Das Leben, ein Spiel

Das Leben, ein Spiel
Soziale Netzwerke? Klar, irgendwo ist jeder dabei. In Zukunft sollen die jedoch eine ungeahnte realistische Qualität bekommen. Werden wir mit unseren Facebook-Freunden bald tatsächlich im Wohnzimmer plaudern? Und mit Brad Abenteuer erleben, mit Miley twerken, mit Scarlett ...

Spielen wir noch oder leben wir schon? Eine Frage, die in 30 Jahren schwerer denn je zu beantworten sein wird. „Oculus Rift“ heißt die Zauberformel, die die Grenze zwischen den Realitäten, nämlich der virtuellen Welt und jener, in der wir unserer täglichen Beschäftigung nachgehen, arbeiten, entspannen, Spaß oder Angst haben, uns lieben und streiten, verschwimmen lassen soll. Zur Erinnerung: „Oculus Rift“ ist der „Daten-Helm“, dessen kalifornische Entwicklerfirma Anfang dieses Jahres von Facebook um 2 Milliarden Euro gekauft wurde. Und Facebook-Chef Mark Zuckerberg kann man durchaus als einen bezeichnen, der weiß, wo's lang geht. Und was Erfolg haben wird.

Vielleicht wird das Jahr 2014 in 20, 30 Jahren ja als das Jahr gelten, in dem alles begann. So richtig begann. Denn auch wenn der Daten-Helm von Hannes Kaufmann, Privatdozent an der Wiener TU, sehr früh so modifiziert wurde, dass man mit ihm tatsächlich unendliche Räume erleben und sogar erwandern konnte, also so nahe ans Holodeck der Enterprise kam, wie’s nur vorstellbar ist, wurde dem Helm von vielen Beobachtern der Szene doch die nötige Breitenwirkung abgesprochen. Ein Kickstarterprojekt eben, von Gaming-Nerds für Gaming Nerds. Kaufmann, Leiter der universitären Forschungsgruppe „Virtual- and Augmented Reality“ war dagegen bereits im Vorjahr überzeugt: „Schon in 15 Jahren werden Videobrillen weit verbreitet sein – und sowohl einzigartige Spiel- als auch Filmerlebnisse bieten.“

Und die Gegenwart gibt ihm Recht, was die Zukunft anbelangt. Schon kurz nach der Übernahme wurde die neue Version der „Rift“ präsentiert, die die alte sowohl grafisch als auch, was die Bewegungssimulation betrifft, wie ein Kinderspielzeug aussehen lässt, wie die Fachpresse euphorisch bestätigte. Mittlerweile arbeiten auch drei, vier andere Unternehmen an eigenen Daten-Helmen, Tendenz steigend. Und wie wir wissen, ist es die Konkurrenz, der Wettkampf, der Entwicklungen beschleunigt.
Was Social Media angeht, werden Holografien über kurz oder lang wohl das Maß aller Dinge sein (siehe Zukunft: Lebensraum).

Spiele und Filme sind dafür technisch allerdings zu anspruchsvoll. Da scheint kein Weg an der Datenbrille vorbeizuführen. „Die Geräte werden natürlich immer leichter und eleganter“, sagt Hannes Kaufmann. Aber wie sie letztendlich auch aussehen werden: Sie können uns tatsächlich in andere Welten entführen. Plötzlich sehen wir Brad Pitt nicht nur vor Troja kämpfen – wir stehen mit ihm mitten auf dem Schlachtfeld!

Das nächste große Ziel in dieser Richtung: „Das Spüren. Da hat die virtuelle Realität derzeit noch am meisten zu kämpfen“, sagt Kaufmann.

Sicher, mit dem Laufstall „Virtuis Omni“ kann man spürbar gehen, ohne sich in der echten Welt von der Stelle zu bewegen. Oder man durchwandert Dozent Kaufmanns endlose und doch auf relativ kleinen Platz beschränkte Räume. Aber etwas angreifen, eine Berührung spüren – da stieß man bis jetzt an seine Grenzen. Ein Vollkörperdatenanzug? Oh ja, wie sexy… Und höchstwahrscheinlich eine evolutionäre Sackgasse wie der Säbelzahntiger. „Ultraschall“ könnte dagegen wirklich die Antwort auf diese Herausforderung lauten. Die Entwicklung an der Universität von Bristol steckt noch in den Kinderschuhen – lässt sich aber vielversprechend an. Und sollte es tatsächlich der Schlüssel zur Lösung des „haptischen Problems“ sein, wird es in 20 Jahren vielleicht tatsächlich heißen: Genug gespielt – jetzt werden Spiele gelebt.

Bleibt die Frage, ob es wirklich wünschenswert ist, wenn die Realitäten in diesem Ausmaß verschmelzen. Per Datenbrille sind wir permanent mit der ganzen Welt verbunden, müssen die Wohnung praktisch nie verlassen, arbeiten, kommunizieren, bekommen virtuellen Besuch von unseren Facebook-Freunden. Derzeit verbringen wir bereits 53 Prozent unseres Lebens mit Freizeit – in der Zukunft wird dieser Anteil wohl noch um einiges höher. Wir erleben Spiele von ungeahnter immersiver Qualität, holen uns Hollywood-Stars und ihre Abenteuer, Romanzen und Tragödien direkt ins Wohnzimmer. Urlaub? Kein Problem, durch täuschend echte Projektionen wird das Wohnzimmer zur karibischen Insel. Ein linder Ultraschallwind streichelt uns, während wir entspannt in der Hängematte schaukeln. „Aber wollen wir das überhaupt?“, fragt Hannes Kaufmann. „Wollen wir tatsächlich, jeder für sich, auf einem Holo-Deck leben, mit virtuellen Freunden und Feinden? Die Menschheit tendiert leider dazu, sich Hals über Kopf in neue Technologien zu stürzen, und Dinge, die wir ganz gut konnten, zu vergessen. Wer kann sich denn heute noch ohne Navi orientieren? Eine Telefonnummer merken?“


Recht hat er, der Herr Dozent. Aber so faszinierend die Möglichkeiten der Virtual Reality auch scheinen – ich glaub nicht, dass sie echte Erlebnisse je völlig verdrängen wird. Ein Lauf durch den Wald bleibt einfach ein Lauf durch den Wald. Ein Kuss ein Kuss. Und wer gespürt hat, wie das Meerwasser auf der Haut langsam unter einer südlichen Sonne trocknet, während man an einem Caipirinha nippt, der weiß: So wird sich das im Wohnzimmer nie anfühlen. Mit oder ohne Ultraschall.

Eines sollten wir nie vergessen: Ein Lauf durch den Wald bleibt ein Lauf durch den Wald. Ein Kuss ein Kuss. Und wer gespürt hat, wie das Meerwasser auf der Haut langsam unter einer südlichen Sonne trocknet, während man an einem Caipirinha nippt, der weiß: So wird sich das im Wohnzimmer nie anfühlen.

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