Sie verpacken Schmäh und Wuchteln in Melodien zum Mitsingen – und brechen damit alle Rekorde. An Seiler und Speer kommt derzeit niemand vorbei. Die Hit-Produzenten sind die moderne Version von Edmund Sackbauer – der selbst noch viel ältere Wurzeln hat. Blick auf ein (ost-)österreichisches Phänomen.
"Do vuan san die VIPs, de Wichtigen – und wo sitzt des Gsindel?", fragt Herr Seiler von der Showbühne in die Weite des Festsaals. Und, nachdem vom hinteren Teil tosender Applaus nach vorne brandet: "Genau, des Gsindl, des san unsare Leit." Die Halle tobt. Es ist eine Feier des SK Rapid, für Seiler und Speer quasi ein Heimspiel. Gemeinsam mit den Kickern singen sie zum Abschluss ihren Mega-Hit "Ham kummst".
Seiler und Speer wissen genau, was ihre Fans hören wollen, wofür sie geliebt werden. Im Schatten des österreichischen "Popwunders" mit Bands wie Bilderbuch und Wanda haben sich die zwei Niederösterreicher zu echten Stars gemausert. Seit 44 Wochen ist ihr Debüt-Album schon in den Charts, aktuell noch immer auf Platz eins, Doppelplatin (30.000 verkaufte CDs) haben sie bereits, die dreifache Schallmauer wird demnächst durchbrochen. Und auch in Deutschland ist man mittlerweile verrückt nach den schrägen Österreichern, in Bayern sind sie schon in der Hitparade, die anstehende Live-Tour ist auch im hohen Norden so gut wie ausverkauft.
Ihre rustikalen Songs übers Tschechern, über Beziehungs- und Motivationsprobleme kommen in der Skihütte so gut an wie in der Schnöselbar, im Sport-Café am Eck genau wie in der Land-Disco. Regionalsender und auf größtmöglichen Konsens ausgelegte Format-Radios spielen die Titel gleichermaßen in Dauerrotation. Das Geheimnis der beiden? Sie sind das Gsindel, die Prolos der Nation. Zumindest spielen sie es glaubwürdig. Und schlüpfen damit in eine Rolle, die schon von Edmund "Mundl" Sackbauer in der TV-Serie "Ein echter Wiener geht nicht unter" erfolgreich ausgefüllt wurde: der bildungsresistente Bürgerschreck, vulgär, schimpfend, trinkend, mit tiefem Misstrauen gegenüber dem sogenannten Intellektuellen, Verfeinerten, Besseren. Und der Politik im Allgemeinen.
Eine Rolle, die eigentlich so alt ist wie die Unterhaltungskultur selbst. Vom antiken, kahlköpfigen Possenreißer im Flickengewand über den mittelalterlichen Hofnarren und Helden wie Till Eulenspiegel, bis zum Hanswurst im Wiener Theater des 18. Jahrhunderts hatte diese Figur stets die Lacher auf ihrer Seite. Wobei es ein großer Fehler wäre, sie mit dem späteren Kinderliebling Kasperl zu verwechseln. Der Wiener Hanswurst war vulgär, grob und richtig gfernzt. Er sagt, was der zivilisierte Beobachter höchstens denkt, während er sich über die Unzulänglichkeiten des Tölpels herrlich und im beruhigenden Gefühl des "Besserseins" amüsiert. "Ich? Nein, mit mir hat der doch nichts zu tun." Wirklich?
Bezeichnenderweise waren die besten Narren selbst immer hoch intelligente Menschen.
War der originale Hanswurst noch ein G’scherter vom Land, im konkreten Fall in einer Tracht aus dem Salzburger Lungau, änderte sich das Erscheinungsbild mit der industriellen Revolution und dem Entstehen des Proletariats. Doch das System blieb gleich: Eine Figur aus dem Volk verunsichert mit derber Komik die regelkonforme Gesellschaft. Sie befriedigt unsere Lust am Ungehörigen, an Aggressivität, Schlitzohrigkeit und schmutzigem Witz. "Wirtshaus, Bratwurst, volle Becher! – Sind Hans Wurstens Sorgenbrecher", hieß es im Wien des 18. Jahrhunderts. Und gerade mit ihrer – ebenfalls sehr erfolgreichen – Web-Serie "Horvathslos" über den Langzeitarbeitslosen Anton Horvath kommen Seiler und Speer dieser Tradition immer näher: Des is da Horvath, ka oawat, kan Bock auf irgendwos, an Duascht fia Fünfe und mit Weibada gehda gaunz sche los, im Großen und Gaunzen isajo gaunz leiwand, heißt es da bereits im Titelsong.
