Das Christkind wartet bestimmt! Eine Geschichte aus der Kinderkrebshilfe

Das Christkind wartet bestimmt! Eine Geschichte aus der Kinderkrebshilfe
Eine berührende Weihnachtsgeschichte zum Vorlesen – nach einer wahren Begebenheit, berichtet von Eva Morent von der Kinderkrebshilfe.

Es sah so aus, als würde es wieder keinen Schnee geben. Doch was machte das schon? Die letzten Schularbeiten vor Weihnachten waren geschrieben, die Vanillekipferln gebacken, und der Baum wartete in einer Ecke des Kellers, hinaufgeschleppt und geschmückt zu werden.

Die Mutter war, anders als sonst, durchaus zufrieden: Sie lag nicht schlecht im Zeitplan, wie sie immer wieder beruhigt, fast heiter feststellte. Zudem würde es, das hatte sie endlich durchgekämpft, am Heiligen Abend nur Lachs und Schinken und Französischen Salat geben. Auch sie hätte ein Recht, die Bescherung zu genießen, hatte sie dem Schwiegervater gesagt. Daher werde es kein Festessen geben, wie er es erwarte, jedenfalls kein warmes. Er hatte es, was sie verwunderte, ohne große Widerrede akzeptiert. Vielleicht weil auch er sich an letztes Jahr erinnerte, als die Schwiegertochter mit den Tränen gekämpft hatte, weil das Fleisch nicht und nicht durch sein wollte und alle immer ungeduldiger wurden. „Kein Stress heuer!“, triumphierte sie.

Ungewöhnlich war bloß, dass Markus, ihr Jüngster, seit ein paar Tagen blaue Flecken an den Armen und Beinen hatte. Weder hatten die Buben im Kindergarten gerauft, noch Fußball gespielt. Ob sie schnell mit ihm zur Ärztin fahren sollte? „Das sind doch nur ein paar blaue Flecken“, hatte ihr Mann gemeint. Und nur zu gerne ließ sich die Mutter beruhigen. Doch am Morgen des 24. Dezembers blieb Markus liegen, was so gar nicht seine Art war. Sie setzte sich zu ihm ans Bett, er schien recht blass, hatte vielleicht Fieber. Er tat sich schwer mit dem Reden und nickte nur, als sie fragte, ob es ihm nicht gut ginge. Er öffnete Mund, und sie sah, dass die Wangen innen bläulichrot verfärbt waren.

Wie gut, dass sie schon derart weit war mit den Vorbereitungen, dachte sie sich. Die Mutter hatte zwar die beglückende Idee gehabt, am Nachmittag, wenn ihr Mann mit den Kindern bei der Tante wären, ganz allein den aufgeputzten Baum zu genießen: mit einer Schale Tee, die nach Zimt duftete, und der Musik von Bing Crosby. Es gab also einen Zeitpuffer, einen respektablen sogar. Mit der Einstimmung aufs Fest würde es jetzt wohl nichts werden, sagte sie zu sich. Denn sie konnte nicht mehr so tun, als seien die blauen Flecken ganz harmlos. Es machte sie vielmehr verzweifelt, ihren Sohn benommen im Bett liegen zu sehen: „Komm, wir fahren schnell nach Wien ins Spital. Damit wir am Abend schöne Weihnachten feiern können.“

Nach Wien fahren: Das würde fast eine Stunde dauern. Und dann würden sie warten müssen, ziemlich lang warten müssen. Das wusste Markus, weil er sich vor etwas mehr als einem Jahr beim Spielen den Arm gebrochen hatte. „Ich will aber nicht“, sagte er. „Denn ich will nicht das Christkind versäumen. Morgen wird’s mir schon wieder gut gehen.“ Die Mutter zog ihm aber schon den Pyjama aus und einen Sweater über den Kopf. „Das verspreche ich dir: Das Christkind wartet bestimmt, bis wir wiederkommen.“

Nein, lange warten mussten sie nicht im St. Anna Kinderspital. Es ging eigentlich viel zu schnell. Die Mutter sagte bei der Aufnahme, dass ihr viereinhalbjähriger Sohn blaue Flecken hätte, nun auch im Mund, und schon rief die Krankenschwester einen Arzt. Markus schaute nicht hin, als ihm Blut abgenommen wurde, sondern seiner Mutter voll Angst in die Augen. Und keine zehn Minuten später bat der Arzt die Mutter in ein Zimmer. Die Blutwerte seien katastrophal, sagte er, die weißen Blutkörperchen wären geradezu explodiert, es bestehe kein Zweifel, Markus habe Leukämie. Zuhause hätte er vielleicht den Tag, kaum aber die Nacht überlebt. Man müsse sofort, noch in dieser Stunde, mit der Chemotherapie beginnen.

