Dekadenz deluxe
Eine Zigarre mit einem brennenden Geldschein anzünden, Goldplättchen, wie zufällig einer Laune entglitten, großzügig über das Büffet streuen, den lieben langen Tag zu Hause im seidenen Schlafmantel zwischen Sofa und Chaiselongue herumschlurfen. Klingt echt gemein, direkt snobistisch, ja, total dekadent. Oder?
Ach wo, völlig old school, so ein Protzgehabe. Hinter diesen Späßen könnten sowohl Prolls als auch Playboys stecken. Der Noveau Chic der Schicken und (hoffentlich) Schönen von Welt orientiert sich längst weg von derartigen Verhaltensauffälligkeiten. Von Los Angeles bis London zieht jeder sein eigenes Ding durch. Kim Kardashian etwa.
Was Spleens und Bling-Bling betrifft, schaute sich die Verlobte des Rappers Kanye West nichts von Schuhfetischistin Imelda Marcos oder den Sex-and-the-City-Zicken ab. Sie zog mit Paris Hilton durch die Boutiquen und kann jetzt locker mithalten, wenn es um den Lifestyle à la Dekadenz deluxe geht. Hohl, aber höllisch teuer.
Andere mögen auf die Toilette gehen. Kim geht aufs Klo – aber auf eines aus Gold. Was heißt, sie und Kanye West sollen jüngst umgerechnet 580.000 Euro für vier vergoldete Toiletten ausgegeben haben. Wer meint, das Paar habe völlig den Verstand verloren, irrt. Immerhin, so umsichtig waren Kim und Kanye, dass sie die dazugehörige Villa mit einem Sicherheitssystem ausstatten ließen, das alle Stückerln spielt – vor allem, die Preisliste betreffend: Gut eine Million Euro dürfte der Umbau der Villa in Bel Air zu einem privaten Fort Knox verschlungen haben. Dagegen sind die 130.000 Euro für Spezialbetten gar nicht mehr der Rede wert. Oder?Im Gegenteil. Wer in Saus und Braus lebt, kennt offenbar überhaupt keinen Genierer mehr. Und das muss jetzt nicht unbedingt mit großen Summen zu tun haben, die da über den Tisch gehen.
Von den Beckhams heißt es, dass sie – einmal ? – für den Weihnachtsabend extra einen Pagen eingestellt haben, damit der das lästige, aber notwendige Auspacken der Weihnachtsgeschenke übernimmt. Im Vergleich zu so schnödem Kalkül wirken täglich frisch eingeflogene Chrysanthemen aus China richtiggehend charmant. So lange man sich das leisten mag und kann, ist das vielleicht verschwenderisch. Aber zumindest noch nicht richtig blöd. Das wird es erst, wenn man keinen Sinn für die tatsächlichen Verhältnisse hat. Dekadent war es, als Marie Antoinette den legendären Satz sprach: „Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch Kuchen essen.“ Und dekadent ist es, wenn man unbedingt das neueste iPhone auf Kredit kaufen muss, obwohl man jetzt schon weiß, dass man beim nächsten Modellwechsel in einem Jahr wieder vorstellig wird, trotz des Handyvertrags, der ja auf zwei Jahre weiterläuft. Dekadenz und Dummheit. Ja, die beiden sind Geschwister. Alles andere kann man getrost snobistisch, exzentrisch oder auch nur narzisstisch nennen. Der irische Dandy Oscar Wilde verhielt sich diesbezüglich wie ein Grenzgänger. Sehr klug und ebenso verschwenderisch. „Wer nicht über seine Verhältnisse lebt“, postulierte er, „leidet an Fantasiemangel.“Umgekehrt heißt das jedoch nicht, dass ein Übermaß an Geld den Geschmack bildet.
Der im Jahr 4 v. Chr. im spanischen Cordoba geborene Philosoph Seneca konnte das schon zu seiner Zeit beobachten. „Wir Idioten sind auf Gemälde und Plastiken ja ganz versessen“, entfuhr es ihm einmal durchaus selbstkritisch angesichts des Rausches damaliger Käufer auf dem erst im Aufbau begriffenen Kunstmarkt. Das ästhetische Niveau in Pompeji soll ja nicht wirklich auffällig ausgeprägt gewesen sein. Das zu beklagen, ist aber läppisch, wenn man sich einen echt dekadenten Potentaten näher anschaut: Jean-Bédel Bokassa, der 1979 gestürzte Kaiser des zentralafrikanischen Kaiserreichs. Der Freund Frankreichs war ein echtes Luxusgeschöpf, eines ohne Maß und Ziel. Zu seinen „Spielzeugen“ zählten eine Krone mit 6.000 Diamanten, ein Kleid mit 785.000 Perlen und 1,300.000 Brillanten aus Kristall, Goldknöpfen und Hermelinpelz, mehr als 200 Luxuslimousinen und 200 Motorräder vornehmlich aus deutscher Produktion. Aller Aufklärung, allen Bildungsoffensiven und Selbsterfahrungsseminaren zum Trotz, so viel haben wir seit dem alten Rom nicht dazu gelernt. Vielleicht ist das auch mit ein Grund, warum historisierende TV-Serien wie „Die Borgias“ zuhauf gedreht werden. Weil wir angesichts der Anhäufung von so viel Protz und Prunk, Macht und Moneten nur eines vermögen – staunen.Dabei ist die einzige Möglichkeit, glücklich zu bleiben, das exakte Gegenteil davon: niemals staunen. Sagte zumindest ein Kollege von Seneca – der römische Dichter Horaz. Aber dann hätten wir heute nichts zu lästern und lachen ...
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