nach mehr – mehr Erholung, mehr Entspannung und mehr Einkehr. „Ich bin jetzt echt urlaubsreif“, sagt Kathi, die ein Kosmetikstudio betreibt und von morgens bis abends in ihrem Salon steht. Um wieder Kraft zu tanken, wird sie ins „Barberyn Beach Resort“ nach Weligama reisen und dort vor allem zu sich selbst. Yoga, Meditation, Massagen, gesunde Kost: Sich zurückholen, was einem das Leben abverlangt. Kathi könnte auch Rita, Helmut oder Andi heißen. Denn sie verkörpert eine Generation von Menschen, die sich nach einem ganzheitlichen Leben sehnen und deshalb einen Teil ihres Urlaubs mit persönlicher Entwicklung verbringen. Dass hinter diesem Bedürfnis die gestiegenen Anforderungen des Alltags und ständige Reizüberflutung stecken, liegt auf der Hand. Aber da ist noch viel mehr, wie der Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung in Wien, Peter Zellmann, weiß. „Die Wurzeln dieser gesellschaftlichen Entwicklung liegen im Industriezeitalter. Damals gab es bei der Aus- und Heranbildung junger Menschen zu viel Einordnung. Sie wurden in Erziehungsstile hineingepresst, während das Individuum ausgeblendet wurde.“ Was wir jetzt erleben, ist eine Gegenbewegung, bei der es aber nicht um das Infragestellen alter Werte geht, sondern das Aufholen bisher zu wenig beachteter. Der Mensch als ganzheitliches Wesen, dessen Metamorphose zur Einheit aus Körper, Seele und Geist in den 1980er-Jahren mit dem Aufkommen von Wellness-Urlauben begonnen hat.
Schon 2003 prognostizierte der Zukunftsforscher Matthias Horx die Etablierung des „Ich“ als neue Reisedestination. Heute zeigt sich, dass er recht behalten hat. Von Ayurveda in Asien, über Schreibworkshops auf griechischen Inseln bis hin zu „Indianisch-Hawaiianischen Wochen“ in den Bergen, ist das Angebot an Reisen zur „Destination: Ich“ groß. „Im Tourismus hat man die Nische längst erkannt“, sagt Zellmann. „Spezielle Angebote werden mit Anglizismen aufgepeppt und mit Trends und Modegags gefüllt. Das findet einen großen Kreis an Interessenten.“
Im Mountain Resort Feuerberg auf der Gerlitzen Alpe in Kärnten zum Beispiel, bietet die Veranstaltungsreihe „Spirit am Berg“ „Wellness speziell für den Geist“. Neu daran ist, dass die angebotenen Seminare, wie „Lebenskraft und Leichtigkeit durch Humor“ oder „Die Kunst des Loslassens“, im Preis inbegriffen sind – so wie der Spa-Bereich und die Verpflegung. So bekommen Gäste einen Einblick in ihr Interessensgebiet. Wer sich weiter in ein Thema vertiefen will, muss das allerdings auf seine Kosten tun. Auch im Alpenresort Schwarz in Mieming in Tirol setzt man schon länger auf die Kraft des kurzen Innehaltens. Mehrmals pro Jahr verspricht ein „Qi Gong Workshop“ mit Großmeister Shi Yan Liang aus dem Shaolin Kloster in China Harmonie für Körper, Geist und Seele. Gut vorstellbar, wenn man all die entspannten Menschen sieht, die unter Anleitung des Großmeisters konzentriert ihre Übungen machen. Das lockt auch Einheimische an, was laut Freizeitforscher Zellmann nachvollziehbar ist. „Die größte Urlaubsgruppe ist die, die ihre freien Tage zuhause verbringt. Damit meine ich keinen Inlandsurlaub, sondern Urlaub auf Balkonien. Für sie sind Entspannungsangebote im Wohnumfeld perfekt.“ Die Art, Urlaub zu machen, verändert sich also. Während man früher zwei bis drei Wochen am Stück frei hatte, reihen sich mittlerweile mehrere Kurztrips aneinander. Einer davon ist oft dem Schwerpunkt Selbstentwicklung gewidmet.
Für Selbstfindungsneulinge mögen manche Angebote anfänglich zu „esoterisch“ erscheinen. Für sie bieten Hotels die Möglichkeit der „Selbstfindung light“. Das „Gradonna Mountain Resort“ in Osttirol etwa, ermöglicht Einkehr in kleinen Dosen mit täglichen Yoga-Einheiten am Naturbadeteich oder Barfuß- und Sinneswanderungen zu Kraftplätzen. Damit kommt man den Wünschen vieler Gäste nach. Freizeitforscher Zellmann sieht in der Wichtigkeit der eigenen Befindlichkeit übrigens keine Rückentwicklung zur Spaßgesellschaft oder Ich-AG, sondern einen notwendigen Schritt. „Sich selbst ernst zu nehmen heißt, sich mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Jeder kann sich nur selbst definieren, wenn er die Grenzen zu seinen Mitmenschen definiert.“
In diesem Sinne: Schönen Urlaub, Kathi!
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