Christopher Seiler und Bernhard Speer kommen übrigens nicht aus der umtriebigen und in letzter Zeit so erfolgreichen heimischen Musikszene. Sie sind Schauspieler und Filmemacher, haben ihre Wurzeln also genau dort, wo alles begann, in der Darstellenden Kunst. Natürlich auch im Kabarett, das ja die Tradition des kritischen Narren über Jahrzehnte aufrecht erhalten hat. Die Musik diente ursprünglich – ganz klassisch – nur zur Untermalung und Verstärkung einiger Szenen.
Die Palette der Charaktere und die Ausrichtung der modernen Hanswurste ist vielfältig. Während manche, wie der Ostbahn-Kurti, den Proleten in seiner sozialistisch verklärten Prägung geben, oder hin und wieder den Eulenspiegel hervorholen, um uns einen erschreckenden Blick hinein werfen lassen, belassen es andere bei den groben Späßen des Genres. Weil des Leben is ka Kinderjausn, um es mit Alkbottle zu sagen.
Musikerkollege Franz Adrian Wenzl hat die Kunstfigur des Austrofred erfunden, der das manisch Exaltierte des britischen Glam-Rock à la Queen mit den Niederungen des Gemeindebaus verbindet. In dem siedelte Wolfgang Ambros vor gut 40 Jahren auch einige seiner Songs an, egal ob als Romeo in der "Blume aus dem ..." mit der wunderbaren Zeile "Kumman S’ fernsehn Herr Franz", in der bissig bösen "Familie Pingitzer", oder natürlich im berühmten "Hofa".
Im "Kaisermühlen Blues", wie der "Echte Wiener" von Volksautor Ernst Hinterberger, ist die Figur gleich ein paar Mal vertreten. Idealtypisch: Roland Düringer als Josef "Joschi" Täubler. Scheinbar einfältig aber doch "odraht", arbeitsscheu und immer hinter Frauen her. Um dann doch zu beinahe ritterlicher Größe aufzusteigen, als eine dieser Frauen in ernster Gefahr schwebt ... Als Polycarp Trautmann versetzt Wolfgang Böck das gegen den Strich gebürstete Proletenhafte noch mit einer ordentlichen Portion Heldenmut. Und erlangte Kultstatus – auch wenn der Fernsehsender ARD die ursprünglich geplante Zusammenarbeit aufkündigte, weil der in der Serie "Trautmann" gesprochene Dialekt in Deutschland unverständlich sei. Mittlerweile hat der Trautmann allerdings auch nördlich des Weißwurstäquators seine Fans.
Übrigens: Während man den Hanswurst in Wien hoch leben ließ, hat man die Figur im norddeutsch-protestantischen Raum sehr schnell als "widernatürliche und unappetitliche Unterhaltungsform" abgelegt, wie die Literaturwissenschaftlerin Beatrix Müller-Kampel beschreibt. Kein Wunder also, dass unsere Nachbarn so auf die "Ösis" abfahren. Sie sind schlicht ausgehungert – sie brauchen einfach eine ordentliche Dosis vom "tiefen" Wiener Schmäh.
Alkbottle:
„Blader, fetter, lauter & a bissl mehr“, „Wir san auf kana Kinderjausn“, „Live statt nüchtern “ – Alkbottle-Frontman Roman Gregory hat den Bürgerschreck richtig gut drauf, um nicht zu sagen verinnerlicht. Dafür gab’s schon eine goldene Schallplatte. Dazu einen Platz als Talenteshow-Juror und viele Auftritte in lustigen TV-Gesprächsrunden.
Wolfgang Ambros:
„Mir geht es wie dem Jesus ...“ Der junge Wolfgang Ambros provozierte – und ließ uns im von Joesi Prokopetz geschriebenen „Hofa“ tief ins „goldene Wienerherz“ blicken.
Ostbahn Kurti:
Mit seiner ersten Band, den Schmetterlingen, sang Willi Resetarits die „Proletenpassion“. Später erfand er mit dem „Ostbahn Kurti“ den liebenswerten Proleten schlechthin. Ein bissl gfeanzt kann er natürlich schon auch sein ...
Austrofred:
Peinlich, sich selbst überschätzend, wehleidig, immer im Kampf mit allen möglichen Widrigkeiten – eine Lachfigur, mit der natürlich niemand etwas gemeinsam hat. Oder? Der oberösterreichische Autor und Musiker Franz Adrian Wenzl schuf mit Austrofred eine beinahe klassische Hanswurst-Figur nach Wiener Tradition. Und schaffte es mit der DVD-Reihe „Hello Austrofred – Hello Vienna!“ in die Charts.
Roland Düringer:
Scheinbar einfältig aber doch "odraht", arbeitsscheu und immer hinter Frauen her. Josef „Joschi“ Täubler im „Kaisermühlen Blues“.
Wolfgang Böck:
Sein „Trautmann“ – ein Mann mit dem Herz am rechten Fleck, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.
Karl Merkatz:
Mundl „Mei Bier is net deppert!“ Sackbauer - DIE Legende.
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