Die Mutter glaubte, vom Sessel zu fallen, weil sie keine Kraft hatte, sich abzustützen. Sie wollte sagen: Nein, das geht nicht, Sie irren sich. Sie wollte ihren Sohn schnappen, der nebenan auf dem Bett lag, und mit ihm davonlaufen: zurück nach Hause zum Christbaum und den Geschenken, zu ihren Kindern und deren Opa. Aber sie nickte nur stumm. Am 24. Dezember um 14 Uhr begann die Chemotherapie. Ob sie Markus wenigstens am Abend für zwei Stunden mit nach Hause nehmen dürfe, fragte die Mutter am Nachmittag: „Es kommt doch das Christkind.“ Sie bringe Markus verlässlich noch in der Nacht wieder. Das ginge leider nicht, sagte der Arzt: Die Gefahr innerer Blutungen sei viel zu groß, die Verantwortung könne niemand übernehmen.

Und so blieb sie bei ihrem Sohn. Sie zog Manner Schnitten und Gummibärchen aus dem Automaten, sie sahen ein bisschen fern, aber Markus schlief zumeist. Und wenn er wach war, sagte er: „Du hast es mir versprochen: Das Christkind wartet auf mich!“

Das Christkind wartete natürlich nicht. Noch nie, seit er verheiratet war, hatte der Vater Weihnachten ohne seine Frau gefeiert. Und weil er tagsüber mit den Kindern unterwegs war, hatte er sich auch um nichts kümmern müssen: Wenn sie von der Tante nach Hause kamen, roch es schon im Vorzimmer nach Weihnachten. Aber nun? Was wusste er über Leukämie? Und wie sollte er seinen Kindern eine Krankheit erklären, die man nicht sehen kann? Am liebsten hätte er nur eine Flasche Wein geöffnet und seine Kinder vor den Fernseher gesetzt. Das Christkind kann ja auch morgen kommen.

Doch auch morgen wäre sein Jüngster nicht da und am Stefanitag auch nicht. Monatelang, hatte ihm seine Frau am Telefon gesagt, werde Markus im Spital bleiben müssen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er geheilt werde, sei hoch. Sehr hoch.

Mit dieser Hoffnung, die auf nichts als ein paar Sätzen des Arztes fußte, feierte er mit seinem Vater und den übrigen Kindern Weihnachten. Es war ein recht stilles Weihnachten. Die Geschenke für Markus blieben übrig und wiesen andauernd darauf hin, dass etwas anders war als sonst. Und beim Essen fiel niemandem etwas zum Reden ein. Nur der älteste Sohn versuchte, die Stimmung zu heben. „Mama baut immer vor“, stellte er fest. „Sie wusste schon, warum es heuer nur kalte Platte gibt.“

Markus verstand die Welt nicht und er wollte sie auch nicht verstehen. Die ersten sechs Wochen lag er in Quarantäne; wer ihn besuchte, musste Mundschutz tragen und sich die Hände mit einem Desinfektionsmittel waschen. Andauernd erbrach er, schließlich wurde er über eine Sonde ernährt. Die Haare fielen ihm aus. Wenigstens durfte er fernsehen, man las ihm vor, und Clowns schauten vorbei. Jeder brachte Playmobil-Figuren mit: Sie alle passten auf ihn auf. Er redete mit ihnen, und sie vollführten auf der Decke Purzelbäume für ihn. Seine Mutter sprach viel mit anderen Müttern. Sie war fast immer da und zeitweise sein Vater. Dennoch fühlte er sich oft verlassen. Manchmal aber schien seine Mutter viel trauriger zu sein, als er es je war. Und dann lachte er wie ein Vollmond: „Gell, das Leben ist schön, Mama. Schon blöd, wenn ich nicht mehr da wäre!“

Nach vielen Wochen der Bestrahlungen und nach Tausenden Tabletten, die er schlucken musste, erholte sich Markus wieder. Er durfte essen, auch Eis, und die Gänge entlang spazieren. Mit anderen Kindern spielte er Lego oder Memory.

Ende Mai holten ihn seine Eltern ab. Leider erst am Abend, weil der Vater tagsüber arbeiten musste. Hand in Hand, er in der Mitte, gingen sie zum Auto. Als er ins Spital kam, war es kalt gewesen; nun blühten die Bäume. Das Christkind hat sicher nicht gewartet, dachte sich Markus. Aber er sagte nichts. In ein paar Tagen würde er Geburtstag haben. Und da gab es auch Geschenke.

Sie kamen heim. Seine Geschwister hatten ein Plakat mit vielen Smileys gemalt: „Willkommen Markus!“ stand auf der Haustür. Sie umarmten ihn. Doch er riss sich los. Denn komischerweise roch es nach Weihnachten. Er rannte ins Wohnzimmer. Und tatsächlich: Da stand der Christbaum, die Kerzen brannten, und auf dem weißen Leintuch lagen jede Menge Geschenke. Das Christkind hat doch nicht vergessen auf ihn.

Kommentare