Der Moskauer Visionär Vasily Klyukin denkt in Wien über Plastik nach
Eigentlich begann er seine Karriere als Banker und Unternehmer. Heute engagiert sich Vasily Klyukin bei amfAR- und UNICEF-Aktionen, ist Verfechter des Klimaschutzes, unterstützt die Leonardo DiCaprio Foundation, die Prince Albert II of Monaco Foundation und Putins Foundation zum Schutz der Amur-Tiger. Die Arbeiten des Moskauer Künstlers werden weltweit gesammelt. Seine anthropologischen Reflexionen stellen zentrale Themen der Menschheit sowie die Umwelt in den Mittelpunkt. Mit der freizeit spricht er beim Interview in Wien über die Umwelt und seinen Weg zur Kunst.
freizeit: Wie sind Sie denn zu dieser Ausstellung in Wien gekommen?
VASILY KLYUKIN: Mit meinem Auto, es parkt draußen (lacht). Ich liebe Wiens Kultur und die schönen Parkanlagen. Wien ist eine historische Stadt, die Hauptstadt der Kultur. Deshalb ist es für mich wichtig, hier eine Ausstellung zu machen. Die muss perfekt werden, weil jeder in Wien einen guten Geschmack hat. Eingeladen wurde ich dazu von Anne Avramut, die hier meine beiden Ausstellungen kuratiert.
Wieso wurden Sie erst Banker, bevor Sie Künstler wurden?
Ich bin heute ein freischaffender Künstler. Aber noch vor 20 Jahren hatte niemand Geld in Russland, die Menschen haben in den späten 1980ern wenig verdient. Aber die Türen standen uns offen, und wir haben mitbekommen, was in der Welt vor sich ging. Damals interessierte mich das noch nicht, aber schon als Kind überlegte ich, was ich einmal werden soll. Ich sammle Kunst, seit ich zehn Jahre alt bin, ich war mit meiner Mutter oft in Ausstellungen. Kunst war schon immer meine Leidenschaft, aber Mathematik und Ökonomie interessierten mich dann doch mehr. Denn ich wollte einmal eine Wohnung oder auch einen Kassettenrekorder besitzen. So studierte ich, wurde Banker. Ich sammelte weiter Kunst, aber nur die, die mir gefiel.
Wie wurden Sie dann selbst zum Künstler?
Ich war sehr gut in Finanzen, verdiente Millionen als Banker, zehn Jahre lang, bis 2008 die Weltwirtschaftskrise kam und mir die Augen öffnete. Man kann täglich arbeiten gehen, Geld verdienen und trotzdem innerhalb eines Tages alles verlieren. Auch wenn man selbst keine Fehler gemacht hat. Nur deshalb, weil irgendwelche Big Player irgendwo etwas falsch machten. Damals war ich dankbar für diese Erfahrung. Ich änderte meinen Weg und machte meine Passion zur Profession.
Wovon lassen Sie sich dabei inspirieren?
Von Natur und Musik, Techno und Klassik, ich liebe auch Violine. Ich habe Musik ohne Worte lieber, unterteile sie wie in der Kunst, in abstrakt und nicht abstrakt, so kann ich meinen eigenen Gedanken dabei folgen und mir eine Meinung bilden. Ich mag deswegen Opern nicht, aber bitte nicht weitersagen.
Welchen Künstler würden Sie gerne persönlich kennenlernen? Ich würde gerne Maurizio Cattelan treffen. Er ist sehr provokativ. Ich liebe Menschen, die keine Grenzen kennen, die Unmögliches erreichen wollen wie er.
Was ist das Thema Ihrer Ausstellung „Civilization. The island of the day before“ im Bank Austria Kunstforum?
Woher kommen wir und wohin gehen wir. Wie sieht unsere Welt in 500 Jahren aus. Wir blicken 500 Jahre nach vorne und gleichzeitig zurück auf unsere heutige Zivilisation. Da werden wir dann leider sehen, dass es sie nicht mehr gibt. Wir können in die Zukunft schauen und erkennen, welche Fehler wir in der Vergangenheit gemacht haben, warum unsere Welt zerbrochen ist. Genauso wie wir heute über Azteken und Ägypter wissen, woran ihre Kulturen zugrunde gingen. Ich bin Futurist und sehe das so kommen. Ich spiele gerne mit Dimensionen, setze dafür meine Figuren aus Polycarbonat und Stahl ein. Die wirken zwar heute noch harmonisch, verweisen aber auf eine destruktive Zukunft. Dahin wird sich unsere Kultur entwickeln.
