Christian Seilers Gehen: Schwer ums Herz zwischen den Weinbergen

Christian Seilers Gehen: Schwer ums Herz zwischen den Weinbergen
Guntramsdorf – Thallern – 1. Wiener Wasserleitungsweg – Eichkogel – Thallern – Guntramsdorf: 8.000 Schritte

Natürlich würde ich auch hier, in dieser einladenden Landschaft fünfzig Kilometer südlich von Wien, Zeugen der Anklage finden – mindestens aber der Klage, nämlich der Wehklage.

Jener Klage, dass wir auch jetzt, mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, nicht gemeinsam an einer Budel stehen dürfen und Spritzwein trinken, dass wir nicht befugt sind, im Klostergasthaus einen Backhendlfuß abzunagen, obwohl gerade dieses Klostergasthaus für seine Backhendlfüße bekannt ist, dass die Geselligkeit, ein Menschenrecht, sich in Luft aufgelöst hat und nur hie und da als Warnung Gestalt annimmt: Achtung, Menschen. Abstand halten, weitergehen, es gibt nichts zu sehen.

Als ich von Thallern, diesem ganz besonderen Teil von Guntramsdorf in der Thermenregion, durch die Weinberge hinüber zum Eichkogel spaziere, ist mir deshalb ein bisschen schwer ums Herz, einerseits. Zwischen den Rieden, wo der Rotgipfler und der Zierfandler wohnen, öffnen sich kleine Buchten, wo winzige Buschenschanken, eine Theke, ein paar Stühle und Bänke, ihren Platz haben, „H8's Weingartenhütte“, Buschenschank „da Emma“.

Ein bisschen Schmähführen

Deren Inhaber würden sich jetzt bestimmt über meinen Besuch freuen, Blick auf die Weinstöcke, wo erstes, frisches Grün zu sehen ist, Erinnerung an voriges Jahr und das Jahr davor, konserviert in Flaschen, ein Schmalzbrot, ein bisschen Schmähführen, ein hartes Ei, das Salz des Lebens.

Andererseits, denke ich mir, als ich auf dem 1. Wiener Wasserleitungsweg Richtung Wien gehe, unter dem das wunderbare Wiener Wasser aus den Wildalpen in unsere Wohnungen strömt, gibt es immer nur so viel Grund zum Raunzen, wie man sich selbst zugesteht. Ich betrachte die hübsche „Kapelle am Kreuzweg“.

Spüre die Kraft und Wärme der Frühlingssonne. Atme tief den Duft der Weinberge ein und genieße das Privileg, hier zu sein. Jetzt. In diesem Augenblick. Ein paar hundert Meter über dem Wiener Becken. Nur ein paar Schritte von einer brillanten Aussicht auf das breit und flächig daliegende Wien entfernt, auf die Skyline meiner Stadt, die rhythmische Hoch-Tief-Breit-Gliederung ihres Nordens und Südens.

"Picture This"

Ich gehe den Eichkogel hinauf, 367 Meter Seehöhe. Nicht unbedingt der Großglockner, aber ein botanisches Reservoir von europäischem Rang. Mit meiner Pflanzen-App „Picture This“ erhalte ich Auskunft über diverse Blüten, Stauden und Sprossen. Genau in diesem Moment wird mir bewusst, wie uns die Natur stets mit neuen Versprechen lockt: mit dem ersten Hauch frischen Grüns, dem Aufbrechen der Knospen, dem Prunk der Blüten, dem Schattendach der Baumkronen, mit reifenden Früchten, den Farben des frugalen Herbstes: In jeder Phase des Wachstums ist die nächste schon enthalten.

Ich verlasse also den Eichkogel mit dem dringenden Wunsch, bald wiederzukommen. Steige ab zum Freigut Thallern, einer wuchtigen, schönen Anlage, dem burgundischen Clos de Vougeot nachempfunden und seit fast tausend Jahren bewirtschaftet.

Vielleicht ist in den Versprechen des Eichkogels bald auch ein Backhendl im Klosterwirtshaus inbegriffen.

 

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