Sehen Sie die Zukunft so pessimistisch?
In die Zukunft zu blicken, ist meine Leidenschaft. Wir wählen selbst jeden Tag mit unserem kollektiven Handeln den Weg, auf dem die Welt sich weiterentwickelt, und der ist ganz klar Destruktion. Es ist eine persönliche Entscheidung, die jeder für sich täglich aufs Neue trifft, das sollte uns bewusst sein. Ich bin zwar optimistisch, versuche aber nicht auszublenden, was in der Realität passiert.
Worum geht es bei der Arbeit „Why People Can’t Fly“?
Die menschliche Figur, die mit Luftballons kopfunter schwebt, wurde auf der Biennale 2019 gezeigt. Vielleicht wird die sechs Meter hohe Skulptur bald in einem Wiener Park aufgestellt werden. Die acht Ballone verhindern, dass wir fliegen können. Sieben davon sind unsere Sünden, der achte wurde mit Plastikmüll befüllt, der mir zugeschickt wurde und stellt die Umweltverschmutzung dar. Wir können nicht fliegen, weil die Ballone mit Problemen, Sorgen und Ängsten befüllt sind.
Womit unterstützen Sie die Umwelt?
Für mich ist diese Skulptur eine logische Konsequenz zu meinen Gedanken über Nachhaltigkeit, weil ich ja auch u. a. die Foundation von Prinz Albert von Monaco unterstütze. Aber da ich auch Ingenieur bin, habe ich eine Plastiksortiermaschine entworfen. Der Platz, wo wir unseren Abfall sortieren, ist unser Zuhause. Hätte jeder ein extra Lager für Abfall daheim, könnte sie sogar schon funktionieren, aber der Preis dafür liegt aktuell noch bei etwa 1.000 €. Wenn sie aber nur 600 € kostet, bringt sie jedem Besitzer in ein bis zwei Jahren den Einsatz wieder zurück. Ich bin noch im Entwicklungsprozess, denn es gibt 14 Sorten Plastik. Momentan können nur vier Sorten getrennt werden, das sind die größten Anteile, die restlichen neun gehen noch zum Plastikabfall.
Ist Plastik der Rohstoff der Zukunft?
Plastik ist das beste Material ever, weil es immer weiter wiederverwertbar ist. Holz muss geschnitten werden und nachwachsen, Stahl und Öl erschöpfen unsere Ressourcen. Plastik rettet alles, es ist ja überall, es ist das Nachhaltigste überhaupt, es muss nur sortiert werden, das ist die Lösung.
Sie mögen Extreme, reisen gerne zum Nordpol, aber auch in den Dschungel – wohin treibt es Sie als nächstes?
Ich habe meinen Spacetrip bereits vor ein paar Jahren gebucht, per Ticket von Richard Bransons Raumfahrtunternehmen Virgin Galactic. Nächstes Jahr fliege ich ins All. Für mich bedeutet das, einmal Schwerelosigkeit erleben zu dürfen.
Wo leben Sie de facto?
Ich bin von Monaco nach Moskau übersiedelt, lebe aber zur Hälfte da wie dort. Ich suche mir den Platz nicht aus, an dem ich lebe. Monaco ist klein und teuer, da ist es für Produktion und Werkstatt in Russland viel besser, weil billiger. Nur eine Frage beschäftigt mich fast täglich: Wo ist meine Garderobe gerade?
Zur Person
Vasily Vasilievich Klyukin wurde 1976 in Moskau geboren. Die Arbeiten des Bildhauers werden heute von der Londoner Simon Lee Gallery vertreten und sind bei Sammlern aus Hongkong, Moskau und New York begehrt. In Wien zu sehen: „Civilization. The island of the day before“, 5. bis 30. August 2021, Eintritt frei. Bank Austria Kunstforum, https://www.kunstforumwien.at
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